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Politik

EU-Asylpolitik: Keine Lösung in Sicht

20. Juni 2018

Eine europäische Lösung in der komplexen EU-Asylpolitik bis zum Gipfel käme einem Wunder gleich. Bundeskanzlerin Merkel kann bilateral verhandeln. Doch selbst das ist schwer. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Italien Flüchtlinge Ventimiglia
Ein Zug nach Norden? Migranten an der französisch-italienischen Grenze in VentimigliaBild: Getty Images/AFP/M. Medina

Seit drei Jahren beraten die EU-Mitgliedstaaten über eine umfassende Reform des europäischen Asylsystems und die Sicherung der Außengrenzen. Die EU-Kommission hat dazu ein Bündel von sieben Gesetzesreformen vorgelegt. Sie zielen darauf ab, die Asylverfahren zu beschleunigen, die Kriterien für die Anerkennung von Bewerbern zu vereinheitlichen und Migranten, die von einem EU-Land ins nächste weiterreisen, einfacher zurückschieben zu können. In einigen Bereichen gibt es bereits große Übereinstimmung, andere sind heftig umstritten.

Beim letzten Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg zur Migration konnte nur festgestellt werden, dass eine Einigung noch weit entfernt ist und die "europäische Gesamtlösung" auf keinen Fall bis zum Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am 29. Juni fertig sein würde. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer hat an dem Treffen erst gar nicht teilgenommen. Er schickte einen parlamentarischen Staatssekretär als Vertreter.

Keine Einigung auf Dublin IV in Sicht

Der hauptsächliche Knackpunkt ist die Reform der sogenannten Dublin-III-Verordnung: Sie regelt, welches Mitgliedsland für welche Asylbewerber zuständig ist. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, möglicherweise überlastete Erstaufnahme-Länder, vor allem also Italien und Griechenland, durch eine Verteilung von Flüchtlingen zu entlasten. Das lehnen viele mittel- und osteuropäische Staaten aber strikt ab.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, so sehen das EU-Diplomaten in Brüssel, müsse schon großen Illusionen anhängen, wenn sie glaubte, diesen Streit bis zum Gipfeltreffen beilegen zu können: Welches Interesse, fragen sich die Brüsseler Beobachter, sollte auch eine polnische oder ungarische Regierung haben, Frau Merkel aus ihrer Koalitionskrise mit der CSU zu helfen? Ungarns Regierungschef Viktor Orban hat ein ums andere Mal erklärt, dass die Bundeskanzlerin die Flüchtlinge und Asylbewerber "eingeladen" habe. Und dass sie deshalb ein deutsches Problem seien.

Berlin Merkel und Ministerpräsident Conte Italien
Abkommen mit Populisten? Italien will Migranten los werden, nicht zurücknehmen (Premier Conte, Kanzlerin Merkel)Bild: Reuters/H. Hanschke

Bilaterale Abkommen als Lösung? 

Das einzige, was Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchen kann, ist keine europäische Lösung: Es sind Absprachen mit einzelnen EU-Staaten, die nach Artikel 36 der Dublin-III-Verordnung möglich sind, um Verfahren zu beschleunigen und praktische Lösungen an den Binnengrenzen der EU zu finden. Ein solches bilaterales Abkommen zur Zurücknahme von Asylbewerbern gibt es zwischen Frankreich und Italien seit sechs Jahren: Die französische Grenzpolizei kann aus Italien kommende Migranten pauschal ohne tiefere Prüfung der Zuständigkeit ins Erst-Einreiseland Italien zurücksenden. Die Kanzlerin könnte versuchen, diese Regelung als Modell für eigene Abkommen zu nutzen. Doch auch hier warten erhebliche Schwierigkeiten.

Italien 

Die Regierungskoalition aus Populisten und Rechtsradikalen hat die Migrationspolitik bereits spürbar verschärft, weil Rettungsboote von Flüchtlingshelfern an den Küsten abgewiesen werden. Der italienische Premier Guiseppe Conte erklärte nach einem Treffen mit Angela Merkel in Berlin, das "Dublin-System muss überwunden werden". Das heißt Erst-Einreiseländer wie Italien sollten nicht länger alleine zuständig sein. Flüchtlinge und Asylbewerber will der rechtsradikale Innenminister Matteo Salvini in andere EU-Staaten umsiedeln.

Was sollte Angela Merkel also den Italienern bieten, damit sie demnächst vermehrt abgewiesene Asylbewerber von der deutschen Grenze zurücknehmen? Appelle an die Solidarität mit dem Hauptzielland der Asylbewerber, nämlich Deutschland, werden kaum fruchten. Die italienische Regierung hat nicht vergessen, dass sich Merkel vor 2015 standhaft geweigert hat, ein damals schon diskutiertes Quotensystem in der EU zur Entlastung von Italien und Griechenland einzuführen.

Grenzkontrollen Österreich/Deutschland
Mehr Zurückweisungen, mehr Kontrollen? Grenzstelle Schwarzbach zwischen Deutschland und ÖsterreichBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Österreich

Zurückgewiesene Asylbewerber, die über Italien in die EU gekommen sind, würden ohnehin an der deutschen Grenze nach Österreich, das zwischen Deutschland un Italien liegt, festsitzen, wenn die neue rechtspopulistische Regierung in Wien nicht auch einer bilateralen Vereinbarungen zustimmen würde. Und danach sieht es ebenfalls nicht aus: Denn der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, ein vehementer Kritiker der Asylpolitik von Angela Merkel, will eine "Achse der Willigen" schaffen, um die Außengrenzen der EU besser abzuriegeln und gar nicht erst Migranten in die EU gelangen zu lassen. Asylverfahren sollten am besten außerhalb der EU in Nordafrika oder auf einer einsamen Insel stattfinden, schlägt der österreichische Regierungschef schon lange vor. Diese Idee wird auch von Italien unterstützt. Auch der "Masterplan Migration" von Bundesinnenminister Seehofer soll solche extraterritorialen Asylzentren vorsehen. All das lässt sich schwerlich bis zum nächsten EU-Gipfel in eine konkretere Form gießen.

Griechenland

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat Bundeskanzlerin Angela Merkel vor wenigen Tagen für ihre Flüchtlingspolitik ausdrücklich gelobt. Sie versuche europäisch zu handeln, und das beeindrucke ihn, gab Tsipras zu Protokoll. Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei, das den Migrationsdruck auf Griechenland stark gemildert hat, ist unter großem Einsatz der Kanzlerin zustande gekommen. Der Appetit der Griechen, jetzt zurückgewiesene Asylbewerber zurückzunehmen, die es über die Balkanroute immer noch nach Deutschland schaffen, dürfte gering sein. Wenn die Betroffenen nicht direkt an der deutschen Grenze in ein Flugzeug nach Griechenland gesetzt werden, ist auch eher unwahrscheinlich, dass sie jemals wieder nach Griechenland zurückkehren. Sie müssten ja etliche Drittstaaten durchqueren.

Berlin Treffen Angela Merkel Sebastian Kurz
Merkel (re.) braucht langfristig Österreichs Kanzler Kurz: Zurückgewiesene blieben in seinem LandBild: Reuters/M. Tantussi

Westbalkan-Staaten

Die Bundeskanzlerin könnte mit den nicht der EU angehörenden Staaten vereinbaren, dass durchgereiste Asylbewerber und Migranten wieder zurückgeschoben werden können. Bei der Rücknahme eigener Staatsangehöriger hat das aus deutscher Sicht gut geklappt. Die Asylbewerberzahlen aus Serbien, Kosovo oder Albanien sind stark gefallen. Ob diese Balkan-Staaten, auch Drittstaaten-Angehörige aufnehmen würden, ist allerdings fraglich.

Theoretisch möglich wäre eine "Domino"-Zurückweisung von Deutschland über Österreich und den Balkan bis nach Griechenland.

Euorpäische Lösungen sind Zukunftsmusik

Für den zuständigen EU-Kommissar für Migration, Dimitris Avramopoulos, ist eine Reform des "Dublin"-Systems der Dreh- und Angelpunkt für eine europäische Lösung. "Das Dublin-System funktioniert nicht mehr", sagt Avramopoulos. Doch solange die Mitgliedstaaten sich hierbei blockieren, sind auch viele andere Teile der Asylrechtsreformen nicht umzusetzen.

So sind sich die EU-Staaten im Prinzip einig, dass die "Eurodac"-Datenbank für Asylbewerber ausgebaut werden soll. Außerdem soll es zum ersten Mal überhaupt eine Liste von sicheren Herkunftsstaaten auf europäischer Ebene geben. Der Bundeskanzlerin schwebt sogar eine europäische Asylbehörde vor, die im Endausbau an den Außengrenzen der EU bereits in einer Art Transitzone Entscheidungen trifft.

Bis dahin dürften aber noch Jahre vergehen, wenn es überhaupt jemals zu dieser europäischen Lösung kommt. Denn bislang ist kein Mitgliedsland bereit, Asylentscheidungen und die Steuerung der Migration aus der Hand zu geben.

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union