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"Teilhabe am Fortschritt"

Das Interview führte Angela Göpfert26. Januar 2007

Seit Jahren klagen Kinderärzte, dass mehr als die Hälfte aller Medikamente nicht für Kinder zugelassen sind. Eine neue EU-Richtlinie will Abhilfe schaffen. Endlich, findet der Mainzer Kinderklinikchef Fred Zepp.

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Ein Arzt gibt einem Kind eine Spritze in den Oberarm (Quelle: dpa)
Kinder sind keine kleinen Erwachsene und brauchen speziell getestete MedikamenteBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Seit Freitag (26.1.) müssen Medikamente vor ihrer Neuzulassung speziell auf Risiken und Nebenwirkungen für Kinder geprüft werden. Bringt die neue EU-Verordnung den Ärzten künftig mehr Sicherheit bei der Behandlung ihrer kleinen Patienten?

Fred Zepp: Das ist ohne Frage so. In der Vergangenheit mussten Ärzte häufig auf Produkte zurückgreifen, die zwar für Erwachsene gut geprüft waren, nicht aber für Kinder. Doch Kinder funktionieren anders als Erwachsene. Sie sind noch im Wachstum, sie entwickeln sich noch, und dadurch haben sie natürlich andere Risiken. Insofern ist die politische Entscheidung, die Forschung und die Pharmaunternehmen zu verpflichten, neue Entwicklungen auch für Kinder zu prüfen, ein wichtiger Schritt zu einer besseren Therapie. Denn auch Kinder haben natürlich einen Anspruch, am Fortschritt in der Medizin teilzuhaben.

Es heißt, Kinder seien keine kleinen Erwachsenen. Doch weshalb genügt es nicht, die übliche Medikamentendosis auf Größe und Gewicht der Patienten umzurechnen?

Prof. Dr. med. Fred Zepp
Prof. Dr. med. Fred Zepp

Zunächst gibt es allein von der Größe des Organismus her extrem unterschiedliche Rahmenbedingungen bei Kindern. Denn wenn wir von Kindern sprechen, so meinen wir damit alle Menschen vom Frühgeborenen, das gerade mal 400 Gramm wiegt, bis hin zum Jugendlichen, der wie ein Erwachsener 60 Kilogramm auf die Waage bringt. Außerdem lernt der Körper im frühen Leben erst, mit Belastungen der Umwelt umzugehen. So kann es bei sehr kleinen Kindern häufig Leberprobleme geben, weil das Organ noch nicht weit genug entwickelt ist, um ein Medikament so zu verarbeiten, wie das ein Erwachsener kann. Die Probleme können aber auch in die andere Richtung gehen. Es gibt Asthma-Medikamente, die werden von einem Vierjährigen schneller verarbeitet als von einem Erwachsenen. Kinder reagieren so krass unterschiedlich auf Arzneien, dass man diese sogar für die einzelnen Altersstufen speziell prüfen müsste.

Woher sollen denn die Probanden für die klinischen Studien kommen? Können Sie ruhigen Gewissens Eltern empfehlen, ihre Kinder daran teilnehmen zu lassen?

Die Probanden für solche Studien sind stets Patienten, für die dieses Medikament auch sinnvoll ist. Es sind also Patienten, die an einer bestimmten Problematik leiden, bei der die Ärzte vor der Frage stehen, sie entweder konventionell oder mithilfe alternativer Therapien zu behandeln. In diesen Fällen muss es ein aufwändiges Aufklärungsgespräch mit den Kindern und den Eltern geben. Der Vorteil für ein Kind, das an einer solchen Studie teilnimmt, besteht in der Chance, eine bessere und wirksamere Therapie zu bekommen. Darüber hinaus werden die Kinder in klinischen Studien immer aufwändig überwacht. Dabei muss eine Grundregel für die Entscheidung eines jeden Arztes sein, das man diese Entscheidung so auch für sein eigenes Kind treffen würde.

Wie stark dürfen Kinder im Rahmen der klinischen Studien belastet werden? Wurden den Pharmaherstellern da Grenzen gesetzt?

Ja, denn Untersuchungen zur Wirksamkeit und zum Abbau von Medikamenten erfordern ja häufig, dass man zum Beispiel Blutuntersuchungen durchführen muss. Das wird natürlich als Belastung empfunden. Es gibt von der EU eine unterstützende Richtlinie, die vom Grundsatz her sagt: Ein Kind soll so wenig wie möglich belastet werden. Diese Richtlinie schreibt sogar vor, wie hoch die entnommenen Blutmengen sein dürfen. Sie sieht auch vor, dass sich die Forschung und Entwicklung um neue Methoden kümmern muss, die weniger belastend für Kinder sind. Wir denken da zum Beispiel an Messungen aus Urin, Speichel oder der Atemluft. Das ist natürlich auch eine Herausforderung an die Hersteller nach dem Motto: Ihr sollt nicht nur Medikamente an Kindern prüfen, sondern auch die Tests besser verträglich machen.

Fred Zepp ist Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz sowie Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Zudem ist er Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut und Sprecher des Pädiatrischen Netzwerkes für Klinische Studien im Kindes- und Jugendalter (PAED-Net).