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Strahlender Wahlsieger?

29. September 2009

Glaubt man Angela Merkel, wird sich in einer Koalition von Union und FDP vieles nicht ändern. Doch die Laufzeiten der Atomkraftwerke werden wahrscheinlich wieder verlängert. Dagegen laufen Umweltverbände Sturm.

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Das AKW Isar im Abendlicht (Foto: dpa)
Wird die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert?Bild: picture-alliance/ dpa

Die Bundestagswahl hat zweifellos strahlende Sieger hervorgebracht. Das sind die wiedergewählte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der erfolgreiche FDP-Chef Guido Westerwelle - und voraussichtlich auch die Atomstromlobby. Denn Union und FDP wollen den Atomausstieg in seiner bislang beschlossenen Form aushebeln und die Laufzeiten der deutschen Meiler verlängern. Die Atombranche will der neuen Regierung die Entscheidung erleichtern und bietet nun an, Zusatzgewinne in erneuerbare Energien zu stecken. Doch gegen längere Laufzeiten formiert sich Widerstand innerhalb und außerhalb des Parlaments.

"Die Zukunft der Atomenergie wird der bestimmende Konflikt der kommenden Legislaturperiode sein", erwartet Jochen Stay von der bundesweiten Anti-Atom-Organisation ".ausgestrahlt". "Es gibt ganz viele Leute, die jetzt sagen, wir müssen gegen die Atompolitik von Union und FDP auf die Straße gehen." Auch Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast kündigte bereits an, dass ihre Partei im Kampf gegen längere Laufzeiten die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Bewegungen "dringend weiter ausbauen" wolle. Die Atomkraft-Gegner befürchten einen Rückfall in die 90er Jahre, also die Zeit, bevor die rot-grüne Regierung den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2021 beschloss. Zudem erinnern die Gegner der Atomenergie an Störfälle in der vergangenen Zeit: Die Kraftwerke Emsland und Philippsburg meldeten Zwischenfälle, in Krümmel wurde bei der Sicherheit des Atomkraftwerkes geschlampt.

Atomkraft ist für Merkel eine "Brückentechnologie"

Angela Merkel in Grönland (Foto: AP)
Die Klimakanzlerin in Grönland. Angela Merkel hält die Atomkraft für eine wichtige Brückentechnologie.Bild: AP


Die Angst vor einem Austieg aus dem Ausstieg ist nicht grundlos: Die Union will die Laufzeiten der Atommeiler verlängern und die Kernkraft in einem Energiemix als "Brückentechnologie" nutzen, bis sie durch erneuerbare Energien ersetzt werden kann. So sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Wahl, dass man die Atomenergie mittelfristig brauche, auch wenn man langfristig davon wegkommen wolle. Laut dem derzeit geltenden Atomgesetz wird der letzte deutsche Reaktor voraussichtlich im Jahr 2021 abgeschaltet.

Merkel unterstrich in einem ARD-Fernsehinterview vor der Wahl, dass sie die Laufzeit der AKWs verlängern will: "Es ist verantwortbar, zehn bis 15 Jahre länger auf Atomkraft zu setzen." Zur Begründung gibt sie den Energiebedarf Deutschlands an: "Wir können so schnell nicht umsteuern. Wir müssen dabei Schritt für Schritt vorgehen." Auch die Liberalen sprechen sich dafür aus, die Atommeiler über die bislang festgelegten Daten hinaus am Netz zu lassen. Doch FDP-Umweltexperte Michael Kauch erklärte am Dienstag, dass nicht die Laufzeit aller deutschen AKWs verlängert werden soll: "Das FDP-Präsidium hat vor der Wahl beschlossen, dass wir eine Laufzeitverlängerung wollen, jedoch nicht für alle Reaktoren."

Zusatzgewinne sollen in die Forschung fließen

Ein Umspannwerk mit kleinen Wölkchen (Foto: dpa)
Die Strombranche ist im WandelBild: CC-BY-SA-MdE

Die Atombranche will der neuen Regierung die Entscheidung nun offenbar erleichtern und zeigt sich offen für die Forderung der Union, Zusatzgewinne der Betreiber aus der Laufzeitverlängerung in die Forschung für erneuerbare Energien zu stecken. "Wir haben von vorneherein gesagt, wenn dadurch Mehrwert generiert wird, wird der auch geteilt", sagte RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann am Dienstag (29.09.2009) in der ARD. Möglich seien etwa Investitionen in Leitungen für Strom aus Windkraft. Auch Eon-Chef Wulf Bernotat zeigte sich im "Handelsblatt" zu solchen Vereinbarungen bereit.

Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), fordert vehement, die Gewinne aus verlängerten AKW-Laufzeiten für den Umbau der Energie-Infrastruktur zu verwenden. "Die Laufzeitverlängerungen sollte es nur geben, wenn ein großer Teil der Gewinne, die immerhin eine Million Euro pro Tag und Kraftwerk betragen, abgeschöpft wird." Nach Meinung der Expertin solle das Geld strikt zweckgebunden in die erneuerbaren Energien fließen.

Stay sieht in der Ankündigung der Atombranche ein "vergiftetes Angebot". Das Geschäftsmodell der Energiekonzerne basiere weiterhin auf dem Grundsatz "Riesige Gewinne für wenige - unverantwortbare Risiken für alle". Daran werde sich auch nichts ändern, wenn die Branche einen Teil der Gewinne abgebe, kritisiert Stay. Auch Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler warnt vor verlängerten Laufzeiten: "Der Regierungsauftrag für Schwarz-Gelb ist nicht gleichzeitig als Votum für die Atomkraft zu sehen." Umfragen zeigten, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung längere Laufzeiten ablehne. Gingen Union und FDP dennoch in diese Richtung, "werden sie die gesellschaftlichen Gräben in der Atomfrage neu aufreißen", sagt Edler.

Proteste weiten sich aus

Grüner Protest gegen die Atomenergie (Foto: dpa)
Die Atomkraft ist nicht nur für die Grünen indiskutabelBild: flickr / BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN


Mit welchen Beschlüssen Schwarz-Gelb dies tun könnte, wird im Koalitionsvertrag stehen. Doch die Atomkraftgegner wollen nicht das Ende der Gespräche abwarten, bis sie sich gegen die neue Regierung in Stellung bringen. "Mit Beginn der Koalitionsverhandlungen in Berlin werden wir unsere Proteste starten. Wir werden jedes Treffen belagern und vor der Tür demonstrieren", kündigt Stay an. "Und wenn die Verhandlungen einen Monat dauern, werden wir auch das durchhalten."

Die Proteste könnten ein Vorgeschmack auf die kommenden vier Jahre sein. "Wenn Deutschland die internationale Vorreiterrolle beim Atomausstieg aufgibt, wird die Regierung auch die politische Quittung dafür bekommen", sagt der Politologe Lutz Mez von der Forschungsstelle Umweltpolitik der FU Berlin. Die werde dann durch schlechte Ergebnisse bei Landtagswahlen und durch ein Aufleben der Anti-Atom-Bewegung ausgestellt.

Autor: Marcus Bölz (afp, dpa)

Redaktion: Thomas Grimmer