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Glaube

Lebendigen Steine.

12. Mai 2021

Eigentlich brauchen wir keine Kirchengebäude. Trotzdem wollen wir sie, obwohl es im Grunde nur um die Menschen geht – um die lebendigen Steine.

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Geburtskirche in Jerusalem

Flöhe sind schuld, dass in der kleinen Stadt Parchim in Mecklenburg-Vorpommern eine katholische Kirche steht. Ohne sie und ihre Hartnäckigkeit hätte es wohl auch noch knapp 400 Jahre nach der Reformation so schnell kein katholisches Gotteshaus in der Stadt gegeben. Wie es dazu kam? Im 19. Jahrhundert wurden in der Region südöstlich von Schwerin vermehrt Zuckerrüben angebaut. Die Arbeiterinnen und Arbeiter wurden in Polen angeworben und mussten in Parchim unter teilweise katastrophalen hygienischen Bedingungen leben. Sonntags konnten sie gemeinsam Gottesdienst feiern und damit sie bei der Gelegenheit gleich ihr Geld in der Stadt ausgaben, feierten sie eine Weile lang im großen Rathaussaal die heilige Messe. Kamen am Montag dann die Ratsherren im Rathaussaal zusammen, wurden sie von den zurückgelassenen Flöhen erobert.

Und diese „Belagerung“ führte dazu, dass man den Katholiken in Parchim ein Grundstück für den Bau einer Kirche schenkte. Seit 1913 gibt es deshalb in Parchim die Kirche St. Josef.

Dass Gottesdienste wie in Parchim im Rathaus oder im großen Saal der örtlichen Gaststätte oder auf einer Wiese gefeiert wurden, war in der Vergangenheit keine Seltenheit und gerade in der Diaspora Alltag. Zwar steht nirgendwo in der Bibel, dass die zwei oder drei, die in seinem Namen zusammenkommen, eine Kirche bauen sollen. Vielmehr ist nach biblischem Verständnis weniger ein Gebäude als vielmehr die Versammlung der Menschen der zentrale Punkt. „Einen Tempel sah ich nicht.“ heißt es dann auch sehr nüchtern in der Offenbarung des Johannes über das neue Jerusalem (Offb 21, 22). Entsprechend schreibt auch der Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? (…) Denn Gottes Tempel ist heilig und der seid ihr.“ (1 Kor 3, 16 f). Und auch nach heutigem kirchlichen Verständnis ist es nicht das Bauwerk, das heilig ist, sondern es sind die Handlungen.

Gleichwohl gibt es seit mehr als 2000 Jahren das Bedürfnis vieler Christen auf Dauer ein festes Gebäude zu haben, das für Gottesdienste und die Spendung der Sakramente genutzt wird.

Bei den ersten Kirchen wie der Grabeskirche in Jerusalem, der Geburtskirche in Bethlehem oder der Hagia Sophia in Istanbul war sicherlich der Motor des Baus der Wunsch nach einer Verfestigung der Erinnerung, des Gedächtnisses. Zugleich waren diese Kirchen auch ein Ausdruck von Glaubensfreiheit, denn sie wurden erst und nur dort gebaut, wo die Christen nicht mehr verfolgt wurden und sie ihren Glauben öffentlich leben durften.  

Kirchen waren und sind in der Geschichte immer auch ein Statement gewesen – nicht nur, weil man Kirchtürme meistens schon von weitem sah. Häufig sind sie zentraler Punkt einer Stadt, von ihnen geht (Gemeinde-)leben aus. Die deutschen Bischöfe schreiben dazu: „Das Kirchengebäude hält Kirche in der Öffentlichkeit präsent.“ Und Kirchen sind Heimat für viele. Als nach dem Zweiten Weltkrieg plötzlich mehr als eine Million Vertriebene nach Schleswig-Holstein kamen, gab es zum ersten Mal eine bemerkenswerte Zahl von Katholiken in dem Land, die ihre Gottesdienste in katholischen Kirchen feiern wollten, weil das für sie dazu gehörte – ihre Heimat war. Sie packten selbst mit an, bauten ihre Kirchen und spendeten viele Jahre, um die Kosten aufzufangen. Heute sind viele dieser Kirchen baufällig, ihre Sanierung würde die Pfarreietats sprengen. Die Menschen verstehen das rationale Argument, das für die Profanierung von Kirchen angebracht wird. Emotional geht es aber um viel mehr: Für viele sind mit der Kirche, in der sie geheiratet haben, die Kinder getauft und gefirmt wurden, elementare Lebenserinnerungen verbunden. Da tröstet das Argument, dass es ein Kirchgebäude gar nicht braucht, weil man selbst Gottes Tempel ist, wenig. Aber es hilft vielleicht, zu verstehen. Wenn Gottesdienste weiterhin gefeiert werden können (zum Beispiel in der evangelischen Kirche oder im Nachbarort) und wenn das Gemeindeleben weitergeht, weil es andere Versammlungsräume gibt, dann entwickelt sich etwas sehr wichtiges zurück: Die Menschen selbst halten die Kirche, ihren Glauben in der Öffentlichkeit präsent. Schließlich geht es um das Lebendige, die Menschen. Genau daran erinnert auch ein entscheidender Satz, der bei jeder Kirchweihe gesagt wird: Denn Du selbst erbaust Dir einen Tempel aus lebendigen Steinen.

 

Beate Bäumer ist Juristin und Journalistin. Sie ist Leiterin der Katholischen Büros Schleswig-Holstein und Hamburg und damit die Ständige Beauftragte des Erzbischofs von Hamburg am Sitz der Landesregierung in Kiel und bei Senat und Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg.