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Auf der Flucht

2. März 2002

Die Bosnien-Schutztruppe SFOR hat in den vergangenen Tagen mehrfach versucht, den als Kriegsverbrecher gesuchten Radovan Karadzic, festzunehmen. Ein Porträt des Flüchtigen.

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Mit internationalem Haftbefehl gesuchtBild: AP

Radovan Karadzic wurde am 19. Juni 1945 in dem montenegrinischen Bergdorf Petnici als Sohn eines Bauern und Schuhmachers geboren. Er kam im Alter von 15 Jahren mit der Familie nach Sarajevo. Dort besuchte er die höhere Schule und studierte Medizin. 1974/1975 verbrachte er ein Jahr an der Columbia University in New York.

Als Psychiater arbeitete K. zunächst an staatlichen Kliniken (wo er sich auf Neurosen und Depressionen spezialisierte), später mit eigener Praxis in Sarajevo, die er gemeinsam mit seiner Frau unterhielt. Eine Zeit lang war er auch psychologischer Betreuer des FC Barcelona. Nebenbei verfasste Karadzic fünf Gedichtbände, darunter "Ludo koplje" (Verrückte Lanze). 1984 wurde er wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder für den Bau einer privaten Villa verhaftet, nach elf Monaten Haft aber mangels Beweisen vorzeitig entlassen.

Der Weg in die Politik

Als die Kommunisten das politische Machtmonopol verloren, begann sich Karadzic, als großserbischer Nationalist zu profilieren. 1990 war er Gründungsmitglied der Serbischen Demokratischen Partei (SDS), deren Präsident er bis 1996 war.

Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen der Slowenen und Kroaten mit der serbisch geführten Bundesarmee 1991, beschlossen die muslimischen und kroatischen Abgeordneten in Bosnien am 15. Oktober 1991 ohne serbische Vertreter ein "Memorandum über die Souveränität und Unteilbarkeit" der Republik. Die serbischen Abgeordneten reagierten am 24. Oktober unter Karadzics Führung mit der Bildung eines eigenen selbsternannten "Parlaments". Am 9. Januar 1992 proklamierten sie offiziell die "Republika Srpska" mit dem Zentrum um Banja Luka. Damit kündigten sie faktisch die Einheit der Republik Bosnien-Herzegowina auf. Im Mai 1992 wurde Karadzic Präsident der bosnisch-serbischen Verwaltung in Pale. Seine De-jure-Vollmachten beinhalteten u. a. den Befehl über die Armee der bosnisch-serbischen Verwaltung in Kriegs- und Friedenszeiten.

Die völkerrechtliche Anerkennung Bosnien-Herzegowinas als unabhängige Republik (und folgende Aufnahme in die UNO) durch die EG-Staaten und die USA Anfang April 1992 war der Anlass für das Übergreifen des Bürgerkriegs auf Bosnien-Herzegowina. Die Serben eroberten rund 70 Prozent des Gebiets der Republik und schlossen die Hauptstadt Sarajevo weitgehend von der Außenwelt ab.

Vermutliche Beteiligung an Kriegsverbrechen

Wenn auch auf Seiten der Muslime und Kroaten Kriegsgreuel zu verzeichnen waren, so zeigten sich internationale Beobachter weitgehend einig, dass die serbische Seite mit Massenvertreibungen, Vergewaltigungen und brutalem Vorgehen in Gefangenenlagern für die beispiellose Entartung der Auseinandersetzung in erster Linie verantwortlich sei . Nach einem Bericht des UNO-Sonderberichterstatters Tadeusz Mazowiecki (April 1995) ging die Zahl der muslimischen und kroatischen Bewohner in den serbisch kontrollierten Gebieten Bosnien-Herzegowinas seit 1991 um 90 Prozent bzw. 80 Prozent zurück.

Karadzic hat die Übergriffe stets als unvermeidbare Einzelfälle heruntergespielt, die Massenflucht als "freiwilliges" Verlassen der Dörfer, "um in Deutschland Geld zu bekommen", hingestellt und zahllosen von vornherein unglaubwürdigen Waffenstillstandsvereinbarungen zugestimmt. Den Muslimen warf Karadzic vor, in Gestalt der Einheitsrepublik anderen Volksgruppen die islamische Lebensweise aufzwingen zu wollen.

Im Juli 1995 erhob das Ende 1993 konstituierte Internationale Tribunal für Verbrechen im früheren Jugoslawien (ITCY) Anklage gegen Karadzic und Armeechef Ratko Mladic wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im November 1995 wurden die beiden zusätzlich wegen Völkermords nach der Eroberung von Srebrenica angeklagt und ab Juli 1996 per internationalem Haftbefehl gesucht. Insgesamt soll er die Verantwortung für 75.000 zivile Opfer, 417 Massaker, 378 Lager und 93 Massengräber tragen. (pg)