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Politik

Atom-Achse zwischen Ost und West

20. Januar 2022

Frankreich und die osteuropäischen EU-Staaten befürworten Kernenergie mit immer größerem Nachdruck. Besonders die neue tschechische Regierung setzt auf eine stärkere Atom-Kooperation mit Frankreich.

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Tschechien AKW Dukovany
Das tschechische Atomkraftwerk DukovanyBild: Zoonar.com/www.artushfoto.eu/picture alliance

Nach der Katastrophe von Fukushima 2011 galt Stromerzeugung durch Kernenergie in Europa verbreitet als Auslaufmodell. Doch nun plant die Europäische Kommission, Investitionen in neue, moderne Atomkraftwerke als grün und klimafreundlich einzustufen - und hat damit eine heftige Kontroverse in der europäischen Politik ausgelöst. Viele Länder begrüßen das Vorhaben, andere, wie etwa Deutschland und Österreich, sind strikt dagegen.

Deutschland, das einen Umstieg auf erneuerbare Energien und einen Verzicht auf Kernenergie in der EU mit am nachdrücklichsten vertritt, ist in der Debatte um das Öko-Label für Atomkraftwerke gewissermaßen eingekeilt zwischen West und Ost. Auf der einen Seite steht Frankreich, das rund 70 Prozent seines Stroms in Atomkraftwerken produziert. Es setzt auch weiterhin auf Kernenergie und ist stark am Export von Atomtechnologie interessiert. Auf der anderen Seite stehen die mittel- und südosteuropäischen EU-Länder. Die meisten von ihnen besitzen selbst Atomkraftwerke, wollen diese ausbauen oder treiben, wie im Falle Polens, konkrete Pläne für den Einstieg in die Kernenergie voran.

Infografik Vergleich Anteil Atomkraft an Stromerzeugung DE

Pro-Atomkraft-Brief an EU-Kommission

Mittlerweile bahnt sich in dieser Frage eine immer engere Kooperation zwischen Frankreich und den osteuropäischen EU-Staaten an - eine Art Ost-West-Atomkraft-Achse. Bereits im März vergangenen Jahres hatten sich Frankreich und sechs osteuropäische Länder - die so genannten Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn sowie Slowenien und Rumänien - in einem Brief an die EU-Kommission gewandt und von ihr eine bessere Förderung der Atomenergie verlangt.

Eines der Länder, die dabei in besonderem Maße auf eine Kooperation mit Frankreich setzen, ist die Tschechische Republik. Das Land besitzt zwei Atomkraftwerke und erzeugt ein Drittel seines Stroms durch Kernenergie. Seit längerem gibt es Pläne, die beiden Kernkraftwerke Dukovany und Temelin um neue Blöcke zu erweitern. Mit dem Bau der ersten Anlagen soll spätestens in sieben Jahren begonnen werden. Tschechien sieht Frankreich bei diesem Vorhaben als seinen wichtigsten Partner an.

Strategische Partnerschaft Tschechiens mit Frankreich

So betont es jedenfalls die neue liberal-konservative Regierung unter dem Premier Petr Fiala, die seit wenigen Wochen im Amt ist. Eine Rolle dürfte dabei auch spielen, dass am 1. Juli dieses Jahres auf die gegenwärtige französische EU-Ratspräsidentschaft die tschechische folgt und das Land, das die Präsidentschaft jeweils innehat, mit dem Vorgänger und Nachfolger eng zusammenarbeitet. "Wir werden eine strategische Partnerschaft mit Frankreich fördern, insbesondere im Hinblick auf die gemeinsame Zusammenarbeit im Rahmen des Präsidentschaftstrios", heißt es in der Programmerklärung der neuen tschechischen Regierung, die am vergangenen Donnerstag (13.01.2022) vom Parlament angenommen wurde.

Tschechische Republik Petr Fiala
Tschechiens Ministerpräsident Petr FialaBild: Darko Bandic/AP Photo/picture alliance

Auch das gemeinsame tschechisch-französische Interesse an der Förderung der Kernenergie im Rahmen der neuen EU-Taxonomie als umweltfreundliche Ressource wird darin betont. "Wir werden in unseren Bemühungen nicht nachlassen, die Kernenergie als eine nachhaltige Aktivität und Erdgas als einen wichtigen Übergangsbrennstoff im Dekarbonisierungsprozess anzuerkennen", heißt es in dem Dokument.

Kooperation bereits erfolgreich

"Die Diskussion über die neue EU-Taxonomie zeigt bereits, dass die Kernenergie in der Tat eines der Hauptthemen der Zusammenarbeit Tschechiens mit Frankreich sein kann", sagt Tomas Petricek, ehemaliger Außenminister und jetzt Fellow am Institut für Internationale Beziehungen in Prag, der DW.

Zuzana Simek | Analystin AMO
Die Analystin Zuzana Simek von der Association for International Affairs in PragBild: AMO

Zuzana Simek, Analystin bei der Association for International Affairs in Prag, sagt der DW ihrerseits, dass Frankreich sehr an einer Zusammenarbeit mit der Tschechischen Republik interessiert sei. "Die aufeinanderfolgenden Präsidentschaften tragen dazu bei", so Simek. "Im Energiesektor und insbesondere beim gemeinsamen Standpunkt zur Kernenergie zeigt sich, dass diese Zusammenarbeit bereits erfolgreich ist."

Macron und Orban: Gemeinsamkeit Kernenergie

Wie sehr Frankreich in der Frage der Kernenergie einen Schulterschluss mit den osteuropäischen EU-Mitgliedern sucht, zeigte sich kürzlich auch, als der französische Staatspräsident Emmanuel Macron nach Budapest reiste und dort Ungarns Premier traf. Mit Viktor Orban verbindet Macron nicht viel, der französische Staatschef hat sich mehrfach in ungewöhnlich kritischer Weise zum Rechtsstaatsabbau in Ungarn geäußert. Doch bei dem Treffen in Budapest betonten Macron und Orban ihre Gemeinsamkeiten. Eine davon ist die Befürwortung der Kernenergie.

Ungarn Budapest | Pressekonferenz | Emmanuel Macron und Viktor Orban
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Ungarns Premier Viktor Orban am 13.12.2021 in BudapestBild: Stephane Lemouton/Pool/abaca/picture alliance

Ungarn will sein Atomkraftwerk Paks, das rund 50 Prozent des ungarischen Stroms produziert, seit langem um zwei neue Blöcke erweitern. Die Orban-Regierung hat dafür einen Zehn-Milliarden-Euro-Kredit in Russland aufgenommen und will mit dem russischen Konzern Rosatom kooperieren. Allerdings könnte beim Ausbau von Paks auch französische Atomtechnologie zum Zuge kommen. Auch die Slowakei und Polen möchten im Bereich der Kernenergie mit Frankreich kooperieren.

Nicht zu Lasten des Verhältnisses mit Deutschland

Welche konkreten politischen und wirtschaftlichen Folgen die neue Ost-West-Atomkraft-Achse für das Verhältnis zwischen Deutschland und den osteuropäischen EU-Staaten hat, ist noch unklar. In der Vergangenheit hatte sich Deutschland beispielsweise kritisch zu polnischen Plänen geäußert, zwei Kernkraftwerke nordwestlich von Danzig in Ostseenähe zu bauen. Andererseits könnten deutsche Konzerne, darunter Siemens, am Ausbau der Atomenergie in osteuropäischen Ländern, etwa in Ungarn, beteiligt werden.

Atomkraftwerk Paks Ungarn
Soll um zwei Blöcke erweitert werden: das ungarische Akw PaksBild: Attila Volgyi/Xinhua/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Die neue tschechische Regierung jedenfalls möchte eine vertiefte tschechisch-französische Partnerschaft keinesfalls als Abwendung von Deutschland verstanden wissen. Dazu sind die Verflechtungen auch viel zu eng - immerhin gehen 32 Prozent der tschechischen Exporte nach Deutschland, vierzehn Mal mehr als nach Frankreich. Zudem arbeiten etwa 100.000 Tschechen in Deutschland, die meisten sind Pendler.

Trotz aller Unterschiede beim Thema Kernenergie strebt Tschechien auch im Energiesektor neue Kooperationen mit Deutschland an. "Wir haben ein vitales gemeinsames Interesse mit Deutschland, Kohle durch Gas zu ersetzen", sagt Tschechiens neuer Minister für europäische Angelegenheiten, Mikulas Bek, der DW und fügt hinzu: "Wir möchten vor allem die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wasserstoffnutzung ausbauen."

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Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag
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Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter