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"Eine erbärmliche Vorstellung"

Andrea Grunau9. Dezember 2015

Sehr unglaubwürdig hat sich Beate Zschäpe mit der Aussage im NSU-Prozess als 11. Opfer inszeniert. Das sagt Barbara John, Ombudsfrau für die Opfer des NSU-Terrors und die Familien der Mordopfer, im DW-Interview.

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Gedenkveranstaltung für NSU-Opfer in Nürnberg (Foto: Timm Schamberger /dpa)
Stilles Gedenken an die NSU-Opfer in NürnbergBild: picture-alliance/dpa/T. Schamberger

Deutsche Welle: Nach zweieinhalb Jahren gab es die erste Aussage der Hauptangeklagten Beate Zschäpe. Viele Nebenkläger haben darauf gewartet. Was sagen Sie dazu?

Die Nebenkläger haben kaum erwartet, dass sie sich als Mittäterin bekennt, dass sie die Familien um Entschuldigung bittet. Wir haben gehört, was zu erwarten war: Dass sie versucht, sich selbst zu entlasten. Sie stellt sich als elftes Opfer von Mundlos und Böhnhardt dar, denen sie seelisch nicht gewachsen gewesen sei, die sie erpressten, mit Selbstmord drohten.

Das alles ist total unglaubwürdig, denn wenn sie so gelitten hätte, wie sie es darstellt - "Ich war empört, ich konnte es nicht fassen" -, dann hätte sie, nachdem die beiden sich umgebracht hatten, nicht den Auftrag erfüllt, alles zu vernichten, sondern sie wäre befreit gewesen. Es ist eine totale Entlastungsstrategie, wie man sie kennt. Wenn die Mörder tot sind, kann man alles auf sie schieben, man selbst bleibt unschuldig.

Wie kommt das bei den Angehörigen der Opfer an?

Sie glauben ihr natürlich kein Wort, und es kommt genauso an, wie es gemeint ist: "Ich habe mit den Morden nichts zu tun. Es sind zwar die schwersten Verbrechen begangen worden, aber nicht von mir. Wie hätte ich ach so schwache Frau das denn verhindern können?" Eine wirklich erbärmliche Vorstellung, die sie gegeben hat.

Was haben sich die Familien gewünscht?

Es war bei allen natürlich der Wunsch nach einer Aussage, wie die Mordtaten geplant wurden, warum sie in diese Städte gegangen sind, warum sie diese Tatorte ausgesucht haben. Das hätte den Familien Aufschluss gegeben. Das aber wollte sie nicht. Das Mitgefühl ist auch bei dieser Angelegenheit gleich null.

Viele sprechen von einer Zschäpe-Show. Im Gerichtssaal hat sie sich den Kameras zugewandt und gelächelt. Versucht die Angeklagte, das Verfahren unter ihre Kontrolle zu bekommen oder wie kommt das bei den Nebenklägern an?

Ja, man kann das durchaus so deuten. Zuerst machte das Bild des Hausmütterchens die Runde, das aber total erschüttert worden ist durch die Zeugenaussagen derer, die sie sowohl auf den Urlaubsfahrten als auch in Zwickau immer als die große Logistikerin gesehen haben, die Papiere besorgte oder Wohnungen. Sie ist da die Managerin im Hintergrund - eine, die immer bestimmte.

Porträt Barbara John (Foto: picture-alliance/AA/M. Kaman)
Barbara John: Ein SchuldeingeständnisBild: picture-alliance/AA/M. Kaman

Dazu passt nicht, was sie jetzt von sich gibt: "Ich bin die Erpresste, die arme, schwache Frau in diesem Männerbündnis, diesem Neonazi-Bündnis und habe gar nichts damit zu tun." Sie hat kein Wort verloren über die Gründe, warum die Morde begangen wurden. Das hätte sie doch erfahren wollen, wenn sie so dagegen war. Sie hat die Taten in keinen Zusammenhang mit den fixen, verrückten Ideen dahinter gebracht, das "deutsche Volk schützen" zu wollen.

Es hat also alles gefehlt, was man sich aus Nebenkläger-Sicht gewünscht hätte?

Es hat alles an Aussagen gefehlt zu dem, was tatsächlich geschehen ist, das ist richtig. Auf der anderen Seite hat sie vieles offenbart, noch mehr offenbart als durch ihr Schweigen. Jetzt hat sie in aller Öffentlichkeit bestätigt, dass sie wusste, was läuft.

Dennoch geht es immer weiter: Mehr Morde, sie bleibt und beobachtet, wie tierlieb und liebevoll sich die mehrfachen Mörder verhalten. Selbst als die beiden Uwes tot sind, macht sie in deren Sinne weiter. Sprengt die gemeinsame Wohnung, verschickt die widerlichen Videos. Über den Tod der Mörder hinaus erfüllt sie deren Wünsche. Wenn das kein Schuldeingeständnis ist, was dann?

Zschäpe sagte, sie entschuldige sich aufrichtig bei den Opfern des NSU-Terrors, für den Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verantwortlich gewesen seien. Sie fühle sich moralisch schuldig. Wie wirkt das?

Eine leere Phrase. Das sagt man auch, wenn man jemanden auf den Fuß getreten ist. Es ist nur eine gestanzte Formel: Ich entschuldige mich, ich nehme die Schuld von mir, und ihr müsst mir das glauben. Die ganze Aussage ist total unglaubwürdig.

Sie hätte stattdessen sagen können: "Was habe ich da nur gemacht? Warum habe ich nicht früher etwas gesagt?" Ich denke, ihre Aussage hat für die Opfer und die Familien der Hinterbliebenen gar nichts gebracht. Sie hat bewiesen, dass sie die Person ist, die im Hintergrund voll dabei war.

Barbara John ist seit 2012 Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer des NSU-Terrors und die Hinterbliebenen der zehn Mordopfer. Sie war 22 Jahre Ausländerbeauftragte des Landes Berlin.

Das Interview führte Andrea Grunau.