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Aus Fehlern lernen

Max Borowski27. April 2014

Die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission gilt in aller Welt als Vorbild für die Aufarbeitung von Unterdrückung. Für die meisten Opfer der Apartheid hat sie allerdings keine Gerechtigkeit gebracht.

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Nelson Mandela und Desmond Tutu (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Das jüngste Beispiel in der langen Reihe ist Sri Lanka: Die Regierung des asiatischen Inselstaates kündigte vor wenigen Wochen an, eine Wahrheits- und Versöhnungskommission einzurichten, um das eigene Volk nach Ende des jahrzehntelangen Bürgerkriegs wieder zu einen. Als ersten Schritt schickte das Außenministerium eine Delegation nach Südafrika, um von den Erfahrungen der Kommission zu lernen, die die Verbrechen der Apartheid aufarbeiten sollte.

In zahlreichen Ländern wie Liberia, Südkorea oder Ost-Timor wird stets auf das Vorbild der legendären Wahrheits- und Versöhnungskommission unter Führung des Nobelpreisträgers Erzbischof Desmond Tutu verwiesen. Viele Beobachter in Südafrika macht das allerdings misstrauisch. "Ich sehe das mit einiger Skepsis", sagt Piers Pigou, der Südafrika-Direktor des Think-Tanks International Crisis Group. Denn anders als im Ausland wahrgenommen, sei die Bilanz des Gremiums bestenfalls gemischt. "Es gibt eine Gefahr, dass solche Kommissionen als Instrument eines zynischen Beiseite-Schiebens von Unrecht missbraucht werden". Genau das versuche die südafrikanische Regierung.

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission - eingesetzt vom damaligen Präsidenten Nelson Mandela - ist bis heute die größte Unternehmung dieser Art weltweit. In den Jahren 1996 bis 1998 hörte das prominent besetzte Gremium öffentlich mehr als 20.000 Zeugen an. Über 7000 Täter beantragten Straffreiheit, die die Kommission wenigen von ihnen im Gegenzug für vollständige Geständnisse dann auch gewährte. Die Aussagen der Opfer und teilweise auch der Täter erschütterten nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch den Kommissionsvorsitzenden Tutu bereits in der ersten Sitzung so sehr, dass er unter Tränen zusammenbrach.

Schild, das auf Rassentrennung hinweist (Foto: AP)
Die Rassentrennung in Südafrika wurde mit brutaler Gewalt durchgesetztBild: AP

Kaum Entschädigungen

In zwei Jahren Arbeit führte die Kommission der Welt und vor allem den Südafrikanern vor Augen, dass das Ausmaß der Verbrechen des Apartheidregimes - darunter systematische Folter, Mord und sogar Terroranschläge - größer war, als viele angenommen hatten. Das gilt auch für die Brutalität der Kämpfer des heute regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und anderer Gruppen. Vertreter und Angehörige der Opfer dieser Verbrechen sind allerdings heute, 20 Jahren nach Ende der Apartheid, keineswegs zufrieden mit dieser Arbeit. "Ihre wichtigsten Aufgaben hat die Wahrheitskommission nicht erfüllt", sagt Marjorie Jobson, die Direktorin der Opfervereinigung Khulumani Support Group (KSG). Vor allem sei es nicht gelungen, die Würde der Opfer wieder herzustellen und sie zu entschädigen.

16.000 Opfern hat die Kommission eine Kompensation zugesprochen. "Wenn man nur die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Mord, Entführung und Verschwindenlassen nimmt, haben wir über 120.000 Menschen identifiziert, die entschädigt werden müssten", sagt Jobson. Die meisten von ihnen hätten allerdings nie eine Chance gehabt, vor der Wahrheitskommission auszusagen. So vertrete die KSG eine Gruppe von mehr als 200 ehemaligen Anti-Apartheid-Aktivisten in der ländlichen Limpopo-Provinz. "Als die Wahrheitskommission in ihre Provinz kam, hatten nur fünf von ihnen genug Geld, um die Fahrt zur Anhörung zu bezahlen."

Desmond Tutu 2011 (Foto: EPA)
Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu leitete die Wahrheits- und VersöhnungskommissionBild: picture-alliance/dpa

Organisationen wie die KSG fordern seit Jahren, dass die Opferlisten für neue Anträge auf Entschädigungen geöffnet werden müssten, da nur ein Bruchteil von ihnen die Chance hatte, sich rechtzeitig bei der Kommission zu melden. Doch auch die, die es schafften, erhielten nur einen kleinen Teil der ursprünglich versprochenen Summe.

Nelson und Winnie Mandela (Foto: AFP)
Winnie Madikizela-Mandela wurde von der Wahrheitskommission schwerer Verbrechen beschuldigt, Folgen hatte das nicht.Bild: Getty Images/AFP

Straffreiheit auch ohne Amnestie

Bei den Vertretern der Regierung stoßen diese Forderungen seit Jahren auf taube Ohren. "Keiner wird das offiziell so sagen, aber Politik der Regierung ist, die Geschichte möglichst hinter sich zu lassen", sagt Crisis-Group-Direktor Pigou. Auch die juristische und historische Aufarbeitung der Verbrechen werde weitgehend verhindert. Zwar gewährte die Wahrheits- und Versöhnungskommission nur einer Minderheit der Antragsteller Amnestie. Die Justiz ermittelte allerdings nur gegen wenige der abgewiesenen Täter, so dass die große Mehrheit - auf beiden Seiten - bis heute straffrei ausging, darunter etwa die Ex-Frau von Nelson Mandela, Winnie Madikizela-Mandela. Mitglieder des von ihr geleiteten Mandela United Football Club hatten, so wies die Kommission nach, Verbrechen wie Folter, Mord und Brandstiftung begangen.

Das öffentliche Interesse und damit der Druck auf die Regierung, sich um eine umfassende Aufarbeitung der Vergangenheit zu bemühen, sei derzeit gering, sagt Pigou, der politische Übergangsprozesse in vielen Ländern untersucht und verglichen hat. Auf Dauer lasse sich die Geschichte allerdings nicht ignorieren. "Oft gibt es in Gesellschaften nach Konflikten oder Diktaturen eine so genannte Erinnerungslücke von zehn, 20 oder mehr Jahren. Irgendwann kommt aber doch das Verlangen, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen." Trotz aller Mängel glaubt Pigou, Wahrheitskommissionen könnten einen sinnvollen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung auch in anderen Ländern leisten. "Sie sollten dann aber genauso viel aus unseren Fehlern lernen, wie aus dem, was wir richtig gemacht haben."