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Politik

Aufstand gegen den Zentralismus

28. Dezember 2018

Kurz bevor Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, sorgt im Land eine anti-zentralistische Initiative für Aufregung. Es geht auch um die bessere Nutzung von EU-Geldern. Die Regierung wittert Separatismus.

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Rumänien Bukarest Einweihung Kathedrale zur Erlösung des Volkes
Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Ghirda

Kaum hatten die Kreisräte der beiden nordrumänischen Landkreise Maramuresch und Sathmar bekannt gegeben, dass sie der Karpaten-Euroregion beitreten würden, brach in der nationalistischen Presse ein Sturm der Entrüstung aus. Zwar ging es schlicht um eine Wirtschaftskooperation zwischen grenznahen Regionen in Polen, der Slowakei, Ungarn, der Ukraine und Rumänien. Doch in Bukarest tobten Kommentatoren: Der Beitritt der beiden Kreise zur Euroregion sei Separatismus. Kurz darauf schritt die Regierung ein: Sie verbot den beiden Landkreisen, sich der Euroregion anzuschließen. Begründung: Ihre Mitgliedschaft in dem Gremium untergrabe die territoriale Einheit des Landes und gefährde die nationale Sicherheit.

Diese Geschichte ist 25 Jahre alt, wirkt aber wie ein Vorlauf des aktuellen Politikums. Im Frühjahr 1993, kurz nach der Gründung der Karpaten-Euroregion, war sie ein Paradebeispiel für die Auswüchse des Ultrazentralismus im postkommunistischen Rumänien. Doch nun, ein Vierteljahrhundert später, sorgt ein ähnlicher Fall für Aufruhr in der rumänischen Öffentlichkeit - ausgerechnet wenige Tage, bevor Rumänien erstmals die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.

"Allianz des Westens" sucht Wirtschaftsperspektiven

Anfang Dezember gründeten die Bürgermeister der vier wichtigsten siebenbürgischen Städte - Arad, Großwardein (Oradea), Klausenburg (Cluj) und Temeswar (Timisoara) - ein Kooperationsbündis unter dem Namen "Allianz des Westens". Das Bündnis versteht sich nicht als politische Initiative, sondern bezweckt eine bessere ökonomische Zusammenarbeit auf regionaler Ebene. Die vier Metropolen wollen gemeinsame Infrastruktur- und Wirtschaftsprojekte umsetzen und vor allem die Nutzung von EU-Fördergeldern stark verbessern.

Der Entrüstungssturm ließ nicht lange auf sich warten: Der nationalistische Fernsehsender "Antena 3" witterte ein "Manöver für das Auseinanderbrechen Rumäniens", das Boulevardblatt "Evenimentul zilei" titelte: "Wird Siebenbürgen sich loslösen?" Politiker der nominell sozialdemokratischen Regierungspartei PSD bezeichneten die Initiative als Gefahr für die Integrität Rumäniens. Die vier Bürgermeister sahen sich zu Dementis gezwungen. "Wir haben kein separatistisches Projekt", sagte etwa der Bürgermeister von Großwardein, Ilie Bolojan.

Rumänien Liviu Dragnea, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei
Bukarest hat alles unter Kontrolle: Liviu Dragnea, Vorsitzender der regierenden Sozialdemokraten und Präsident der Abgeordnetenkammer.Bild: Getty Images/AFP/D. Mihailescu

Im Gespräch mit der Deutschen Welle weist auch der Bürgermeister von Arad, Gheorghe Falca, den Vorwurf des Separatismus entschieden zurück. "Es geht einfach um eine regionale ökonomische Kooperation", so Falca. "Darauf haben wir ein verfassungsmäßiges Recht." Auch der bekannte siebenbürgisch-ungarische Politiker und Anwalt Péter Eckstein-Kovács bezeichnet die Separatismus-Diskussion gegenüber der DW als unsinnig: "Kein vernünftiger Mensch kann solche Vorwürfe ernst nehmen."

Lokalautonomie versus Nationalismus

Die Themen Regionalismus, Dezentralisierung oder Lokalautonomie führen in Rumänien bis heute zu teilweise absurd anmutenden nationalistischen Reaktionen. Dabei steckt hinter der Initiative der vier Bürgermeister ein generelles Problem: In Rumänen herrscht ein rigider Fiskal- und Finanzzentralismus, der eine Quelle des politischen Klientelismus, der Bürokratie und der Korruption ist. "Viele Gelder werden nur an die jeweilige Klientel der Regierungspartei vergeben", sagt der Politologe Cristian Pirvulescu gegenüber der DW. "Wo die Opposition regiert, kommt wenig oder nichts an."

Die vier Städte der "Allianz des Westen" werden von der liberalen Oppositionspartei PNL regiert, auch alle vier Bürgermeister gehören ihr an. "Wir haben seit drei Jahren für keine größere Investition mehr Geld aus Bukarest bekommen", klagt Gheorghe Falca. Nun will die Allianz für gemeinsame Projekte EU-Gelder beantragen, unter anderem für den Ausbau von Autobahnen und Zubringerstraßen, für den öffentlichen Nahverkehr und für den Bau von Krankenhäusern.

Allerdings hat die Initiative auch eine versteckte politische Komponente: Veröffentlicht wurde die Gründungserklärung der Allianz  wenige Tage nach der Jahrhundertfeier der "Großen Vereinigung", also dem Anschluss Siebenbürgens 1918 an das damalige rumänische Königreich. Über die damalige "Erklärung von Alba Iulia" der rumänischen Volksvertreter zur Vereinigung mit Rumänien wird bis heute gestritten, bietet sie doch Interpretationsspielraum über einen möglichen förderalen Charakter eines vereinigten Rumäniens und über Autonomierechte für seine Minderheiten. Die vier Bürgermeister bekennen sich ausdrücklich zum rumänischen Staat und schreiben zugleich: "Die Erklärung von Alba Iulia schlägt zukünftigen Generationen das Projekt eines von Zentralismus und Bürokratie befreiten Landes vor. Denn starrer Zentralismus und Bürokratie dienen der Kaste der Politiker und Beamten, nicht den Bürgern."

Rumänien Siebenbürgen Probstdorf
Kein Klischee: Landwirtschaft heute im siebenbürgischen Probstdorf Bild: DW/C.Ştefănescu

Es ist ein Spiel mit dem ausgeprägten Regionalstolz der siebenbürgischen Rumänen und ihrer verbreiteten Abgrenzung vom "Königreich", also von den historisch schlechter entwickelten Landesteilen im Süden und Osten. Dahinter steckt einerseits Wahlkampftaktik: 2020 werden in Rumänien sowohl neue Lokalverwaltungen als auch ein neues Parlament gewählt. Die Wählerstimmen in Siebenbürgen sind dabei für die liberale Opposition die wichtigste Basis.

Anderseits knüpfen die vier Bürgermeister unausgesprochen an frühere antizentralistische Manifeste an. Das bekannteste erschien im Herbst 1998 und trug den Titel "Ich habe Rumänien satt", verfasst von dem Klausenburger Publizisten Sabin Gherman, der darin schrieb: "Europa und Siebenbürgen enden an den Karpaten. Außer der Sprache und den schlechten Straßen haben wir nichts gemein. Ich habe Rumänien satt und will mein Siebenbürgen." Das Manifest sorgte damals für wochenlange Aufregung, ein Hochverratsprozess gegen Sabin Gherman wurde erwogen.

Mit derartigem müssen die vier siebenbürgischen Bürgermeister heute nicht rechnen. Mehr noch: Von zahlreichen Bürgermeisterkollegen erhielten sie großen Beifall, ähnliche Initiativen sollen nun auch in anderen Landesteilen gegründet werden. Ob daraus ein erfolgreicher Aufstand gegen den Zentralismus wird, wagt der Politologe Cristian Pirvulescu nicht zu prognostizieren. In einem ist er sich sicher: "Das Konzept des Zentralismus ist in Rumänien gescheitert." 

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Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter