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Reise

Auf ein Rendezvous mit Coimbra

Konstantin Arnold
23. Juli 2019

Nach Coimbra kommen, ist wie jemanden kennen zu lernen, bei dem eigentlich alles passt. Die ehemalige portugiesische Hauptstadt hat alles, um eine Schönheit zu sein. Eigentlich.

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Portugal Coimbra Altstadt ohne Bushaltestellen, Brücken und Dönerläden
Bild: DW/K. Arnold

Es gibt Plätze mit Statuen, Cafés drum herum und 300 Jahre alte Bäume. Die Tauben sind aggressiv und in den steilen Gassen der Altstadt geht nach Sonnenuntergang das gelbe Laternenlicht an. Coimbra ist ein stolzes Weltkulturerbe, trotz der Tauben, und ist sogar mal Kulturhauptstadt Europas gewesen. Die Universität in Coimbra ist über 700 Jahre alt, die älteste Portugals und eine der ältesten und schönsten Europas. Es gibt viel zu erzählen, die Stadt hat Geschichte, ist kultiviert, sauber und interessant.

Portugal Coimbra - Sehenswürdigkeiten auf dem ersten Blick am Largo da Portagem
Sehenswürdigkeiten am Largo da PortagemBild: DW/K. Arnold

Geheimtipp Coimbra

Coimbra wird durch einen Fluss geteilt, den Mondego. Er entspringt in der Serra da Estrela und mündet in Figueira da Foz in den Atlantik, gehört also ausschließlich den Portugiesen. Die Stadt ist bekannt für ihren nur von Männern gesungenen Fado, der das Studentenleben zum Thema macht und auf nächtlichen Plätzen und Treppenstufen in schwarzen Kapuzen vorgetragen wird. Schon auf den Treppenstufen vor dem Bahnhofsgebäude wird man von der Innenstadt angezogen, ohne dafür ein Smartphone nach dem Weg fragen zu müssen. 

Stadt der Liebe

Portugal Coimbra - Die Quelle der Tränen
Die Quelle der Tränen "Quinta das Lágrimas"Bild: DW/K. Arnold

Linker Hand präsentiert sich das Astoria, das erste Hotel der Stadt. Ein Denkmal der Belle Époque mit stolzen Balkonen, deren Ausblick keine Sehenswürdigkeit der Stadt entgeht. Bis zur Quelle der Tränen, der Quinta das Lágrimas, kann man gucken. Ein sagenumwobener Ort auf der anderen Flussseite, der durch die Liebesgeschichte von Pedro und Inês vom Brunnen zur Quelle der Tränen wurde. Neben Christiano Ronaldo und Georgina Rodriguez, die sich in einem Gucci-Store kennen lernten, die berühmteste Liebesgeschichte des Landes. Der portugiesische Kronprinz Dom Pedro verliebt sich in die Hofdame seiner Angetrauten. Pedros Vater, König Afonso IV, findet das nicht gut und lässt die Geliebte seines Sohnes ermorden. Die Tränen der Sterbenden werden der Legende nach zur Quelle der Tränen, die sich aus dem Mondego speisen und den Tod der Inês auf Ewigkeiten beweinen. Der große Nationaldichter Luís de Camões beschrieb das so: Siehe, welch frische Quelle die Blumen gießt, und wie die Tränen Wasser sind, und der Name Liebe.

Von historischem Ambiente zu Imbissbuden

Portugal Coimbra Hotel Astoria
Eintreten in eine andere Zeit: das Astoria, das erste Hotel der StadtBild: DW/K. Arnold

Von den Balkonen des Astoria aus hielt General Humberto Delgado seine großen pathetischen Reden. In den Zimmern des Oppositionellen formierte sich ab 1969 der portugiesische Widerstand gegen die Diktatur António de Oliveira Salazars. Alles in ihnen ist noch so, wie es Künstler, Literaten und Revolutionäre hinterlassen haben. Nur die Minibar im Salon hat man aufgefüllt. Man läuft noch über denselben Marmor, dreht dieselbe Drehtür und blickt zur Leuchtreklame hinauf. Sogar die Kratzer im Parkett sind original geblieben und die Geheimtür im Zimmer 326 hat man in der Schrankwand gelassen. Ein geheimer Fluchtweg führt durch den Keller direkt hinter das Hotel, in eine enge, dunkle Gasse, zufällig vor das beste Lokal der Stadt. Warten zum Zeitpunkt Ihrer Flucht weniger als zehn Personen vor dem Lokal auf einen Tisch, sollten Sie die Flucht vergessen und sich für einen schwarzen Tontopf namens Chanfana anstellen. Das Ziegenfleisch hat vier bis fünf Stunden im Ofen geschmort und wurde dabei ständig mit Bairrada-Wein begossen. Abgesehen von vereinzelten, gastronomischen Höhepunkten ist das Essen der Stadt touristisch: schnell, billig und langfristig gesundheitsschädigend. Viele Restaurants verkaufen Hamburger. Es ist das Essen einer Stadt, in der ohne Studenten der Wind vom Land wehen würde.

Portugal Coimbra Harry Potters Vorbilder
Studierende in akademischer TrachtBild: DW/K. Arnold

Studieren im Welterbe

Das Beste, was man in Coimbra machen kann, ist studieren. Die Fakultäten thronen nur so über der Stadt und verlangen von allen Immatrikulierten Ehrfurcht vor wissenschaftlicher Tradition. Im Gegenzug dürfen sie dann in Sehenswürdigkeiten studieren, die seit 2013 zum Weltkulturerbe gehören und deren Besuch 12 Euro Eintritt kostet. Wunderschön. Allen voran die Biblioteca Joanina, in der 60.000 literarische Schätze des Landes liegen. Die Studenten selbst wohnen in uralten Häusern, in denen etwa Eça de Queiroz, Miguel Torga und viele weitere Dichter lebten, die außerhalb Portugals allerdings kaum jemand kennt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierten Camilo Castelo Branco oder Camilo Pessanha, ein Vorzeigebohemien (talentiert, arm, Opium, Tod durch Tuberkulose) in den Studentenstuben die literarische Bewegung Questão Coimbrã, die sich von hier aus über das ganze Land ausbreiten sollte. Sie brachten Fernando Pessoa, Portugals Nationaldichter, in Lissabon dazu, endlich die Moderne einzuläuten.

Gedenktafel an Eca de Queiroz in Coimbra
Gedenktafel für einen der berühmtesten Studenten der Stadt: Eca de QueirozBild: DW/K. Arnold

In Coimbra litten sie schon immer an revolutionärer Frühreife. In den Augen seiner Studenten war Portugal um die Jahrhundertwende zur Revolution bereit, nur sollte sich die Gewalt ihrer Gedanken erst Jahrzehnte später entfachen, 1958, als Delgado von jenen Balkonen sprach, um Salazar zu stürzen und 1969, als sich der Widerstand wirkungsvoll zu formieren begann. So wurde Coimbra zu einem Ort, an den man kam, um spüren zu können, was dem Rest des Landes erst noch bevorstehen würde.

Coimbras literarisches Erbe

Heute versuchen Einrichtungen, wie die Casa da Escrita, das Haus des Schreibens, dem gewaltigen literarischen Erbe der Stadt gerecht zu werden. Mit gutbürgerlichem Erfolg, jedoch ohne jene revolutionäre Lebendigkeit alter Tage. Die Einrichtung generiert eher Massenware, nichts Avantgardistisches, kein Rebellentum - bis auf die mit Edding an Hauswände geschmierte Ausrufesätze. Trotzdem lädt das Haus zum Denken ein, genauso wie die vielen romantischen Lustgärten der Stadt. Man kann Castelo Branco und Queiroz dort förmlich wandeln sehen. Und immer, wenn man sich dieser Vorstellung hingibt, steht eine Bushaltestelle im Weg, oder eine neumodische Brücke, ein Danone-Schirm oder ein Dönerladen, der einen ganz schnell wieder aus den nostalgischen Weiten seiner Fantasie zurück in die Gegenwart schubst.

Coimbra in Portugal
Immer, wenn man denkt, gleich verliebt man sich in Coimbra, ist irgendetwas im WegBild: DW/K. Arnold