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Autokratie im Ölparadies

Roman Goncharenko25. Mai 2012

Alles in Aserbaidschan dreht sich ums Öl. Die ehemalige Sowjetrepublik, in der zurzeit der Eurovision Song Contest stattfindet, zählt zu den reichsten in der Region. Demokratisch ist das Land aber nicht.

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Ölbohrinseln vor der Küste von Baku (Foto: dpa)
Ölbohrinseln vor der Küste von BakuBild: picture-alliance/dpa

Wenn man mit viel Geld eine gute Show machen kann, dann hat Aserbaidschan wohl die besten Voraussetzungen. Nachdem im Jahr 2011 das aserbaidschanische Duo Ell & Nikki mit dem Lied "Running Scared" in Düsseldorf den Eurovision Song Contest (ESC) gewonnen hatte, wird das diesjährige Finale des Wettbewerbs am 26. Mai in Baku stattfinden. Die Veranstaltung gilt als eine willkommene PR-Aktion für ein Land, das bis heute vor allem für seine Ölreserven bekannt war. Es dürfte eine der teuersten Shows in der Geschichte des Wettbewerbs werden.

Jahrhundert-Vertrag mit Ölriesen

Die Ölförderung in Aserbaidschan begann vor über einem Jahrhundert, als die Region noch Teil des Russischen Zarenreichs war. Die aserbaidschanischen Erdölvorkommen werden auf 14 Milliarden Barrel geschätzt. Seit der Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion im Jahr 1991 profitieren auch westliche Firmen von den enormen Ressourcen. Mit dem so genannten "Jahrhundertvertrag" aus dem Jahr 1994 ermöglichte Aserbaidschan einem Dutzend Konzerne, darunter Branchenriesen wie BP oder Exxon, sich an der Ausbeutung der Ölfelder im Kaspischen Meer zu beteiligen. Allein im Jahr 2011 wurden in Aserbaidschan nach offiziellen Angaben rund 20 Milliarden US-Dollar investiert.

Werbung für den ESC auf einem Auto in Baku (Foto: EBU)
Der ESC ist für Aserbaidschan eine willkommene PR-AktionBild: EBU

"Der Vertrag hatte in erster Linie politische Ziele und sollte westliche Firmen nach Aserbaidschan locken, das damals unter russischem Einfluss stand", sagt Alexej Wlasow, Chefredakteur der Moskauer Nachrichtenagentur "Westnik Kawkasa" (Kaukasusbote). Neue Öl- und Gaspipelines hätten Aserbaidschan ermöglicht, eine unabhängige Politik im postsowjetischen Raum zu betreiben, so der Experte.

Keine Sowjetnostalgie

In Baku spürt man deutlich den Reichtum des Landes, das etwas größer als Österreich ist: Überall wird gebaut. Die zwei Millionen Einwohner der Hauptstadt sind nach eigenen Worten erstaunt darüber, wie schnell sich Baku verändert. Ein Teil der Erlöse aus dem Ölexport wird in Straßen, Brücken und Gebäude investiert. Doch der Löwenanteil der Einnahmen fließt in die Ölbranche. Andere Wirtschaftszweige dagegen bleiben unterentwickelt, meint Farhad Medijew von der aserbaidschanischen Kaukasus-Universität in Baku. "Wir haben Geld, aber uns fehlt menschliches Kapital", sagt er.

Neue Hochhäuser in der Hauptstadt Baku (Foto: picture alliance/augenklick/GES-Sportfoto)
Neue Hochhäuser in der Hauptstadt BakuBild: picture alliance/augenklick/GES-Sportfoto

Wer von den neun Millionen Aserbaidschanern einen Job in der Ölbranche hat, kann sich glücklich schätzen. Die Monatsgehälter sind dort vergleichbar mit denen in westeuropäischen Ländern. Sie liegen zwischen 900 und 1800 Euro netto. Ein Durchschnittsverdienst in Aserbaidschan ist jedoch deutlich niedriger und beträgt umgerechnet 75 Euro.

Junge Menschen wie Walerija sehen die Entwicklung im Land eher positiv. Die 27-Jährige arbeitet als Managerin für ein US-Projekt in Baku. Mit einer guten Ausbildung könne man einen guten Job finden, sagt sie. Eine Rückkehr zu Sowjetzeiten wolle sie nicht. Auch der 52-jährige Marat will nicht, dass Aserbaidschan wieder einem Staatenbund im postsowjetischen Raum beitritt. "Ich habe schon immer das sozialistische System gehasst", betont er. Doch das heutige Leben in Aserbaidschan sieht Marat kritisch. "Wir haben ein Potenzial wie Kuwait, aber das Volk lebt zehn Mal schlechter" als in dem ölreichen arabischen Land, sagt er. Der Grund sei das politische System, das in Aserbaidschan seit Jahrzehnten bestehe.

"Eine Erb-Autokratie"

In einem von Experten der britischen Economist-Verlagsgruppe im Jahr 2011 erstellten Demokratie-Index steht Aserbaidschan auf Platz 140 einer Liste mit 167 Ländern. Aserbaidschan gilt als Land mit einem "autoritären Regime".

Portrait von Ilham Alijew (Foto: Polnischer Senat)
Seit 2003 regiert Ilham Alijew als PräsidentBild: Polnischer Senat

Seit fast 20 Jahren wird Aserbaidschan von der Familie Alijew regiert. Zwischen 1993 und 2003 war der ehemalige sowjetische KGB-Boss Gejdar Alijew Präsident des Landes. Als er erkrankte, übernahm sein Sohn Ilcham den Posten des Staatschefs. Kritiker sprechen deshalb von einer "Erb-Autokratie", denn wie sein Vater regiert der 50-jährige Ilcham Alijew das Land autokratisch. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International berichten über Verhaftungen von Oppositionspolitikern und Journalisten.

Allein im Jahr 2011 sollen mindestens 136 Menschen gefoltert worden sein, drei von ihnen sollen gestorben sein. Das geht aus einer Antwort der deutschen Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen hervor, die Ende März bekannt wurde. Menschenrechtler wollen deshalb den Eurovision Song Contest nutzen, um auf Demokratiedefizite in Aserbaidschan aufmerksam zu machen.

Ungelöster Berg-Karabach-Konflikt

Ein weiteres wichtiges Thema dürfte im Zusammenhang mit dem ESC in Aserbaidschan wieder ins Gespräch kommen: Berg-Karabach. Die Kaukasus-Enklave, in der überwiegend Armenier leben, hat sich Anfang der 1990er Jahre von Aserbaidschan losgelöst. Rund 25.000 Menschen starben in einem Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan. Der Waffenstillstand ist nach wie vor brüchig. An der Grenze zur selbsternannten Republik Berg-Karabach wird immer wieder geschossen. Alle Versuche, den Konflikt zu lösen, scheiterten. Armenien hat Anfang März seine Teilnahme am ESC abgesagt. Armenier würden bis heute Aserbaidschaner als Feinde betrachten, hieß es in einer Erklärung.