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Aus für Frauenquote

4. März 2010

In keinem anderen arabischen Land sitzen so viele Frauen im Abgeordnetenhaus wie im Irak. Dort sind laut Verfassung 25 Prozent aller Sitze für Frauen reserviert. Doch nach den Wahlen wird diese Quote abgeschafft.

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Weibliche Abgeordnete im irakischen Parlament (Foto: AP)
Weibliche Abgeordnete im irakischen ParlamentBild: AP
Eine Sitzung im irakischen Parlament in Bagdad (Foto: dpa)
Eine Sitzung im irakischen Parlament in BagdadBild: picture alliance/dpa

275 Abgeordnete umfasst das irakische Parlament, nach den Wahlen am Sonntag (07.03.2010) werden es sogar 325 sein - und wie bisher wird auch im neuen Abgeordnetenhaus jedes vierte Parlamentsmitglied weiblich sein. Diese Quote ist einmalig in der arabischen Welt: Nirgendwo sonst im Nahen Osten sitzen so viele Frauen im Abgeordnetenhaus wie in Bagdad. Im Durchschnitt liegt der Frauenanteil in arabischen Parlamenten nur bei rund zehn Prozent.

Die Frauenquote: ein Vermächtnis der USA

Im Jahr 2005, kurz vor der ersten Wahl nach dem Sturz Saddam Husseins, war die 25-Prozent-Quote in der irakischen Verfassung festgelegt worden - vor allem auf Druck der USA, die den Frauen eine Chance geben wollten, bei der zukünftigen Gestaltung des Landes ein wichtiges Wort mitzureden. So ist der Frauenanteil im irakischen Parlament mittlerweile sogar deutlich höher als der im Kongress in Washington.

Dennoch wird die Wahl am Sonntag die letzte sein, bei der es eine Frauenquote gibt. Laut Verfassung wird die sowieso stark umstrittene Regelung direkt nach dem Urnengang abgeschafft. Eine Quotenregelung wird es dann nur noch für religiöse Minderheiten geben. Fünf Sitze sind für die irakischen Christen reserviert, und auch die Schabak, die Jesiden und die Sabäer besitzen ein geschütztes Kontingent an Mandaten im neuen Parlament.

Stark umstrittene Regelung

Männliche Abgeordnete in Iraks Parlament (Foto: AP)
Der irakische Staatsapparat wird vor allem von Männern kontrolliertBild: AP

Dabei ging vielen Frauen die Quotenregelung eigentlich nicht weit genug. So wie Maisun al-Damludschi. Die sunnitische Abgeordnete ist selbst eine vehemente Verfechterin der Frauenquote. Zusammen mit einer ganzen Reihe von Parlamentarierinnen fordert sie sogar deren Ausweitung auf weitere Bereiche des irakischen Staates, etwa auf die Justiz und den Verwaltungsapparat. Doch Al-Damludschi musste feststellen, dass die Vorstellungen irakischer Politikerinnen selbst in der Frauenfrage weit auseinander gehen. So trifft die Quotenregelung nicht einmal bei denen auf ungeteilte Zustimmung, denen sie unmittelbar Vorteile verschafft: bei den Frauen selbst.

Die konservative Politikerin Marha al-Duri etwa, die für die Partei des schiitischen Geistlichen Muktada al-Sadr im Parlament sitzt, gibt zwar zu, dass die Regelung für die letzte Parlamentswahl sehr wichtig war. Denn so hätten Frauen überhaupt erst die Chance bekommen, in der irakischen Politik eine Rolle zu spielen. Aber in Zukunft brauche man die Quote nicht mehr. "Frauen sollten sich unter den gleichen Bedingungen zur Wahl stellen wie Männer," findet Al-Duri, "denn sie haben ihre politische Kompetenz bereits unter Beweis gestellt." Für Maisun al-Damludschi gibt es zwischen den Frauen im irakischen Parlament viel mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Einigkeit herrsche im Grunde nur in zwei Punkten: "Wir müssen die Bildungschancen im Land verbessern und die Gewalt gegen Frauen stoppen!" Über alle anderen Themen seien die weiblichen Abgeordneten tief zerstritten, bedauert die Politikerin.

Zerstrittenheit und Solidarität

Wahlplakate in Bagdad (Foto: AP)
Wahlplakate in BagdadBild: AP

Wie unterschiedlich die Einstellungen zu Themen wie Religion und der Rolle der Frau sind, wird schon an den Wahlplakaten der Kandidatinnen deutlich: Während einige von Kopf bis Fuß verhüllt sind, zeigen sich andere ohne Schleier, geschminkt und mit offenem Haar. Im nordirakischen Kirkuk musste sogar die Polizei eingreifen, weil vor dem Plakat einer besonders attraktiven Kandidatin regelmäßig der Verkehr ins Stocken geriet.

Auch wenn die Vorstellungen der irakischen Frauen im Parlament teilweise weit auseinandergehen, halten sie doch zusammen, wenn sie von Männern diskriminiert werden. Als der frühere Parlamentspräsident Mahmud al-Maschadani öffentlich verlauten ließ, dass Politikerinnen keine gute Arbeit verrichten könnten, weil sie ständig in Sorge seien, dass ihr Mann fremdgehen könnte, verließen die weiblichen Abgeordneten aller Parteien kurzerhand geschlossen die Sitzung. Sie wollten erst zurückkehren, wenn Al-Maschadani selbst den Saal verlassen habe. Schließlich knickte der Parlamentspräsident ein und entschuldigte sich für seine Äußerung. "Ich glaube, er hat daraus gelernt", sagt die Abgeordnete Al- Damludschi heute. Zumindest schlägt der Sunnit heute andere Töne an als damals: "Frauen", sagte Al-Maschadani erst kürzlich, "haben Talent und die Fähigkeit, im Parlament noch viel mehr zu bewirken."

Umso mehr bedauern Frauen wie die sunnitische Abgeordnete Maisun al-Damludschi oder Hamida al-Husseini, dass die Frauenquote wegfallen wird: "Frauen", fürchtet die irakische Wahlleiterin, "werden in Zukunft in unserer patriarchalischen Gesellschaft kaum noch eine Chance haben, gewählt zu werden."

Autor: Thomas Latschan (ap, dpa)

Redaktion: Diana Hodali