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Glaube

Auf halber Treppe

2. August 2018

Wann ist ein Leben geglückt? Wenn wir geschafft haben, wovon wir geträumt haben? Antje Borchers beschreibt für die evangelische Kirche das Glück im Unfertigen

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Berlin leerstehendes Wohnhaus
Bild: Imago/photothek

Ein Dutzend Kinder

Was ist eigentlich, wenn Lebensträume sich nicht erfüllen? – Als ich dreizehn war, träumte ich davon, später mal ein Dutzend Kinder zu haben. Das kann nun wirklich nichts mehr werden. Selbst wenn ich mich sehr anstrengte: Diesem Traum steht mittlerweile die Biologie im Weg.

Ich sitze sozusagen auf halber Treppe. Ein englisches Kinderlied beschreibt es so: Bis oben bin ich nicht gekommen, noch mal runter und von vorne anfangen kann ich auch nicht: „Half way up the stairs is the stair where I always stop.“ Immer lande ich auf der halben Treppe.

Was ist aus Ihren Träumen geworden? Sitzen Sie auch auf halber Treppe?

Was ist, wenn wir nicht am Gipfel unserer Träume angekommen sind? Weil wir nicht das Zeug dafür hatten oder den Mut. Oder weil es die Umstände nicht mehr zulassen. –  Tja, wir müssen damit leben: Bestimmte Dinge unseres Lebens gelingen nicht. Vieles haben wir nur halb gehabt und halb gemacht. Aber wir haben wenigstens die Hälfte. Der Theologe Fulbert Steffensky sagt dazu: „Von keinem protestantischen Vollkommenheitsterrorismus lasse ich mir das Halbe und das nicht zu Ende Gebrachte entwerten. Wer sagt denn, dass die Süße nur in der Ganzheit liegt? Es gibt die Süße der Halbheit.“

Eine schöne Lebenstreppe

Halb oben sitzen wir also. Immerhin. Denn auch von hier können wir einiges überblicken. Zum Beispiel die Stufen, die wir schon gestiegen sind: das, was wir gesehen und gehört haben, was wir gearbeitet und gelitten haben, wo wir geliebt haben und geliebt wurden.

Es ist eine Art Hochmut, der uns dazu verführt, unzufrieden mit uns selbst zu sein: „Wir hätten Größeres leisten und erfolgreicher sein können.“ Mit solchen Gedanken pflegen wir einen stillen Stolz auf unsere hohen Erwartungen. Was wir erreicht haben, kann dann nur enttäuschen. Wir sind unzufrieden und machen unser Leben kleiner. Dabei ist unsere Lebenstreppe schön und bunt: Gut, zwölf Kinder habe ich nicht, aber einen netten Mann, den habe ich. Und Freunde. Und Patenkinder. Das sehe ich mir von meiner halben Treppe aus an und stelle fest: Unzufrieden? Nein, dankbar!

Symbolbild Hände
Bild: Fotolia/Robert Kneschke

Neben mir auf halber Treppe sitzt übrigens Gott, der Ermutiger und Trösterin ist, Gott, der mit mir die Stufen bis hierher hochgestiegen ist. Wir beide wissen: Meine Möglichkeiten reichen nicht, um alle meine Träume zu verwirklichen. Ich bin nicht genug für manches. Wir alle zusammen sind nicht genug, um die ganz großen Träume zu verwirklichen oder die Welt zu retten. Aber: Wir müssen es auch nicht, ich muss es auch nicht. Gott an meiner Seite ist da meine große Erleichterung. Die Last der Welt liegt nicht auf meinen Schultern. Wir Menschen können in Heiterkeit Fragment sein. Das gibt unserem Leben Spiel.

Ich kann darum gelassen und ohne Gram leben. Wenigstens meistens. Gott an meiner Seite sieht mich mit freundlichen Augen an und sagt: Du bist, die du bist – hier auf der halben Treppe, erst recht am Ende deines Lebens.