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Auch Kirchenmitarbeiter dürfen streiken

20. November 2012

Kirchliche Einrichtungen dürfen ihren Mitarbeitern nicht generell das Streiken verbieten. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden. Endgültig geklärt scheint der Dauerstreit mit dem Urteil aber noch nicht.

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Johannes Stockmeier, Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland, in Erfurt in einem Verhandlungssaal im Bundesarbeitsgericht (Foto: dapd)
Verhandlung Streikrecht KirchenmitarbeiterBild: dapd

Arbeitskämpfe in kirchlichen Einrichtungen sind künftig unter bestimmten Bedingungen zulässig. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt beschlossen. Die obersten Arbeitsrichter befanden über zwei Klagen evangelischer Arbeitgeber, die sich gegen Warnstreiks der Gewerkschaften Marburger Bund und Verdi wenden und weiter auf einem generellen Verbot von Arbeitskämpfen bestehen. Damit müssen die großen christlichen Kirchen sowie die Einrichtungen von Caritas und Diakonie Streiks zulassen. Die Landesarbeitsgerichte Hamm und Hamburg hatten zuvor ein generelles Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen abgelehnt.

Die Kirchen haben bisher auf dem sogenannten Dritten Weg beharrt, wonach sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber einvernehmlich auf Löhne und Arbeitsbedingungen einigen, so dass aus Sicht der Arbeitgeber ein Arbeitskampf ausgeschlossen sei. Grundlage hierfür sei das im Grundgesetz verankerte Recht, dass die Kirchen selbst über ihre Angelegenheiten und damit auch über ihre Arbeitsverhältnisse bestimmen können. Die Gewerkschaften pochen dagegen auf die im Grundgesetz geschützte Koalitionsfreiheit. Danach bestehe ein Streikrecht, ohne das keine Verhandlungen auf Augenhöhe möglich seien.

Kirchen behalten Selbstbestimmungsrecht

Das oberste deutsche Arbeitsgericht betonte in seinem Urteil allerdings auch, dass die Kirchen ihr im Grundgesetz geschütztes Selbstbestimmungsrecht geltend machen und damit auch ihre Arbeitsbedingungen selbst regeln können. "Die Religionsgemeinschaft entscheidet alleine, wie sie ihre Aufgaben definiert", sagte BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt. Jedoch dürften die Gewerkschaften beim Aushandeln der Arbeitsbedingungen nicht von den kirchlichen Arbeitgebern übergangen werden.

Regeln die Kirchen ihr Arbeitsrecht selbst, indem sie die Arbeitsverhältnisse in paritätisch mit Vertretern der Arbeitgeber und der Beschäftigten besetzten Kommissionen aushandeln, müssten sie die Gewerkschaften daran beteiligen, heißt es in der Urteilsbegründung. Die dabei über den sogenannten Dritten Weg getroffenen Regelungen müssten zudem verbindlich festgeschrieben werden. Werde dies nicht eingehalten, seien Streikaufrufe und Streiks erlaubt.

Der Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier (siehe Foto oben) sagte vor der Verhandlung, Streik sei ein Erzwingungsrecht, das nicht zu den Kirchen passe. Der Sonderweg, Tarife und Arbeitsbedingungen in paritätisch besetzten Kommissionen auszuhandeln, habe sich seit Jahrzehnten bewährt. Auch Caritas-Präsident Peter Neher verteidigte das geltende Recht. Das eigene Tarif-Findungssystem der kirchlichen Einrichtungen sei angemessen und habe sich bewährt, sagte Neher im Deutschlandradio Kultur. Dieses System sei genauso legitim wie die Tarifverhandlungen in anderen Unternehmen und müsse als gleichberechtigt anerkannt werden. Demgegenüber kritisierte Verdi-Chef Frank Bsirske die Lage der Arbeitnehmer in Kirchen als vordemokratisch.

1,2 Millionen Beschäftige betroffen

Bisher sind bei den beiden großen christlichen Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas Streiks verboten. Dumpinglöhne und Leiharbeit im Sozialsektor waren vor allem der Diakonie vorgeworfen worden. Die Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden sind in Deutschland mit mindestens 1,2 Millionen Beschäftigten der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem Staat.

Kirchen und Gewerkschaften haben bereits angekündigt, die Fälle je nach Ausgang vor das Bundesverfassungsgericht bringen zu wollen. Möglich ist auch, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte damit befasst. Denn beim Straßburger Gerichtshof können auch nicht-staatliche Organisationen mit einer Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland - beziehungsweise gegen deren höchste Gerichte - vorgehen.

kle/gmf (epd, kna, dpa, dapd)