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Bank of England hält Pulver trocken

14. Juli 2016

Die britische Notenbank lässt drei Wochen nach dem Brexit-Votum den Leitzins unverändert. Der Zinssatz bleibe auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent, teilte die Bank of England (BoE) in London mit.

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Britisches Pfund
Bild: Bilderbox

Auf diesem Niveau liegt der Zinssatz seit mehr als sieben Jahren. Bankvolkswirte hatten wegen der Unsicherheiten seit dem Votum der Briten für den Austritt aus der Europäischen Union mehrheitlich mit einer Zinssenkung gerechnet. Notenbankchef Mark Carney hatte eine geldpolitische Lockerung in den kommenden Monaten angekündigt, einen konkreten Zeitpunkt für eine geldpoltische Lockerung jedoch nicht genannt.

Als Kanadier dürfte Mark Carney vom Brexit zumindest emotional weniger berührt sein als viele Briten. Seinen Job als Chef der Bank of England (BoE) hat das Votum jedoch nicht einfacher gemacht. Er befand sich in einem Zwiespalt: Er hätte auf dieser ersten Zinssitzung der BoE nach dem Brexit-Votum die auch von ihm selber geschürten Erwartungen erfüllen und damit aber auch schon das Pulver verschießen können - stattdessen hat er eine Enttäuschung an den Märkten in Kauf genommen und damit sein Pulver trocken gehalten.

Geldpolitik mit beschränkter Wirkung

Bei einem öffentlichen Auftritt Ende Juni hatte Carney baldige geldpolitische Lockerungen und andere Maßnahmen in Aussicht gestellt – aber auch klar gemacht, dass die Möglichkeiten der Geldpolitik beschränkt seien. In den vergangenen Monaten habe die Notenbank intensiv mit Schatzkanzler George Osborne und dem Schatzamt zusammengearbeitet, um Notfallpläne für die ersten Schocks an den Märkten nach einem Brexit-Votum auszuarbeiten.

Sie funktionierten bereits gut, konstatierte Carney, ohne zu präzisieren, worum es sich konkret handelte. In den kommenden Wochen werde die Bank of England (BoE) eine ganze Reihe von Maßnahmen und Methoden in Erwägung ziehen, um die geldpolitische und finanzielle Stabilität zu fördern. Eine unangenehme Wahrheit sei aber, dass es Grenzen dessen gebe, was die BoE tun könne. Die Geldpolitik könne die Auswirkungen eines großen negativen Schocks nicht umgehend oder vollständig ausgleichen.

Kapitalflucht befürchtet

Unterdessen wächst im Land die Furcht vor einer massiven Kapitalflucht. Es wird befürchtet, dass ausländische Unternehmen künftig bei Investitionsvorhaben einen Bogen um Großbritannien machen. Nicht von ungefähr war die Regierung in London kürzlich öffentlichkeitswirksam mit Plänen vorgeprescht, die Körperschaftssteuer für Unternehmen von aktuell rund 20 auf unter 15 Prozent zu senken und damit nahezu irische Verhältnisse anzustreben.

Vor allem die Unsicherheit, wie sich künftig die Wirtschaftsbeziehungen mit der EU gestalten, ist Gift für ausländische Investoren. Verliert das Vereinigte Königreich den Zugang zum EU-Binnenmarkt, wäre die Insel für internationale Kapitalgeber womöglich deutlich weniger attraktiv. "Durch den EU-Austritt werden viele Investoren ihre Investitionen in Großbritannien überdenken", schätzt etwa der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Es könne zu einer Kapitalflucht kommen, was aber durch die Pfund-Abwertung etwas gebremst werde.

Auf Auslandskapital angewiesen

Manche seiner Kollegen sehen bereits jetzt solche Bewegungen. So hat nach Einschätzung des Chefvolkswirts des weltgrößten Kreditversicherers Euler Hermes, Ludovic Subran, Großbritannien seit Anfang 2015 bereits rund 100 Milliarden Pfund (119 Milliarden Euro) an Kapital verloren. Vieles davon könne mit anderen Faktoren begründet werden. "Ein Drittel davon bleibt nicht geklärt und das könnte mit dem Brexit-Thema zusammenhängen."

Würde der Trend anhalten, wäre dies für das Land eine schwierige Situation. Nach Ansicht von Peter Dixon, Volkswirt bei der Commerzbank in London, kommt daher den anstehenden Verhandlungen mit der EU über den künftigen Status der Wirtschaftsbeziehungen eine entscheidende Rolle zu. "Ich erwarte, dass man auf einen signifikanten Anstieg der Kapitalströme solange warten muss, bis diese Verhandlungen abgeschlossen sind."

Steuerwettlauf möglich

Profitieren dürften nach Einschätzung von Experten Länder wie Irland. Nicht nur wegen der günstigen Steuersätze im Land könnte sich die grüne Insel als Alternative für Investoren aus dem englischsprachigen Raum anbieten. Aber auch auf dem Kontinent buhlen Zentren wie Paris, Mailand oder Frankfurt bereits um lukrative Finanzgeschäfte, die möglicherweise nach dem EU-Ausstieg aus der Londoner City abwandern werden.

Was Dixon und andere Ökonomen umtreibt, hatte Großbritanniens Notenbank-Chef Mark Carney vor dem EU-Referendum prägnant zusammengefasst. Er warnte davor, "die Freundlichkeit von Fremden" zu testen. Dabei hatte er das hohe Leistungsbilanzdefizit der Insel im Blick: Großbritannien konsumiert deutlich mehr als es produziert und ist daher auf ausländisches Kapital angewiesen, um diese Lücke zu schließen.

Hohes Leistungsbilanzdefizit

Im ersten Quartal lag das Defizit in der Leistungsbilanz bei 32,6 Milliarden Pfund - das entspricht 6,9 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Allein mit der Europäischen Union lag das Minus im ersten Quartal bei 29,2 Milliarden Pfund. Ein solches Defizit muss für ein Land nicht unbedingt negativ sein - etwa wenn das Wirtschaftswachstum hoch ist und die Gewinne sprudeln.

Doch was passiert, wenn die Konjunktur ins Stottern gerät und die Kapitalrenditen sinken? Genau das erwarten jetzt viele Experten nach dem überraschenden Brexit-Votum. So gehen die Volkswirte der US-Investmentbank Goldman Sachs davon aus, dass das Vereinigte Königreich bis Anfang 2017 in eine Rezession abgleitet. Die Ökonomen der italienischen Großbank UniCredit prognostizieren für 2017 ein Jahr der Stagnation auf der Insel. Zuvor hatten sie dem Land noch ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent zugetraut.

Pfund wertet ab

Nach Einschätzung von Ifo-Chef Fuest wird die Kapitalflucht allerdings dadurch gebremst, dass das britische Pfund im Zuge des Brexit-Votums deutlich abgewertet hat. So brach der Kurs der Landeswährung zum Dollar seit dem 23. Juni in der Spitze um knapp 14 Prozent ein. Fuest zufolge sind dadurch Anlagen in Großbritannien bereits wieder interessanter geworden. "Gleichzeitig führt der niedrigere Pfund-Kurs auf der Güterseite dazu, dass britische Exporte preislich wettbewerbsfähiger werden und Importe nach Großbritannien teurer." Das werde das Außenhandelsdefizit verringern, schätzt der Experte.

wen/bea (dpa, rtrd)