1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Barenboim: "Den Anderen anerkennen"

Peter Zimmermann23. November 2012

Der Künstler startet in Berlin eine Akademie für Musiker aus Nahost, um Jahrzehnte des Kommunikationsstillstands zu überwinden. Im Gespräch mit der DW äußert sich Barenboim zu den Hintergründen dieses Projektes.

https://p.dw.com/p/16j7N
Eine der zentralen Figuren der Klassikwelt ist weit über Musikerkreise hinaus für sein Friedensengagement bekannt: Der in Argentinien geborene israelische Pianist und Dirigent Daniel Barenboim gründete mit Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra, das aus Israelis, Palästinensern und Musikern verschiedener arabischen Staaten zusammengesetzt ist. Nur ein Beispiel vom Engagement des umtriebigen Musikers für Völkerverständigung. Barenboim ist seit 1992 Generalmusikdirektor an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Auftritt mit der Staatskapelle Berlin, Beethoven-Bruckner Zyklus 2010. Copyright: Monika Rittershaus/Staatsoper Berlin Bild geliefert von Victoria Dietrich, Pressebüro STAATSOPER IM SCHILLER THEATER, Berlin für DW/Conny Paul.
Barenboim zum 70. GeburtstagBild: Monika Rittershaus/Staatsoper Berlin

DW: Herr Barenboim, schon als Kind wollten Sie in der Musik und mit der Musik leben. Aber von "etwas wollen zu etwas können - das kann ein sehr langer Weg sein", sagen Sie immer wieder. Was wollen Sie den Stipendiaten aus Israel und den arabischen Staaten in Berlin auf diesem schwierigen Weg mitgeben?

Daniel Barenboim: Ich möchte Ihnen natürlich beibringen, dass hohe technische Qualität des Spielens unbedingt notwendig ist. Aber es geht viel weiter. Das heißt: Musik ist kein Beruf. Musik ist, wie man auf Englisch sagt, "a way of life" - eine Lebenshaltung, für die man große Professionalität braucht. Als die jungen Studenten damals zu Franz Liszt nach Weimar kamen, hoffte der Komponist und Pianist, dass sie durch ihr Studium bei ihm bessere Menschen würden. Das ist nicht nur Rhetorik des 19. Jahrhunderts, sondern es ist tatsächlich so: Wir müssen die Musik aus dem Elfenbeinturm nehmen - sowohl für die Musiker als auch für das Publikum. Sonst wird die klassische Musik das 21. Jahrhundert nicht überleben. Musik ist leider nicht mehr Teil unserer Kultur. Die Kinder in den Schulen müssen deshalb etwas mit Musik zu tun haben und sie lernen, so wie sie Literatur, Geografie und Biologie lernen. Wenn wir über Musik sprechen, sprechen wir über unsere Reaktion zur Musik. Der Eine sagt: "Ach, Musik ist so poetisch!" Der Andere sagt: "Nein, sie ist pure Mathematik!". Der Andere sagt: "Nein, das ist sinnlich!" - und so weiter und so weiter. Das stimmt alles. Aber Musik ist nicht eine von diesen Sachen. Sie ist alles zusammen. Und jeder von uns findet da das, was er sucht. Der italienische Komponist Ferruccio Busoni hat die beste Definition gegeben und hat gesagt: "Musik ist klingende Luft." Das sagt alles. Und das sagt nichts. Das heißt aber, dass wir diesen geistigen, denkenden, seelischen Aspekt der Musik jungen Leuten beibringen müssen.

Ihre Akademie hat eine ganz klare politische Ausrichtung. Wie genau funktioniert das für Sie?

Das ist nicht Politik, das ist Anti-Politik! Politik wäre zu sagen, ich nehme Partei für den Einen oder für den Anderen. Ich sage, wir sind nicht in politischen Verhandlungen. Wir müssen jetzt versuchen den Anderen zu verstehen und ihn anzuerkennen.

Und geht für Sie aus der deutschen Hauptstadt da eine politische Botschaft Richtung Nahost?

Ja, ich bin natürlich der deutschen Regierung sehr dankbar für die finanzielle Hilfe. Denn damit sagt sie: "Hier ist eine schwere Situation. Wir müssen alle in diesem Konflikt helfen. Nicht Einer gegen den Anderen." Ich bin voller Bewunderung, wie mehrere Generationen der Deutschen sich mit der Vergangenheit auseinandergesetzt haben. Sonst könnte ich hier als Jude nicht leben. Aber jetzt müssen wir auch über die Gegenwart und über die Zukunft nachdenken. Und da hat Deutschland aus meiner Sicht möglicherweise sogar eine zusätzliche Verantwortung.

Die Barenboim-Said-Akademie in Berlin will in fünf Jahren bis zu 80 Studenten aus der arabischen Welt und aus Israel in Berlin ausbilden. Das Projekt, was dem zu Grunde liegt, ist Ihr West-Eastern-Divan Orchester. Was wünschen Sie sich für dessen Zukunft?

Die volle Dimension des Divans wird erst kommen, wenn das Orchester in allen Ländern spielt, die im Orchester repräsentiert sind. Wenn wir also eine Tournee machen und in Istanbul, in Beirut, in Damaskus, in Tel Aviv, in Amman, in Jerusalem, in Ramallah und in Kairo spielen. Dann hat der Divan sozusagen die volle Dimension erreicht.

Das Gespräch führte Peter Zimmermann

Als einzigartige Bildungseinrichtung will die Barenboim-Said-Akademie in Berlin Musikerziehung, Geisteswissenschaften und internationale Beziehungen miteinander in einem allumfassenden Lehrplan verbinden. Der zweite Namensgeber ist der palästinenische Professor Edward Said, mit dem Barenboim das West-Eastern Divan Orchestra mitbegründete. Im einstigen Kulissendepot der Staatsoper Unter den Linden sollen für die Stipendiaten aus Israel und den arabischen Staaten Klassenzimmer und Übungsräume geschaffen werden. Stararchitekt Frank Gehry und Akustiker Yasuhisa Toyota entwerfen unentgeltlich den bis zu 800 Plätze umfassenden "Pierre-Boulez"-Konzertsaal, der von Mitgliedern des West-Eastern-Divan Orchesters und der Staatskapelle Berlin für Konzerte zeitgenössischer Musik genutzt werden soll. Der Deutsche Bundestag hat bereits 20 Millionen Euro für die Akademie bewilligt. Weitere acht Millionen kommen von Privatspendern.