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"Auch Banken brauchen eine Schuldenbremse"

17. November 2011

Die Eurozone bleibt weiterhin unter Beschuss der Finanzmärkte. Was kann die Politik tun, um Krisen dieses Ausmaßes zu vermeiden. DW-WORLD.DE sprach mit Jürgen Trittin, dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag.

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Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender der Grünen (Foto: Bündnis 90/Die Grünen)
Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender der GrünenBild: Bündnis 90/Die Grünen
DW-WORLD.DE: Herr Trittin, was halten Sie von der Idee der EU-Kommission, den Ratingagenturen die Bewertung mancher Problemländer vorübergehend zu verbieten?

Trittin: Wenn ein Land unter dem Rettungsschirm ist, dann kann es offensichtlich seine Verbindlichkeiten nicht mehr aus eigener Kraft bedienen. Dann ist das Rating ebenfalls offensichtlich. Die EU-Kommission würde also die Ratingagentur nur daran hindern, Selbstverständlichkeiten auszusprechen.

Wieso schafft es die Politik nicht, dass die Banken für den Kauf von Staatsanleihen auch Sicherheiten hinterlegen müssen?

Weil die Staaten für ihre Anleihen garantieren, brauchten die Banken dafür bisher keine Sicherheiten hinterlegen. Statt sich lange mit dieser Frage aufzuhalten, halte ich es für klüger, die Banken zu dem zu verpflichten, dem sich auch Staaten mittlerweile unterwerfen, nämlich einer absoluten Schuldenbremse, die losgelöst von der Risikobewertung das Verhältnis bestimmt zwischen dem Geschäftsumfang und dem Eigenkapital. Das Minimum für eine solche Schuldenbremse, eine so genannte leverage ratio (Verhältnis von Eigenkapital zu Schulden), muss bei fünf Prozent liegen. Die Deutsche Bank erreicht zurzeit keine zwei Prozent, das bedeutet, dass sie 60mal so viele risikoungewichtete Geschäfte macht, wie ihr Eigenkapital beträgt.

Bei den langfristigen Maßnahmen, um solche Krisen zu vermeiden, ist auch immer wieder von einer Wirtschaftsregierung auf europäischer Ebene die Rede. Ist so eine Idee in den nächsten Jahren überhaupt realisierbar?

Die Kommission ist mit ihrem Vorschlag, Überschüsse und Defizite durch eine vergleichende und beobachtende Politik und die Sanktionierung von Defiziten - noch nicht von Überschüssen – anzugehen, einen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Das muss institutionalisiert werden. Eine Währungsunion, die nicht gleichzeitig auch eine Wirtschaftsunion ist, ist für die Zukunft kaum noch vorstellbar. Wir können auch nicht damit fortfahren, Staaten beispielsweise mit Bürgschaften aus Deutschland zu helfen, die in die Krise geraten sind, weil sie explizit und gewollt Steuer- und Regulierungsdumping betrieben haben. Es muss eine Harmonisierung auch in der Steuerpolitik geben, was nicht gleichbedeutend ist mit einheitlichen Steuersätzen überall. Das alles sind Schritte hin zu einer wirklichen Wirtschaftsunion.

Die überschuldeten Länder müssen ja, um ihre Schulden zurückzuzahlen, Leistungsbilanzüberschüsse erzielen. Wie soll das denn gehen? Wie soll dort die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden?

Griechenland kommt gar nicht darum herum, dass man ihm einen Teil seiner Schulden erlässt. Aber der Schuldenschnitt ist zu spät beschlossen worden. Wir müssen erreichen, dass die überschuldeten Länder in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden, zum Beispiel durch Investitionen in ihre Infrastruktur. Im Ausbau transeuropäischer Strom- und Gasnetze liegt eine Riesenchance gerade für die Länder des Südens, im Bereich erneuerbarer Energien tatsächlich Wertschöpfung zu kreieren. Schließlich müssen wir aufhören, die Defizite als isoliertes Problem zu betrachten. Zu Defiziten gehören auch immer Überschüsse. Das Anhäufen von Defiziten und Überschüssen innerhalb der Eurozone hat uns in die derzeitigen Probleme geführt. Das heißt: Deutschland muss zum Beispiel seine eklatante Schwäche der Binnennachfrage beheben. Dazu gehören Maßnahmen wie die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Wenn man anderen Ländern predigt, dass die Löhne sich nur mit der Produktivität entwickeln dürfen, also nicht stärker steigen dürfen als die Produktivität, dann gilt in Deutschland umgekehrt, Löhne dürfen nicht dauerhaft hinter der Produktivität her hinken.

Immer mehr Politiker und Ökonomen fordern, dass die Europäische Zentralbank nun für alle Staatsanleihen garantieren soll. Ist der Zeitpunkt für die EZB gekommen, die Unschuld abzulegen?

Es ist ein normales Verhalten für eine Notenbank, Angriffe abzuwehren. Das tut zum Beispiel die Schweizer Notenbank, indem sie Euro um jeden Preis kauft, um den Franken stabil zu halten. Wir haben für die Eurozone eine andere Lösung in Aussicht: Mit der EFSF wurde die Möglichkeit geschaffen, auch andere in das Risiko für die Hilfsaktionen, insbesondere mit Blick auf Italien und Spanien, einzubeziehen. Ich halte es für richtig zu versuchen, das Kapital von anderen zu nutzen und eben nicht nur die europäischen Steuerzahler in Haftung zu nehmen. Immerhin bürgen deutsche Steuerzahler mit 27 Prozent für EZB-Kredite.

Aber das hat sich ja bisher als nicht sehr ergiebig erwiesen. Wenn Deutschland nicht mehr bereit ist, noch mehr für den Rettungsschirm zu zahlen, wie kann man das von China oder Russland erwarten?

Das Modell der Hebelung in der EFSF ist erst vor einigen Wochen beschlossen worden. Jetzt sollten wir abwarten, wie sich manche Schwellenländer und Staatsfonds verhalten, die ja ein Interesse daran haben, dass es neben dem Dollar noch eine andere Leitwährung in der Welt gibt. Das wird nur der Euro sein.

Das Interview führte Zhang Danhong
Redaktion: Rolf Wenkel