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Aus Deutschland zurück zur Revolution

Heiner Kiesel26. November 2013

Die Ägypterin Randa Abou-bakr hat sich schon als Kind für Deutschland interessiert. Ihre Forschungsaufenthalte in Berlin haben den Blick der Übersetzerin auf ihr Fach verändert - und auch ihr persönliches Leben.

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Porteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo (Foto: REUTERS)
Bild: REUTERS

Es sei wirklich ganz und gar kein Kulturschock mit ihrem ersten Besuch in Deutschland verbunden gewesen, meint die Ägypterin Randa Abou-bakr. Hätte ja sein können, damals im Jahr 2002, als die Anglistin im Alter von 36 Jahren für ein Jahr nach Berlin ging. In Kairo lebte sie noch behütet im Elternhaus, ging von dort aus täglich zur Geisteswissenschaftlichen Fakultät an der Universität von Kairo, wo sie fünf Jahre vorher ihren Doktor gemacht hatte und seither englische und vergleichende Literaturwissenschaft lehrt. Dann kam mit einem Stipendium vom Wissenschaftskolleg der Aufbruch nach Berlin. Zum ersten Mal in Deutschland für ein Jahr: "Es war viel besser, als ich gedacht hatte, wahrscheinlich auch, weil Berlin so eine kosmopolitische Stadt ist", erinnert sie sich. Irgendwie war es fast arabischer als zu Hause: Gleich in der ersten Woche gab es eine Veranstaltung mit arabischer Poesie und eine andere mit arabischer Musik. "In Kairo wäre ich da wohl nicht hingegangen, hier schon."

Ein Wälzer über Deutschland

Randa Abou-bakr war dank intensiver Lektüre schon lange vor ihrem Besuch zuvor ziemlich breit informiert über das, was sie in Mitteleuropa erwartete. "Ich weiß nicht, woher mein Vater das Buch hatte oder warum er es mir gegeben hat. Es war ein dickes Buch voller Bilder und Tabellen mit dem Titel 'Fakten über Deutschland'." Sie sei da gerade einmal acht oder neun Jahre alt gewesen, sagt sie. Der Wälzer war auf Arabisch und sei vermutlich vom Auswärtigen Amt herausgegeben worden. "Ich war sofort fasziniert von den Leuten und ihrer Geschichte."

Alumna Randa über deutschen Humor

Aber das war erst der Anfang. Mit Begeisterung stürzte sich Randa Abou-bakr auf alles, was aus Deutschland kam: Bücher, Frauenzeitschriften, Modehefte und Familienshows - zumindest das, was es in englischer und arabischer Übersetzung davon gab. "Da waren immer kleine Hinweise darauf zu finden, welche sozialen Ideen hinter all dem steckten." Ein Lächeln umspielt ihre Augen, wenn sie über ihr kindliches Deutschlandbild spricht. Bis sie das wirkliche Leben dort kennenlernte, hatte sie noch viele Jahre, um an Informationen zu kommen, die näher an der Realität waren.

Verantwortung in der Heimat

In Deutschland konnte Randa Abou-bakr endlich einmal für sich allein leben - außerhalb des Elternhauses. "Ich war in einem Wohnheim für ausländische Stipendiaten, da hatten wir alle ganz ähnliche Interessen, aber wir haben natürlich nicht so viel Deutsch geredet", erzählt sie. Auch ihren zweiten Forschungsaufenthalt in Berlin, von 2005 bis 2007, verbrachte sie in dem Wohnheim. Sie besuchte Vorlesungen zu den Übersetzungstheorien des deutschen Philosophen Hans Schleiermacher und beschäftigte sich mit den Arbeiten von Jürgen Habermas über die Prozesse in der deutschen Gesellschaft nach der Nazidiktatur. An beidem hatte sie ein starkes persönliches Interesse. Als Übersetzerin arbeitete sie bereits, und die soziologischen Beobachtungen von Habermas waren für sie als Ägypterin zunehmend wichtig, weil sich auch ihr Heimatland in einem Transformationsprozess befand.

Der Philosoph Jürgen Habermas (Foto: dpa)
Der Philosoph Jürgen Habermas hat Randa inspiriertBild: picture-alliance/dpa

Aktiv gegen das Regime

So sehr Randa Abou-bakr das Leben in Deutschland geschätzt und auch ersehnt hat - für sie wäre es keine Option auf Dauer gewesen, stellt die Wissenschaftlerin fest. "Da sind die Freunde und die Familie, die man vermisst, aber ich hatte auch das Gefühl, dass ich noch eine Art gesellschaftlicher Verantwortung habe, der ich in Deutschland nicht gerecht werde." Sie wollte wieder zurück zu ihren Studenten und mit ihnen aktiv werden: gegen das Regime von Präsident Mubarak, gegen die Diktatur. Die Professorin der Kairoer Universität setzte sich in der "Bewegung des 9. März" für die Freiheit der Hochschulen ein, zog im Januar 2011 praktisch täglich zum Demonstrieren an den Tahrir-Platz. Schließlich nahm sie an den ersten frei organisierten Wahlen zur Leitung ihrer geisteswissenschaftlichen Fakultät teil und wurde deren erste Dekanin. Nur kurz, denn die Wahl wurde angefochten und der Posten einem Konkurrenten zugesprochen. Sie engagiert sich weiterhin inner- und außerhalb der Uni für den demokratischen Wandel in ihrem Land.

Selbstständig denken und leben

Ihre Zeit in Deutschland bezeichnet Abou-bakr als "transformativen Prozess". Er hat ihren Blick auf ihr Fach und ihre Arbeitsweise verändert. "Natürlich war ich beeindruckt davon, wie ernst die Leute hier ihren Job nehmen, aber vor allem habe ich angefangen, viel kritischer mit den Methoden der westlichen Literaturkritik umzugehen", sagt sie. Dieser ganze theoretische Rahmen würde in ihrer Heimat viel weniger in Frage gestellt. "Das ist schon irgendwie seltsam, dass ich dafür erst nach Deutschland musste." Sie findet, dass sie die Arbeit in ihrer Fakultät nun viel besser organisieren kann. Aber das geht nicht allein auf das Konto ihrer Deutschlandaufenthalte. Sie hat inzwischen in einer ganzen Reihe europäischer Länder - in Italien, den Niederlanden und Polen - geforscht. Auch persönlich veränderte sie ihr Leben, nachdem sie von Berlin nach Kairo zurückging. "Ich bin endlich bei meinen Eltern ausgezogen." Jetzt wohnt sie nahe an den Pyramiden und auch näher an ihrem Arbeitsplatz. Ein großer Schritt, sagt sie, denn das mache man eigentlich nicht als unverheiratete Frau in Ägypten.

Demonstranten in Kairo (Foto: picture-alliance/AP)
Bei den Umwälzungen in ihrer Heimat möchte Randa Abou-bakr dabei sein und den Wandel mitgestaltenBild: picture-alliance/AP