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Außenminister Fischer im Kreuzfeuer

Jens Thurau4. April 2005

Die Situation spitzt sich zu: Die Visa-Affäre könnte Bundesaußenminister Fischer sein Amt kosten. Das hätte für die Regierungskoalition und für die Grünen unterschiedliche Folgen. Ein Kommentar von Jens Thurau.

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Das stärkste Anzeichen dafür, dass Bundesaußenminister Joschka Fischer seine besten Zeiten hinter sich hat, war seine Rede im Bundestag vor zwei Wochen. Es ging um die Regierungserklärung des Kanzlers, um den nächsten großen Reformschub, den sich das entkräftete rot-grüne Bündnis noch zutrauen will, und Fischers Rede war nicht schlecht. Aber auf den Oppositionsbänken war höhnisches Gelächter zu hören, nicht wie sonst respektvolle Stille, wenn das Alpha-Tier der Grünen das Wort ergreift. Und später am gleichen Tag, nach dem Gipfel zur Arbeitsmarktpolitik mit den Spitzen der Opposition, da gingen Kanzler und Vize-Kanzler gemeinsam vor die Presse, und nur Gerhard Schröder sprach. Fischer stand stumm daneben, fast teilnahmslos, und klammerte sich an einen Aktenordner.

Selbstherrlicher Minister

Die Visa-Affäre hat den lange Zeit beliebtesten Politiker des Landes schwer getroffen. Immer neue Details kommen ans Licht: Botschafter berichten davon, wie sie Fischer vor der verhängnisvoll laxen Visa-Praxis gewarnt haben. Und längst ist es unwichtig, in welchem Ausmaß die Erlasse aus dem Auswärtigen Amt den Schleuserbanden ihr Handwerk tatsächlich erleichterten. Schwerer wiegt, wie selbstherrlich Fischer offenbar agierte, wie sehr er grüne Ideologie über Pragmatismus stellte, ausgerechnet er, der Ober-Realo. Nachhaltig ist das Image des unkonventionellen Autodidakten zerstört, der Abwechslung in den Politikalltag brachte. Stattdessen entsteht das Bild eines arroganten Besserwissers, der sich an sein Amt klammert.

Palastrevolte

In solchen Zeiten reichen dann auch Nebensächlichkeiten, um die Krise zu verstärken. Fischer will nicht mehr, dass frühere NSDAP-Mitglieder, die später dem Auswärtigen Amt dienten, nach ihrem Tod in der Hauszeitschrift breit gewürdigt werden. Dafür gibt es gute Gründe. Wer, wie Fischer, in aller Welt glaubhaft bekundet, oberstes Ziel sei es, dass Auschwitz sich nicht wiederholen darf, der muss auch intern kompromisslos handeln. Aber dass sich über 70 Mitarbeiter des Amtes einem öffentlichen Aufruf gegen diese Anordnung anschließen, das wäre noch vor Wochen undenkbar gewesen. So reagieren nur Untergebene, die lange verachtet worden sind.

Gefahr für die Koalition...

Was lange unvorstellbar schien, scheint nun wahrscheinlich: Dass Joschka Fischer bald zurücktreten muss. Und dann? Was bedeutet das für Rot-Grün, für Gerhard Schröder? Für die Koalition wäre das Ende der Ära Fischer kaum verkraftbar. Das Machtgefüge würde sich verschieben, Schröder wäre das einzig verbliebene Schwergewicht. Mehr noch: Schröder und Fischer wollten im Wahljahr 2006 erneut als Duo punkten, wie schon 2002. Und ein Rücktritt Fischers wäre das alles überstrahlende Signal für das Ende des rot-grünen Projekts, das mit niemandem so stark verbunden wird wie mit ihm.

...Chance für die Grünen

Allerdings: Für die Grünen wäre Fischers Rückzug vielleicht eine Chance. Ernsthaft haben sie nie diskutiert, was nach Fischer kommt. Tritt der Außenminister zurück, müssten sie es tun. Die Umfragen belegen, dass die Stammwähler der Partei nicht den Rücken kehren. Fazit also: Grün wird es weiter geben nach Fischer, Rot-Grün aber wäre erst einmal am Ende.