1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Baustelle Einwanderung

John Sepulvado, Mecca, Kalifornien / ad16. Mai 2013

Wieder ist die Reform der Einwanderungsgesetze im US-Kongress ins Stocken geraten - auch wegen der Bombenanschläge von Boston. John Sepulvado erklärt, was das für einen Ort in der kalifornischen Wüste bedeutet.

https://p.dw.com/p/18Wia
Arbeiter in Mecca (Foto: John Sepulvado)
Bild: John Sepulvado

An Arbeitstagen steht Javier Lopez um vier Uhr morgens auf, um sich anzuziehen - Unterwäsche, zwei Paar weiße Baumwollsocken, eine Leinenhose, ein T-Shirt, ein Flanellhemd, ein rotschwarz gemustertes Halstuch und ein Hut. Um fünf Uhr erscheint Lopez auf seiner Arbeitsstelle. Bereits um 10 Uhr zeigt das Thermometer 35 Grad an - um die Mittagszeit beträgt die Temperatur 43 Grad. "Ich trage soviele Schichten Kleidung, um mich vor Schlangen- und Insektenbissen zu schützen", sagt er. Und fügt hinzu, dass man auf diese Weise durch den Schweiß auch ein bisschen mehr abkühle.

Um drei Uhr nachmittags wird Lopez seinen 10-Stundenarbeitstag beenden. Er lebt auf einem Wohnwagengelände außerhalb der Kleinstadt Mecca im Bundesstaat Kalifornien - die Lebensbedingungen sind fast unerträglich. Das Wasser ist nicht trinkbar, das Abwasser sickert aus den Rohren heraus und verschmutzt die Erdoberfläche. Die meisten Wohnwagen haben keinen Strom. Aber Lopez sagt, all dies störe ihn nicht. Er meint, dass dafür eben auch die Kosten gering seien und er somit etwas sparen könne für die Gründung einer eigenen Firma. "Ich will einen Pflegedienst aufmachen," erklärt Lopez. "Ich sehe einen Weg aus dieser Misere. Ich bin dankbar für meine Arbeitsstelle, aber acht Dollar pro Stunde werden mir auf Dauer nicht reichen."

Lopez sagt, er sei ein US-Bürger und warte nun darauf, dass seine Frau eine Arbeitserlaubnis in den USA erhält. Erst dann können sie eine Genehmigung für eine Firmengründung beantragen. Er könne die nötigen Papiere zwar selber beantragen, sagt er, aber die Ehre sollte seiner Frau gebühren. "Das ist wirklich ihre Idee gewesen", sagt er. "Es dauert einfach so unendlich lange."

Wohnwagengelände (Foto: John Sepulvado)
Die Hälfte der Bevölkerung von Mecca lebt unterhalb der ArmutsgrenzeBild: John Sepulvado

"Boston" und die Einwanderungsreform

Die ganze Prozedur wird sich voraussichtlich noch eine ganze Weile hinziehen, nicht nur für seine Frau, sondern auch für Millionen anderer Einwanderer. Denn auch wenn Anfang April ein Kompromiß über ein neues Einwanderungsgesetz im US-Kongress in greifbare Nähe gerückt zu sein schien - seit den Bombenanschlägen von Boston und der Erkenntnis, dass die Tatverdächtigen Einwanderer waren, ist dieser Vorgang ins Stocken geraten.

Der republikanische Senator Rand Paul aus Kentucky nutzt die aktuelle Debatte, um sich in der Öffentlichkeit zu positionieren. In einem Brief forderte er den Senat dazu auf, das Tempo der Reform zu drosseln. "Eine umfassende Einwanderungsreform muß nationale Sicherheitsinteressen stärker berücksichtigen. Die Fakten, die nach den Ereignissen beim Marathon in Boston nun ans Tageslicht gekommen sind, weisen auf Schwachstellen in unserem jetzigen System hin. Wenn wir diese Diskussion nicht als Gelegenheit begreifen diese Schwachstellen zu beheben, dann erfüllen wir unsere Aufgabe nicht."

Rand Paul (Foto: picture alliance)
Senator Rand Paul will bei der Einwanderungsreform das Tempo drosselnBild: picture-alliance/dpa

Während einige prominente Republikaner, darunter der letztjährige Vizepräsidenschaftskandidat Paul Ryan, an den Kongress appelliert haben, das Thema Einwanderung nun konkret anzugehen, haben andere führende Republikaner sich hinter Senator Paul gestellt, mit dem Ziel, den Vorgang der Gesetzesänderung zu verzögern.

Ohne Reform viele Abschiebungen

Diese Verzögerung hat konkrete Auswirkungen auf Menschen, die illegal in den USA leben. Barack Obama hat mittlerweile das Image eines Präsidenten, der gegen Kriminalität hart durchgreift. Unter seiner Führung haben die US-Behörden eine Rekordzahl von Latinos und anderen Einwanderern abgeschoben: 1,5 Millionen Menschen seit Obamas Amtsantritt. Viele von ihnen wurden auf ihrer Arbeitsstelle oder auf ihrem Weg zur Arbeit festgenommen. Die Abschiebungen haben auch die Gerichte übermäßig beschäftigt. Einwanderer, die aufgrund minimaler Verstöße gegen die Einwanderungsgesetze festgenommen wurden, mussten monatelang auf ihren Prozess warten - und wurden dann abgeschoben.

Ein Entwurf des geplanten Einwanderungsgesetzes würde es illegalen Einwanderern ermöglichen, die amerikanische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Ebenso würde es Personen, die bereits abgeschoben worden sind, erlauben im Rahmen der Familienzusammenführung erneut einzureisen.Solange aber keine neue Gesetzgebung vorliegt, setzen die Einwanderungsbehörden ihre Abschiebepraxis unerbittlich fort.

Ein Ort am Ende der Welt

In Mecca haben die Abschiebungen tiefe Furcht und Panik ausgelöst. Die Menschen in diesem 7000- Seelen-Ort haben Angst, mit Beamten oder Fremden zu sprechen.

"Die Menschen fürchten sich vor allen Personen, die irgendeine Uniform tragen, selbst vor Feuerwehrleuten, die mit Einwanderungsgesetzen gar nichts zu tun haben", erzählt Maria Machuca, eine Sozialarbeiterin, die auch Vorstandsmitglied der örtlichen Schule ist. Sie sagt, die Stimmung im Ort verhindere jeglichen Fortschritt, weil die Einwanderer aus lauter Angst nicht die Polizei oder ihren Vermieter oder sogar die Elektrizitätswerke anrufen."Sie rufen keine Notrufnummer an," berichtet sie. "Sie gehen ins Krankenhaus, oder zu unserer Klinik hier, wenn sie Hilfe benötigen."

Schild in spanischer Sprache (Foto: John Sepulvado)
'Gesetzlich verboten': In Mecca verhindert Angst jeglichen FortschrittBild: John Sepulvado

Während Machuca die Lebensbedingungen von Mecca als "Dritte Welt" bezeichnet, hat die Gemeinde durchaus Fortschritte erzielt. Ein neues Gemeinschaftszentrum ist gebaut worden, die Kriminalitätsrate ist gesunken, weniger Bier-und Weinflaschen als zuvor liegen auf den Straßen herum. "Die Lebensbedingungen hier haben sich verbessert", sagt Machuca. "Aber sie würden sich noch wesentlich schneller verbessern, wenn die Menschen keine Angst mehr vor Fremden haben müssten."