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Politik

Aufwind für Italiens linke Protestbewegung

Elizabeth Schumacher
22. August 2019

Matteo Salvinis Plan von schnellen Neuwahlen ist gescheitert. Aktivisten, die gegen seine Anti-Migrationspolitik auf die Straße gehen, begrüßen die Nachricht und sehen die Rechten in der Verantwortung für die Krise.

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Protest "Mani Rossi" in Rom
Bild: DW/E. Schumacher

Streit, Misstrauensvotum, Rücktritt des Premierministers - und dann Neuwahlen? Nein, Danke! Nachdem Italiens Innenminister Matteo Salvini die Regierung gesprengt und Rom ins Chaos gestürzt hat, beraten die Parteien und das Parlament über eine künftige Regierung. Damit sind Salvinis Pläne, mit seiner rechten Lega-Partei das Ruder zu übernehmen und das Land weiter auf einen Anti-Migrations-Kurs zu lenken, vorerst gescheitert.

Über diese Entwicklung ist vermutlich kaum jemand glücklicher als die 64-jährige Marlene Micheloni und Mauro Carlo Zanella, 54: Seit Salvinis Ernennung zum Innenminister im Juni des vergangenen Jahres gehen die Beiden mindestens einmal in der Woche auf die Straße, um gegen ihn zu protestieren.

Im Angesicht der jahrzehntelangen Berlusconi-Regierung und dem Aufstieg von Salvinis rechtspopulistischer Lega-Partei mag der einst stärkste Linksaktivismus Europas fast verschwunden zu sein. Aber in den Straßen Roms ist er heute lebendig - wiederauferstanden durch das Echo der italienischen Vergangenheit in Salvinis Reden. "Eine Rückkehr des Faschismus ist die logische Folge aus Salvinis Entscheidungen", sagt Zanella. "Es ist die Aufgabe der Menschen, ihn für zum Beispiel all die ertrunkenen Menschen im Mittelmeer zur Verantwortung zu ziehen."

Die "Roten Hände"

Seine Aktivistengruppe, ein lockerer Zusammenschluss von etwa 300 Leuten, nennt sich "Mani Rossi Antirazziste", oder die "Rote Hände Anti-Rassisten" (MRA) - symbolisch für das Blut, das durch die Anti-Migrationsmaßnahmen im Laufe des vergangenen Jahres an den Händen von Salvini und der Lega-Partei klebt. Dazu gehören das Anlegeverbot für Seenotrettungsschiffe in italienischen Häfen und das Schließen von staatlichen Flüchtlingscamps.

Unterstützt wird die MRA auch von einigen prominenten Personen, unter anderem von Enrico Calamai. Der italienischer Diplomat ist wegen der Rettung hunderter Menschen während der früheren argentinischen Militärdiktatur in seinem Heimatland auch als "Schindler von Buenos Aires" bekannt.

Protest "Mani Rossi" in Rom
Micheloni (links) und Zanella (Dritter von rechts) demonstrieren seit Salvinis ErnennungBild: DW/E. Schumacher

Salvini, "der neue Duce"

Zanella, Vater von vier Kindern und Grundschullehrer, hat in staatlichen Schulen selbst erlebt, was passiert, wenn Kindern Lügen über Ausländer eingetrichtert werden. Micheloni, die Tochter von italienischen Migranten in der Schweiz, ist Soziologin und hat Jahre damit verbracht, Minderheiten wie zum Beispiel Migranten zu erforschen. Für beide ist das Gespenst des zurückkehrenden gewaltsamen Nationalismus ein toternstes Thema. Oder, wie Zanella es ausdrückt: "Salvini ist überzeugt, dass die Menschen ihn als neuen Duce (Führer) wollen." Das war der Titel, mit dem Diktator Benito Mussolini sich einst schmückte.

Wie ernst es Zanella ist, das hat sie im Juni mit einem Hungerstreik bewiesen. Und Micheloni steht jeden Morgen um sechs Uhr auf, um Kaffee, Tee und Frühstück für eine Gruppe von etwa 30 Flüchtlingen zu servieren, die durch Salvinis Abriss der Camps und die Einschränkung der staatlichen Unterstützung obdachlos geworden sind. Anfang August waren die beiden Aktivisten dabei, als Mitglieder der MRA das Senatsgebäude nach der Verabschiedung eines "Sicherheitsdekrets" stürmen wollten - eine international umstrittene Entscheidung, wonach Menschen bestraft werden sollen, die Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken retten.

Angst vor der Polizei hat die Gruppe keine, auch wenn ihre Präsenz auf den Straßen Roms immer sichtbarer wird. Mit ihrem Aufschrei "Ich hätte lieber 100 Flüchtlinge in meinem Haus als einen einzigen Polizisten" hat sich Micheloni in der Gruppe einen Namen gemacht. Und das sind nicht nur leere Worte: Regelmäßig nimmt sie Migranten bei sich auf, die durch die Versuche der Lega, alle Nicht-Italiener von den Landesgrenzen fernzuhalten, vertrieben wurden.

"Salvini ist erledigt - fürs erste"

Vor zwei Wochen riss Salvini die Regierung in eine tiefe Kriese, als er zu einem Misstrauensvotum gegen Premierminister Guiseppe Conte aufrief. Doch der Schritt hatte nicht die gewollte Wirkung, sondern bescherte dem Innenminister gleich zwei Blamagen: Zunächst entschied der Senat, das Votum nicht sofort abzuhalten. Und am Dienstag hielten Conte und weitere Gesetzgeber vernichtende Reden, in denen sie Salvini dafür verurteilten, die Regierung vorsätzlich gestürzt zu haben und die Italiener "unverantwortlicherweise" schon nach etwas mehr als einem Jahr zurück zu den Wahlurnen zu rufen.

"Ich bin froh, dass Salvini jetzt erledigt ist - fürs erste. Ich habe aber ein bisschen Angst davor, was als nächstes kommt," sagt Micheloni. Der bisherige Koalitionsparter der Lega, die Fünf-Sterne-Bewegung, und die Sozialdemokraten des früheren Premierministers Matteo Renzi führen aktuell Gespräche über eine mögliche neue Koalition. Aber für Micheloni würde der Schritt nicht nur zu einer weiteren instabilen Regierung führen. "Die Sozialdemokraten sind in einigen Punkten nicht besser als die Lega, auch sie haben Leute verfolgt, die Flüchtlingen helfen wollten."

"Es ist ein großes Risiko, mit einer neuen Koalition, einer weiteren illegitimen italienischen Regierung weiter zu machen", stimmt Zanella ihr zu. Aber er ist optimistisch: "Ich hoffe, dass die Italiener genug von diesen ständigen Veränderungen haben. Es ist eine große Chance für die Sozialdemokraten, so wie man es in Nordeuropa sehen kann. Oder für Menschen mit noch revolutionäreren Ideen. Wir brauchen Politiker mit Mut, weil die Sterne und die Sozialdemokraten es nicht auf die Reihe kriegen, wenn sie an der Macht sind."

Beide sind sich sicher: Die Tage ihres Protests sind noch lange nicht vorbei. "In Rom haben Demonstrationen eine lange Tradition", sagt Zanella. "Und wir werden niemals aufhören. Wenn du nicht aufpasst, kann alles, was aufgebaut wurde, blitzschnell zerstört werden."