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Majestätsbeleidigung? Nicht in Deutschland.

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Susanne Spröer
4. Oktober 2016

Die Meinungs- und Kunstfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut. Jan Böhmermann muss wegen seines Erdogan-"Schmähgedichts" nicht vor Gericht. Genau richtig so, findet Susanne Spröer.

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Kombo Erdogan und Jan Böhmermann
Bild: picture-alliance/dpa/Presidential Press Office/O. Spata

Ja, Jan Böhmermanns "Schmähgedicht", das der Satiriker im März im ZDF vorgetragen hat, ist geschmacklos. Die Formulierungen liegen so weit unter der Gürtellinie, dass ich sie hier nicht wiederholen möchte (unter anderem ging es um Sex mit Tieren). Darüber hinaus transportiert der Text absurde und haltlose Klischees über Türken.

Böhmermann ist geschmacklos - und muss nicht vor Gericht. Gut so.

Ein halbes Jahr lang hatte die Staatsanwaltschaft Mainz daher wegen Verdachts auf Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten gegen den Verfasser des Textes, Jan Böhmermann, ermittelt. Nun entschied sie: Böhmermann muss nicht vor Gericht. Die Ermittlungen werden eingestellt. Und das ist gut so.

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Susanne Spröer, Redaktionsleiterin DW Kultur Online

Aber wie kann das sein, wenn das Gedicht nur so von unschönen und beleidigenden Formulierungen strotzt? Die ich teilweise ekelhaft finde.

Es kann sein. Oder vielmehr: Es muss so sein und nicht anders. Denn das Gedicht, das in einen Sketch in der ZDF-Satiresendung "Neo Magazin Royale" eingebettet war, zielt eben nicht auf Beleidigung nach §185 oder auf den salopp "Majestätsbeleidigung" genannten §103 des deutschen Strafgesetzbuches, der Beleidigung von "Organen und Vertretern ausländischer Staaten" unter Strafe stellt (und in Deutschland ohnehin abgeschafft werden soll).

Cleverer satirischer Dreh: Was jetzt kommt, ist verboten

Strafbare Handlungen mit dem Vorsatz der Beleidigung hat die Staatsanwaltschaft dem Satiriker "nicht mit der notwendigen Sicherheit" nachweisen können. Denn schon in der Anmoderation des Gedichtes hatte Böhmermann angekündigt, dass es die Grenzen von Satire überschreite. Was jetzt folgen würde, sagte er, dürfe man so nicht machen. Solche Schmähkritik könne bestraft und der Inhalt aus dem Programm genommen werden. Was ja auch geschah: Das ZDF entfernte die entsprechende Passage der Sendung aus der Mediathek. Eine geplante Provokation, die von den Sendungsmachern wohl genau so beabsichtigt worden war.

Und ein raffiniertes Verwirrspiel, wie es Satiresendungen eigen ist, die mit Übertreibungen, Zuspitzungen und Grenzüberschreitungen arbeiten - und bei denen einem manchmal das Lachen im Halse stecken bleiben kann. Wie in diesem Fall, denn der Sketch hatte ja eine Vorgeschichte: Er bezog sich auf ein zuvor in einem ARD-Satire-Format gesendetes Lied, das die exzessive Zensur und Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der Türkei aufs Korn genommen hatte (und das ein halbes Jahr vor dem Putschversuch in der Türkei). Obwohl das ein Fall zweifelsfrei erlaubter Satire in Deutschland gewesen war, bestellte der türkische Staatspräsident den deutschen Botschafter ein und forderte die Löschung des Videos - erfolglos. Mit dem neuen Sketch drehte Böhmermann das nun satirisch noch weiter. Ziel der Satire: Nicht die Beleidigung der Person Erdogans - sondern Kritik an seiner Politik. 

Symbolbild Recep Tayyip Erdogan
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan fühlt sich durch das "Schmähgedicht"Jan Böhmermanns beleidigtBild: picture-alliance/dpa/S. Suna

Das "Schmähgedicht" ist Satire - was denn sonst?

Auch die Staatsanwaltschaft hat das so gesehen und sich mit ihrer Entscheidung klar auf die Seite der Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland gestellt.

Und das ist gut so. Denn auch geschmacklose Satire bleibt Satire - und ist in Deutschland nicht strafbar. Anders als in der Türkei, wo Präsident Erdogan Journalisten, Künstler und jegliche Regime-Gegner mit harter Hand verfolgt und von Meinungsfreiheit mittlerweile keine Rede mehr sein kann - wie ja auch die Deutsche Welle kürzlich erlebt hat.

Auch wenn im Fall Böhmermann die letzte Entscheidung noch nicht gefallen ist (im November entscheidet die Zivilkammer Hamburg noch über eine anstehende zivilrechtliche Klage): Die Entscheidung der Mainzer Staatsanwaltschaft ist ein wichtiges Signal an die Despoten der Welt. In Deutschland halten wir ein weites Spektrum von Meinungen und künstlerischer Freiheit aus, auch wenn sie uns persönlich nicht unbedingt gefallen (wie mir die Formulierungen des "Schmähgedichts"). Um es mit Rosa Luxemburg zu sagen: "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden". Das ist es, was unsere Demokratie ausmacht.

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