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Barmherzigkeit

3. März 2012

Von Pfarrer Ralf Frieling, Bad Sassendorf

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Der evangelischer Pfarrer Ral Frieling, Bad Sassendorf
Bild: DW

Wenn es hart auf hart kommt, leben wir von Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Beides alte Worte. Eine bekannte Geschichte aus der Bibel füllt sie mit Leben: Ein Mensch wird überfallen und beraubt. Er wird zusammengeschlagen und getreten, an den Kopf, in die Rippen. Die Schläger machen sich davon mit seinem Geld, seiner Kleidung. Er liegt mitten in der Wüste, verletzt, traumatisiert, nackt. Es ist heiß, er hat Schmerzen, kann sich nicht rühren.

Fliegen summen, setzen sich auf seine Wunden. Der Mann hört Schritte. Sie kommen näher, Steine und Sand knirschen. „Endlich. Hilfe.“, denkt der Mann. Die Schritte entfernen sich. „Ich dachte, da kommt jemand. Ich habe es doch gehört!“, denkt der Mann. Wieder Schritte. Auch sie werden lauter und - wieder leiser. „War da ein zweiter?“ Der Verletzte öffnet die Augen, über ihm nur der blaue Himmel. „Ist da keiner?“

Ein dritter Wanderer nähert sich auf der Wüstenstraße, später wird er bekannt als der Barmherzige Samariter (Lukas 10,25-37). Der Mann ist ein Ausländer, er kommt aus der nördlichen Provinz Samarien, und allein bei diesem Namen leuchteten bei den damaligen Juden alle Signallampen auf: Vorsicht, den Samaritern kann man nicht über den Weg trauen. Das sind Diebe, Schmarotzer, die sind unheimlich. So das gängige Klischee. Für unseren Helfer spielen diese Vorurteile gegen ihn keine Rolle. Er sieht den Verletzten und bekommt Mitleid. Er lässt zu, dass seine Gefühle sein Handeln bestimmen.

Er beugt sich über den Mann, der spürt den Schatten über seinem Gesicht, spürt die Hand auf seiner Stirn. Der Mann reinigt die Wunden mit Öl und Wein, tut das, was als erste Hilfe zu tun ist. Auf seinem Tier bringt er den Verletzten zu einer Herberge für Karawanen und Reisende und pflegt ihn über Nacht. Bevor er am anderen Tag weiterzieht, organisiert er die weitere Pflege. Dem Wirt lässt er Geld da, etwa 2 Tagesgehälter. Pflege kostet. Der Samariter verspricht, wieder zu kommen. Wohl nicht nur, um dem Wirt die Schlussrechnung zu bezahlen, sondern auch, um den Kranken dann zu fragen: Wie geht es dir? Die Nachsorge gehört für ihn dazu.

Der Samariter tut beides, er handelt aus dem Bauch heraus und er bewahrt einen kühlen Kopf. Er lässt sich von seinem Gefühl leiten und entdeckt sein Organisationstalent. Auch für die erste Zeit der Genesung übernimmt er Verantwortung für den Mann. - Barmherzigkeit bleibt in dieser alten, zeitlosen Geschichte nicht nur ein Gefühl, sie besteht nicht nur in einer freundlichen Geste und milden Gabe. Sondern sie drückt sich in handfester Hilfe aus mit Herz und Verstand.

Auch heute liegen Menschen am Boden: Opfer von Gewalt mit Fäusten oder Worten, auf dem Schulhof, auf nächtlicher Straße. Und hinter verschlossenen Haustüren. Es geht darum, hinzusehen, vor der Gewalt die Augen nicht zu verschließen. Darum, spontan und besonnen zu helfen. Sich bewegen zu lassen von der Not und etwas zu tun. Auch wenn andere die professionelle Hilfe übernehmen werden, ist es doch wichtig, erst einmal hinzuschauen und dem Menschen in seiner Not zu zeigen: Ich bin bei dir, du bist nicht allein, ich helfe dir. Mag ja sein, dass man sich klammheimlich fragt: Kann ich das überhaupt? Oder bin ich nicht völlig überfordert, wenn ich mich um diesen Menschen in seiner Not jetzt kümmere? Die Geschichte vom Barmherzigen Samariter zeigt: Für diese Form der Nächstenliebe und Barmherzigkeit haben wir dann mehr Kraft und Ideen als wir denken.