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Auf Knopfdruck anonym werden

Michael Gessat24. Juli 2012

Bei YouTube lassen sich ab sofort Gesichter in Videos vor der Veröffentlichung automatisch unkenntlich machen - die neue Funktion könnte zum Beispiel Demonstranten vor Repressionen schützen.

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Ein Mann macht auf dem Tahrir-Platz in Kairo mit seinem Handy ein Foto (AP Photo/Ben Curtis)
Bild: AP

Ob bei der Revolution in Tunesien, beim Umbruch in Ägypten oder bei den aktuellen Auseinandersetzungen in Syrien – was die Weltöffentlichkeit an bewegten Bildern von den Ereignissen zu sehen bekommt, stammt zu einem großen Teil aus dem Internet. Es sind Amateurvideos von unmittelbar Beteiligten, gefilmt mit dem Handy und dann hochgeladen in die Sozialen Netzwerke oder auf Plattformen wie YouTube. Die Filmclips dokumentieren Gewaltakte von Polizei oder Militär, sie dokumentieren andererseits auch Proteste und Demonstrationen der Bevölkerung; und vom Druck auf den Aufnahmeknopf bis zur weltweiten Verbreitung dauert es im Idealfall gerade noch ein paar Minuten. 

Risiko für Demonstranten und Aktivisten

Die Internet-Filme sind eine ebenso wichtige wie heikle Informationsquelle. Wo es keine journalistischen Standards gibt, lässt sich die Authentizität des Gezeigten kaum einschätzen – im Netz kursieren auch Propaganda und gezielte Fälschungen. Aber meist werden die Filmclips wohl völlig unbearbeitet hochgeladen, weil es den Urhebern schlicht an den Möglichkeiten dazu fehlt. Das kann völlig unbeabsichtigte, aber sehr gravierende Folgen haben. Wenn Aktivisten Filme von Demonstrationen gegen repressive Regimes ins Netz stellen, dann bringen sie im schlimmsten Fall die Abgebildeten in Lebensgefahr. Denn auch die örtlichen Polizei- oder Geheimdienste können die Aufnahmen leicht auffinden und dann nach identifizierbaren Personen durchforsten.   

Verschleierung per Algorithmus

Genau dieses Szenario hat YouTube mit der neuen Funktion "Blur all Faces", also "Alle Gesichter unkenntlich machen" vor allem im Blick, so schreibt das Unternehmen im offiziellen Firmenblog: Die "visuelle Anonymität" in Videos werde es Menschen erlauben, persönliches Filmmaterial weitgehender zu verbreiten und Dinge offen auszusprechen.

Screenshot YouTube Anonymisierungsfunktion Link: http://youtube-global.blogspot.de/2012/07/face-blurring-when-footage-requires.html
Screenshot der YouTube- AnonymisierungsfunktionBild: YouTube

Zu finden ist die neue Funktion nun in jedem YouTube-Account unter dem Menüpunkt "Video verbessern – Weitere Optionen"; wer hier auf "Anwenden" klickt, dem präsentiert das System links das Ausgangsmaterial und rechts die bearbeitete Version. Ein weiterer Klick sorgt dann auf Wunsch dafür, dass das Original von den Servern von YouTube gelöscht wird – und zwar "sehr schnell"; das versichert Firmensprecherin Jessica Mason auf Nachfrage des Technik-Blogs "Arstechnica".

Keine perfekten Resultate

Möglicherweise werden aber verantwortungsvolle Aktivisten oft auch die anonymisierte Fassung lieber nicht veröffentlichen, sondern ebenfalls gleich wieder löschen wollen. Die neue Ein-Klick-Funktion sei nämlich noch lange nicht perfekt, davor warnt YouTube selbst. Und das kann praktisch jeder bestätigen, der "Blur all Faces" einmal ausprobiert hat: Das Resultat hängt stark davon ab, wie lang der Film ist, wie die Belichtungsverhältnisse sind und wie deutlich erkennbar die Gesichter sind – denn um sie verschleiern zu können, muss der Algorithmus sie natürlich erst einmal entdecken.

Technisches Neuland betritt YouTube mit der neuen Funktion übrigens nicht unbedingt: Das Mutterunternehmen Google hatte mit der gleichen Methode auch schon das Bildmaterial in dem Straßenansichtsdienst "Street View" bearbeitet und auf den in zahlreichen Ländern aufgenommenen Fotos die Gesichter von Passanten automatisch "verpixelt". Besonders in Deutschland verlangten viele Mieter und Hausbesitzer zudem noch einen digitalen Vorhang vor ihrer Wohnstätte -  der neue YouTube-"Gesichtsschleier" sieht praktisch genauso aus.       

Gefahr durch automatische Gesichtserkennung

Aber die aktuellen Computeralgorithmen können längst viel mehr, als nur festzustellen, dass und wo auf einem Foto oder in einem Video ein Gesicht zu sehen ist. Die eigentliche Gesichtserkennung, also die Identifikation von konkreten Personen ist bei Fotos technisch nahezu ausgereift; sie steckt schon in vielen Softwareprodukten und ist nebenbei auch beim Sozialen Netzwerk Facebook "eingebaut". Und mittlerweile kann Google wohl auch in Videofilmen Individuen recht gut identifizieren; Anfang Juli wurde nämlich ein entsprechender Patentantrag des Unternehmens bekannt.

Exil-Syrer demonstrieren in Jordanien Quelle: REUTERS/Ali Jarekji
Problemlos zu erkennen: Exil-Syrer demonstrieren in JordanienBild: Reuters

Und so gibt es neben dem Lob für die neue YouTube-Anonymisierungsfunktion auch Befürchtungen von Menschenrechtlern, die moderne Computertechnik könne sich unter dem Strich eher als ein Gewinn für repressive Regimes erweisen: Wenn Googles Video-Gesichtserkennung erst einmal verfügbar ist, dann wird sie auch Geheimdiensten und staatlichen Schnüfflern eine Menge Arbeit ersparen.