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Basar Brüssel

Bernd Riegert23. Juni 2007

Das Schachern um Vorteile und nationale Egoismen hat aus dem Gipfel ein unwürdiges Schauspiel gemacht, meint Bernd Riegert in seinem Kommentar.

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Bild: DW

Mit 27 Mitgliedsstaaten ist die Europäische Union so gut wie unregierbar geworden. Der Streit um das Vertragsungetüm mit dem irreführenden Namen Reformvertrag beweist, dass die Regierungen hauptsächlich gegeneinander arbeiten. Die lange Nacht von Brüssel hat deutlich gemacht, wie nötig eine grundlegende Reform der Verfahren und Entscheidungswege ist.

Polen wollte Europa einfach einmal beweisen wie wichtig es ist. Die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident wetteiferten darum, wer denn nun die Gipfelregie führt. Vom feierlichen Geist der Berliner Erklärung zum 50. Geburtstag der EU, von Solidarität war nichts mehr zu spüren. Im März hatten sich die EU-Staats- und Regierungschefs noch versprochen, Europa voran zu bringen. Bei der praktischen Umsetzung jetzt in Brüssel war davon nicht mehr die Rede. Wenn es auch nicht offen ausgesprochen wurde, so ist doch klar: Das Europa der zwei Geschwindigkeiten steht unmittelbar bevor. Eine große Gruppe von Staaten wird die Integration alleine vorantreiben, während andere am Rand wie Polen oder Großbritannien bewusst zurück bleiben werden. Die Sitten verfallen, die europäische Idee nimmt Schaden.

Sinn schleierhaft

Es hätte nicht so viele Zugeständnisse an Polen geben dürfen. Die Bundeskanzlerin hätte als EU-Ratsvorsitzende hart bleiben müssen. Die übrigen Staaten hätten geschlossen Polen die Grenzen ihrer Toleranz aufzeigen müssen. Doch diese Geschlossenheit ließ sich nicht herstellen, also wurde weiter gepokert bis eine Formel herauskam, die normalen EU-Bürgern niemand mehr so richtig erläutern kann. Der gefledderte Reformvertrag

soll, wenn er denn jemals wirklich ratifiziert wird, jetzt mit bestimmten Teilen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft treten. Das Abstimmungssystem der doppelten Mehrheit aus Mitgliedern und Bevölkerung kommt, aber es wird später eingeführt als geplant. Welchen Sinn das hat ist schleierhaft. Entweder ist das System gerecht und gut, dann kann man es so schnell wie möglich einführen oder es ist ungerecht, wie Polen behauptet, dann muss man es ganz bleiben lassen. Im Übrigen ist der Streit um die Abstimmungsregeln künstlich, da die Regeln in der Praxis nie angewendet wurden. Es gibt so gut wie nie Kampfabstimmungen im EU-Ministerrat.

Besonders durchtrieben war das Vorgehen des britischen Premiers Tony Blair, der im Windschatten der Problem-Zwillinge aus Polen seine Änderungen am Vertrag durchdrückte, und dass obwohl er selbst den Vertragstext vor drei Jahren unterschrieben hatte.

Gut für die Skepsis

Es ging wieder zu wie auf dem Basar, ein unwürdiges Schauspiel mit dem sich die sinkende Europabegeisterung der eigenen EU-Bürger sicherlich nicht steigern lässt. Die Skepsis gegenüber der nächsten schon lange zugesagten Erweiterung um die westlichen Balkanstaaten wird nach diesem Spektakel erheblich anwachsen. Denn wie soll eine EU mit 30 oder 34 Staaten funktionieren, wenn es schon mit 27 nicht so recht klappt. Und was ist mit der ungleich größeren Türkei? Die Glaubwürdigkeit der EU hat durch dieses Gipfeltreffen nach innen und außen gelitten. Nur mit Ach und Krach hat die Union ihre Handlungsfähigkeit gerettet. Wie soll die Union von anderen Staaten als Akteur der Außenpolitik oder gar Weltpolitik ernst genommen werden, wenn sie ihre eigenen internen Krisen nur mit quälenden Kompromissen lösen kann.