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Aufgegleist und ausgerollt

26. November 2010

Für gewöhnlich schrecken Manager vor Anglizismen nicht zurück. Umso überraschter war ich, als ich zwei Vertreter dieser Zunft sagen hörte, dass sie ein Projekt aufgegleist und kurz darauf ausgerollt hätten.

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Schriftsteller Burkhard Spinnen (Foto: privat)
Bild: privat

Voll krass!, dachte ich mit der Stimme meines 16-jährigen Sohnes im Kopf, dann entfernte ich mich unbemerkt, um hinter der nächsten Ecke mittels meines neuen Smartphones im Internet zu checken, ob die beiden Herren sich einer mainstreamigen Terminologie bedienten oder ob es sich bei ihnen um ewiggestrige Außenseiter handelte.

Aufbruch zur Fremdwörter-Treibjagd?

Das Ergebnis war dann ziemlich eindeutig: Aufgleisen und Ausrollen, diese rein deutschen und damit im Marketingkontext gewissermaßen altertümlich, ja saurierhaft wirkenden Worte, gehören tatsächlich zum aktuellen Sprachgebrauch der Branche. Was damit gemeint ist, muss man nicht errätseln oder ergoogeln, es ergibt sich von selbst. Ein Projekt wird aufgegleist, damit es in Bewegung kommt, und ausgerollt, in etwa wie ein Plan oder wie ein Teppich, damit es sich in seinem ganzen Umfang präsentieren kann.

Ist das nun die Wende? Vor ein paar Wochen hat Bahnchef Grube bereits angekündigt, den Sprachgebrauch der Deutschen Bahn einer kritischen Prüfung zu unterziehen, was natürlich heißt, auf überflüssige oder gar irreführende Anglizismen zu verzichten. War das vielleicht der Startschuss zu einer Treibjagd auf alle albernen oder bösen Fremdwörter?

Den Kopf voller farbiger Bilder

Ich denke: nein. Solange die Globalisierung fortschreitet, weil so viele Menschen von ihr profitieren, solange wird auch die Tendenz zur Anglifizierung insbesondere der Fachsprachen anhalten. Aber ganz nett ist es schon, die Damen und Herren aus dem Marketing dabei zu beobachten, wie ihnen gelegentlich auch Sprachkunststücke auf heimischem Rasen gelingen.

Für mich als Hörer, der ich nun einmal deutschsprachig aufgewachsen bin, blühen die deutschen Metaphern anders auf als die englischen.

Beim Aufgleisen und Ausrollen habe ich spontan handgreiflichere und farbigere Bilder im Kopf als bei den entsprechenden Anglizismen. Mag sein, dass auch Aufgleisen und Ausrollen Jargon-Vokabeln sind. Aber als schlichte muttersprachliche Metaphern stellen sie sich dem Sprach-Verstand des deutschen Zuhörers, statt ihn wie viele denglische Begriffe zu überrollen oder aus dem Gleis zu werfen. So, und da ich diese Kolumne gerade abschicken will, fällt mir jemand ins Wort und sagt, Ausrollen sei eine Übersetzung des englischen rollout, das Markteinführung bedeute. Spielverderber!

Autor: Burkhard Spinnen

Redaktion: Marlis Schaum

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).