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Indie-Rock aus Myanmar in Berlin

Nadine Wojcik13. Dezember 2012

Ein Auftritt in Deutschland - unvorstellbar für die Musiker von "Side Effect". Bis vor kurzem noch lebten sie in einem isolierten Land. Mit der politischen Öffnung Myanmars wird nun auch der kulturelle Austausch möglich.

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Die Band "Side Effect" spielt ein Konzert im Festsaal Kreuzberg in Berlin, 08.12.2012. Sie ist die erste Rockband aus Burma, die in Deutschland auftritt (Foto: Nadine Wojcik/DW).
Rockband Side EffectBild: DW/Nadine Wojcik

Es gibt Konzerte, die lassen sich schwer in Worte fassen. Das Berliner Konzert der myanmarischen Indie-Rockband "Side Effect" gehört definitiv dazu. Hier geht es um mehr als einen gelungenen Abend: Es ist der erste Auftritt der Band aus Myanmar im Ausland. Am Vorabend spielten die drei Musiker bereits vor begeistertem Publikum in einem kleinen Club in Hamburg, doch jetzt stehen sie auf großer Bühne in Berlin. Schon beim ersten Song tanzt die Menge mit. Wenig später tobt der ganze Saal, bald stürmen einige Konzertbesucher auf die Bühne und lassen sich ins Publikum fallen.

"Das ist das erste Mal, dass ich Stage-Diving erlebe", kommentiert Sänger und Lead-Gitarist Darko C. sein ausgelassenes Publikum. "Danke Berlin! Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, was uns das bedeutet." Darko, 31 Jahre alt, hat die Band "Side Effects" 2004 gegründet. Die Indie-Band, deren gekonnter und überzeugender Sound an Bands wie "The Strokes" oder "The White Stripes" erinnert, hat seitdem hartnäckig an einem eigenen Stil gearbeitet - und zwar in einem Land, das politisch und kulturell bis vor kurzem abgeschottet war. In Myanmar, ehemals Birma, besteht die Musik-Industrie vor allem aus Cover-Bands, die erfolgreiche Hits aus dem Westen mit myanmarischen Herzschmerz-Texten versehen.

Seit einigen Monaten hat sich vieles gewandelt. Die Militär-Junta scheint für Veränderungen bereit: Politische Gefangene wurden freigelassen, die Zensur aufgehoben, Barack Obama besuchte als erster US-Präsident das Land und versprach, die Wirtschaftssanktionen aufzuheben. Die bekamen auch die Band "Side Effects" zu spüren. Über befreundete Musiker in Kanada hatten sie über das Internet und eine sogenannte Crowd-Funding-Plattform Geld für ihr Debut-Album und für ein Schlagzeug gesammelt. Auf die 3000 US-Dollar warten sie bis heute - aufgrund der Wirtschaftssanktionen hat die Internet-Plattform die Spenden nicht ausgezahlt.

"In meinem Land gibt es keine Perspektive"

Bei dem Song "Change" rastet das Berliner Publikum aus. Der Refrain, eine Melodie mit jede Menge "Oh"s, ist schnell gelernt und die Menge singt gemeinsam mit Sänger Darko, der wie auf Wolken schwebt. "Change" ist einer der wenigen englischen Songs der Band, schließlich hatten die Musiker nie vermutet, dass sie jemals außerhalb von Myanmar auftreten würden. Und es ist einer der wenigen Songs mit positiven Texten. "Die meiste Zeit bin ich ziemlich niedergeschlagen. In meinem Land gibt es keine Perspektive, selbst mit einem Uni-Abschluss findet man keinen Job. Dieser triste Alltag spiegelt sich in meinen Songtexten wieder."

Die Proteste von 2007, die von buddhistischen Mönchen angeführt wurden, haben Darko verändert. "Damals bin ich mit raus auf die Straße. Niemals hätte ich gedacht, dass die Militärregierung den Mönchen etwas antun würde. Mönche haben in unserem Land eine besondere Stellung." Darko hatte sich - wie so viele in seinem Land - geirrt. Die betenden Mönche wurden gewaltsam niedergeschlagen. "Da war mir klar: Ich muss etwas für mein Land tun. Und zwar als Musiker. Denn dieses Land braucht auch gute Musiker, Poeten und Künstler. Wegsehen oder sich gar ins Ausland absetzen gilt jetzt nicht mehr."

Leicht fällt das keinem der drei. Von ihrer Musik können sie nicht leben, es gibt nur wenige Auftrittsmöglichkeiten, meist unbezahlt. Sänger Darko betreibt mit seiner Ehefrau ein kleines Maßanfertigungsgeschäft für Männermode, Drummer Tser Htoo arbeitet beim Radio, Darko's Bruder Jozeff, 23 Jahre alt, soll bald zur See fahren. "Der Druck unseres Vaters, ein Schiffsingenieur, ist sehr groß. Die Familie hat in unserer Kultur einen großen Einfluss", sagt Darko, der sich im Streit vom Willen des Vaters loslösen konnte. Jetzt fürchtet er um seinen Bruder. "Ohne ihn wird es wirklich schwierig. Es gibt nicht viele Musiker in Rangun (seit 1989 offiziell Yangon, Anmerkung der Redaktion), die unseren Sound spielen können. Aber ich verstehe auch, dass er einen Weg suchen muss, um Geld zu verdienen."

Ein Schlagzeug aus Büchern

Im August dieses Jahres wurde zumindest die Zensur in Myanmar abgeschafft. "Vorher mussten wir immer unsere Texte bei der Zensurbehörde einreichen." Auch wenn die Texte von "Side Effect" oftmals nur vom grauen Alltag handeln, wurden Passagen herausgestrichen, wie beispielsweise der Kauf einer Kinokarte auf dem Schwarzmarkt. Zwar ist das durchaus üblich in Yangon, entspreche aber eben nicht dem heilen Gesellschaftsbild, um das die Militärregierung bemüht ist. "Ehrlich gesagt ist es jetzt für uns gefährlicher geworden. Es gibt zwar keine Vorab-Zensur mehr, aber sollten den Regierungsmitarbeitern unsere Texte nicht gefallen, landen wir im Gefängnis", sagt Darko. Und Drummer Tser Htoo ergänzt sarkastisch: "Freie Meinungsäußerung? Glaubst Du denen das wirklich? Die haben uns in der Vergangenheit zu viel Unrecht angetan, als dass ich denen jetzt vertrauen könnte."

Dennoch wirken die Musiker erstaunlich fröhlich und ausgelassen im Interview. Humorvoll erzählen sie von ihrem harten Alltag, beginnen zu kichern, wenn sie von fehlenden Instrumenten berichten. "Ich übe auf Büchern", sagt beispielsweise Tser Htoo, der sich bis heute kein eigenes Schlagzeug leisten kann. "Vier Bücher sind die große Trommel, drei sind die kleine und Magazine die Snare-Drum." Einmal die Woche mietet die Band für zwei Dollar einen Probenraum, indem auch ein Schlagzeug steht. Das entspricht in Myanmar etwa dem durchschnittlichen Tageslohn.

Die Band "Side Effect" mit Dokumentarfilmer Alexander Dluzak bei einem Publikumsgespräch vor dem Konzert im Festsaal Kreuzberg in Berlin am 08.12.2012 (Foto: Nadine Wojcik/DW).
Vor dem Konzert: Dokumentarfilmer Alexander Dluzak mit der Band bei einem PublikumsgesprächBild: DW/Nadine Wojcik
Darko C., Leadgitarrist, Sänger und Gründer der burmesischen Band "Side Effect" (Nadine Wojcik/DW).
"So ein Konzert habe ich noch nie erlebt." Darko C., Gründer und Sänger von "Side Effect"Bild: DW/Nadine Wojcik
Sänger Darko und Drummer Tser Htoo tragen ein Tatto des selbstentworfenen Band-Logos (Foto: Nadine Wojcik/DW).
Sänger Darko und Drummer Tser Htoo tragen ein Tatto des selbstentworfenen Band-LogosBild: DW/Nadine Wojcik

Ehrliche Musik

Nach Deutschland gebracht haben "Side Effect" die Dokumentarfilmer Alexander Dluzak und Carsten Piefke. Für den Film "Yangon Calling" hatten sie die Punk-Szene in Yangon portraitiert. "Darko hatten wir gleich am ersten Abend kennen gelernt. Ohne ihn wäre der ganze Film nicht möglich gewesen, denn er hat uns überall hingeführt und mit vielen Musikern bekannt gemacht", erzählt Carsten Piefke. "Uns war gleich klar, dass wir irgendwie versuchen mussten, die Jungs für ein Konzert nach Deutschland zu holen."

Mit Unterstützung des Goethe-Institutes ist dies nun möglich geworden. Mit dabei ist auch die deutsche Punk-Band "Priscilla Sucks", die gemeinsam mit den Rockern aus Myanmar probte und somit erstmals auch einen musikalischen Austausch zwischen den beiden Ländern möglich machte. "Die können gar nicht fassen, wie gut ihre Musik hier ankommt und wie sehr das Publikum ausflippt", sagt Misses Big Bang, Bassistin von Priscilla Sucks. "Sie sind wahnsinnig höflich und bedanken sich ständig. Und sie sind unglaublich fröhlich. Das erstaunt mich, denn wenn man länger mit ihnen spricht, dann bekommt man viele sehr traurige Geschichten zu hören - das nimmt mich emotional schon sehr mit."

Nach dem Konzert ist Darko völlig erschöpft und doch sehr beseelt. "Die Leute hier sind so ehrlich und aufrichtig - genauso wie wir es mit unserer Musik seit 2004 immer waren und sind." In Myanmar ist "Side Effect" wenig bekannt und hat nur eine kleine Fan-Gemeinde. Manchmal dauere es eben viele Jahre, aber wenn ein Musiker das durchhalte und authentisch bleibe, dann würde sich das irgendwann auszahlen. "Und genau das habe ich heute Abend gespürt."