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Politik

Kurdistan bleibt ein Langzeitprojekt

8. Juni 2017

Die irakischen Kurden wollen einen eigenen Staat gründen. Am 25. September soll ein Referendum darüber entscheiden. Die Eigenstaatlichkeit wird aber noch lange dauern, sagt Udo Steinbach im DW-Interview.

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Irak Erbil
Bild: picture-alliance/Anadolu Agency/Y. Keles

DW: Die irakischen Kurden wollen unabhängig werden. Ist das eine Alarmmeldung oder der logische nächste Schritt vom autonomen Kurdistan zum eigenen Staat?

Udo Steinbach: Der eigene Staat wird noch auf sich warten lassen, aber es ist ein nächster Schritt zum autonomen Kurdistan - in eine Zukunft, die gekennzeichnet werden soll durch den eigenen Staat. Das Referendum ließ sich jetzt nicht mehr hinauszögern. Es war seit langem angekündigt und ist immer wieder verschoben worden, weil man eben weiß, dass die Regierung in Bagdad dies als ein Alarmsignal auffassen wird.

Also der Druck aus der kurdischen Gesellschaft im Nordirak heraus ist so groß, dass sich das Referendum nicht mehr aufschieben ließ. Aber eine Verwirklichung der Unabhängigkeit, das wird noch lange auf sich warten lassen.

Die Kurden leben verteilt auf vier Staaten: Türkei, Syrien, Iran und Irak. Welche Sogwirkung hat eine Unabhängigkeit der irakischen Kurden auf die Brüder und Schwestern anderswo?

Islamforum in Duschanbe Udo Steinbach
Islamforscher Udo SteinbachBild: DW

Das ist ein Grund, warum man das Referendum immer wieder hinausgeschoben hat, auch auf türkischer Seite. Also in Ankara ist man keineswegs glücklich über diese Entwicklung. Und die Entstehung eines kurdischen Staates - wenn er denn käme - würde in Ankara auf allergrößten Widerstand stoßen. Ganz gewiss auch in Damaskus und auch in Teheran.

Der Widerstand in Ankara wird ganz besonders groß sein, wenn wir im Augenblick sehen, was die Regierung der Türkei alles tut, um zu verhindern, dass auf syrischer Seite so etwas wie eine Staatlichkeit, eine Vor-Staatlichkeit entsteht. Also eine Intervention - wenn es denn tatsächlich in Richtung Staatlichkeit geht - wäre nicht auszuschließen.

Wie wird die Zentralregierung in Bagdad reagieren? De facto verwaltet sich das autonome Kurdistan ja schon seit 1992 selbst?

Ja sicherlich, aber es ist noch nicht allzu lange her, dass Herr Abadi, der irakische Ministerpräsident, in Berlin war. Als er angesprochen worden ist auf diese Idee des Referendums, hat er gesagt, es sei "keine gute Idee". Herr Barsani, der Kurden-Präsident, solle sich das nochmal überlegen. Also der Widerstand in Bagdad gegen einen Schritt in Richtung eines kurdischen Staates wird enorm sein.

Ein Zankapfel zwischen Bagdad und den Kurden könnte vor allem die Öl- und Industriestadt Kirkuk werden. Welche Argumente sprechen dafür, dass Kirkuk kurdisch wird?

Eigentlich gar keine und wenn überhaupt, dann eben die gegenwärtige Schwäche der Regierung in Bagdad. Kirkuk hat nie in der Geschichte eine absolute Mehrheit an Kurden gehabt, es hatte immer eine gemischte Bevölkerung von Arabern, von Kurden und Turkmenen.

Wenn die Kurden jetzt Anspruch auf Kirkuk erheben, dann deswegen, weil eben tatsächlich in Bagdad im Augenblick die Zentralregierung nicht in der Lage ist, dem etwas wirkungsvoll entgegen zu setzen. Aber eines ist sicher: Wenn die Regierung in Bagdad sich wieder konsolidiert, wäre das Erste, was sie tut, Kirkuk zu besetzen.

2014 war schon einmal ein Referendum über die Unabhängigkeit der irakischen Kurden angesetzt. Nach Gesprächen mit der Regierung in Bagdad wurde es fallen gelassen. Was hat die Kurden damals zum Einlenken bewegt, was nicht im September diesen Jahres wieder gelten könnte?

Vielleicht eine gewisse Zustimmung oder ein Signal aus Ankara. Das Verhältnis von Barsani und Erdogan scheint im Augenblick gar nicht so schlecht zu sein. Noch einmal: Auch der Druck aus der kurdischen Gesellschaft heraus ist so stark, dass Barsani dem wahrscheinlich im Augenblick gar nicht widersprechen kann. Aber zwischen dem Referendum und dessen Ausgang auf der einen Seite und der Verwirklichung des kurdischen Staates als Institution, da werden Welten liegen.

Professor Udo Steinbach ist ein deutscher Islamwissenschaftler. Er leitete von 1976 bis 2007 das Deutsche Orient-Institut in Hamburg.

Das Gespräch führte Volker Wagener.

Porträt eines Mannes mit Mittelscheitel und Bart
Volker Wagener Redakteur und Autor der DW Programs for Europe