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Politik

BDS: Boykott und Gegenboykott

2. September 2018

Eine Boykott-Kampagne für die Rechte der Palästinenser polarisiert, weil sie die Frage aufwirft, wo Kritik an Israel aufhört und wo Antisemitismus beginnt.

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Deutschland BDS-Kampagne in Berlin
Bild: Imago/S. Zeitz

Wie politisch darf Kunst, dürfen Künstler sein? Dass sich über diesen Fragen ein Kulturereignis in ein Minenfeld verwandeln kann, haben in diesem Sommer die Ruhrtriennale in Bochum und das Berliner Pop-Kultur-Festival gezeigt. In Bochum entzündete sich eine erbitterte Kontroverse um die Band Young Fathers, weil die drei Hip-Hopper offen mit der israelkritischen Bewegung Boycott, Divestment, Sanctions (BDS) sympathisieren.

In Berlin hagelte es Absagen von Künstlern aus aller Welt, weil die israelische Botschaft zu den finanziellen Unterstützern des Festivals zählt. Auch hier hatte die internationale Aktivisten-Kampagne BDS ihre Finger im Spiel.

Das pro-palästinensische Netzwerk setzt sich für einen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Boykott Israels ein und brandmarkt das Land im Nahostkonflikt als Menschenrechtsverletzer. Zwar kann die BDS-Kampagne nichts für das Lob, das sie auch von der palästinensischen Terrororganisation Hamas erhält. Aber es verkompliziert den Fall. Denn im Zentrum der BDS-Debatte steht die Frage: Wann schlägt Israel-Kritik in Judenhass um? Deutschland, das Land der Täter, tut sich mit der Antwort besonders schwer.

Franchise BDS - eine Kampagne nimmt Fahrt auf

2005 hatten über 170 Organisationen der palästinensischen Zivilgesellschaft gemeinsam zu "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen" gegen Israel aufgerufen. Die Unterzeichnung der Friedensverträge von Oslo lag zu diesem Zeitpunkt ein Dutzend Jahre zurück. Jahre, in denen die Palästinenser keinerlei Fortschritt sahen. Stattdessen hatte sich die Zahl der jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten auf knapp 500.000 fast verdoppelt.

Laut BDS- Webseite soll mit dem Boykott "gewaltfrei Druck auf Israel ausgeübt werden, bis im Einklang mit internationalem Recht drei Forderungen erfüllt sind": das Ende von Israels Besatzung der palästinensischen Gebiete, die volle Gleichberechtigung seiner palästinensisch-arabischen Bürger und das Recht  auf Rückkehr für die palästinensischen Flüchtlinge von 1948. Besonders diese Forderung enthält politischen Sprengstoff, obwohl sie durch UN-Resolution 194 gedeckt ist. Die Forderung nach einem umfassenden Rückkehrrecht, so die Kritiker, stelle das Existenzrecht Israels als jüdischer Staat in Frage.

Israel Unabhängigkeitskrieg1948 flüchtende Palästinenser
Im Unabhängigkeitskrieg bei der Gründung Israels 1948 flohen mehr als 700.000 Palästinenser - oder wurden vertrieben Bild: picture-alliance/CPA Media

Nach langsamen Anlauf entfaltet BDS inzwischen spürbare Wirkung: 2014 zog der größte niederländische Pensionsverwalter PGGM zweistellige Millionensummen aus israelischen Banken ab. Und schon 2011 war eine Tochter der Deutschen Bahn aus der Planung für eine 1,2 Milliarden Euro teure Neubaustrecke zwischen Jerusalem und Tel Aviv ausgestiegen: Die Strecke sollte teilweise über besetztes Gebiet führen. Der Trinkwassersprudelhersteller SodaStream mit Sitz in Tel Aviv hat seine Produktion 2015 aus dem Westjordanland abgezogen, wodurch allerdings Hunderte Palästinenser ihre Jobs verloren. 

BDS fordert auf seiner Webseite den Ausschluss Israels aus internationalen Organisationen - von der UN bis zu Sportverbänden wie dem Weltfußballverband FIFA. Künstler sind aufgerufen, nicht mehr in Israel aufzutreten oder an Veranstaltungen teilzunehmen, die von Israel gefördert werden. Und auch der akademische Austausch ist betroffen. Prominentes Beispiel: Der im März verstorbene Physiker Stephen Hawking sagte 2013 seine Teilnahme als Ehrengast der Konferenz Facing Tomorrow in Israel ab. Schon nach dem Gaza-Krieg 2009 hatte der Physiker heftige Kritik an der "völlig unverhältnismäßigen israelischen Reaktion auf den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen" geäußert.

Stephen Hawking Suche nach außerirdischem Leben
Astrophysiker Stephen Hawking beteiligte sich am Wissenschaftsboykott gegen IsraelBild: picture-alliance/EPA/A. Rain

Mittlerweile ist die BDS-Kampagne weltweit aktiv, als lose koordiniertes Netzwerk von Gruppen und Einzelpersonen. Unter dem breiten Dach dieser Franchise-Kampagne finden sich unterschiedlichste Positionen - von differenziert, kompromissbereit und friedfertig bis hin zu radikal polarisierend. Aber auch antisemitisch?

Bundestag gegen BDS

Antisemitismus führte in Deutschland zum größten Menschheitsverbrechen: dem Holocaust. Vor zehn Jahren hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson bezeichnet. Der Deutsche Bundestag hat in diesem Jahr gleich zwei Entschließungen verabschiedet, in denen die BDS-Bewegung explizit verurteilt wird. In der Antisemitismus-Entschließung vom 17. Januar 2018 fordert das Parlament die Bundesregierung auf,

"der weltweiten Bewegung 'Boycott, Divestment, Sanctions' entschlossen entgegenzutreten. Der Deutsche Bundestag verurteilt den Aufruf zum Boykott israelischer Geschäfte und Waren sowie die Aufbringung von 'Don't Buy'-Schildern auf Waren aus Israel aufs Schärfste. Es ist Aufgabe der unabhängigen Justiz, zu prüfen, inwieweit durch einen Boykott Straftatbestände, z. B. Volksverhetzung, erfüllt sind, und gegebenenfalls angemessene Sanktionen gegen die Täterinnen und Täter zu verhängen".

Der Bundestag betont in seinem Beschluss außerdem, dass Judenfeindlichkeit für ihn auch alle "antisemitischen Äußerungen und Übergriffe umfasst, die als vermeintliche Kritik an der Politik des Staates Israels formuliert werden".

Seit Mai ist Felix Klein der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung. Im Gespräch mit der DW stellt der promovierte Völkerrechtler fest: "Sowohl in den Zielen als auch in den Methoden ist der BDS antisemitisch einzuordnen, weil durch den Boykott israelische Staatsbürger insgesamt in Geiselhaft genommen werden. Und bei den Methoden wird doch deutlich Anleihe genommen an der unseligen Rhetorik der Nazis: 'Kauft nicht bei Juden'."

Felix Klein: "Null Toleranz gegenüber Judenfeindlichkeit“

Diesen Vorwurf weist der Sprecher der BDS-Gruppe Bonn, George Rashmawi, im Gespräch mit der DW von sich: "Die Aktivitäten der Palästinenser richten sich nicht gegen Juden als Juden. Sie würden sich nicht anders verhalten, wenn die Besatzer Christen oder Buddhisten wären." In einer Email an die DW vom 30. Juli 2018 verweist auch BDS-Mitbegründer Omar Barghouti auf den nach seinen Worten entschieden antirassistischen Charakter der Bewegung: "BDS ist verankert in der Universalen Deklaration der Menschenrechte. Infolgedessen lehnt BDS jede Form von Rassismus kategorisch ab, auch Antisemitismus. Jüdische Unterstützung für BDS und für das Recht auf BDS wächst weltweit auf beeindruckende Weise."

Der Auftritt als Menschenrechtskampagne macht BDS tatsächlich auch für viele Juden akzeptabel. Zuletzt hatten sich Mitte Juli über 40 meist linksgerichtete jüdische Organisationen aus aller Welt in einem offenen Brief gegen die Vermischung von Israel-Kritik und Antisemitismus gewandt - und dabei speziell die BDS-Kampagne in Schutz genommen.

Avi Primor, ehemals israelischer Botschafter in Deutschland, gibt sich auf die Frage, ob BDS antisemitisch sei, nachdenklich. In Deutschland gebe es wegen der deutschen Vergangenheit eine "bestimmte Empfindlichkeit" beim Thema Antisemitismus, sagt der Ex-Diplomat im DW-Gespräch. "Das ist verständlich. Und ich werde das bestimmt nicht kritisieren. Aber für mich ist das Leitmotiv der BDS-Bewegung Gerechtigkeit für die Palästinenser und ein Ende der Besatzung." Zwar gebe es laute antisemitische Stimmen in den Reihen der BDS, stellt Primor fest. "Das ist jedoch weder die offizielle Politik der Bewegung, noch die Meinung der Mehrheit ihrer Mitglieder."

Mit BDS ist ein Kampf um Deutungshoheit und moralische Überlegenheit entbrannt, der die israelische Regierung nervös macht. 2015 bezeichnete Premierminister Benjamin Netanjahu BDS als "größte aktuelle Bedrohung Israels" und warnte sein Kabinett: "Wir sind mitten in einem Kampf, der gegen den Staat Israel geführt wird, (durch) eine internationale Kampagne, um seinen Namen zu beschmutzen." Der Warnung folgten Taten. Unter anderem wurde das mit dem Kampf gegen BDS betraute Ministerium für Strategische Angelegenheiten großzügig mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet. Minister Gilad Erdan erklärte, man gehe jetzt "von der Defensive zur Offensive" über. 

Gilad Erdan
Als Minister für Strategische Angelegenheiten leitet Gilad Erdan Israels Kampf gegen BDSBild: picture-alliance/dpa

Die israelische Jüdin Iris Hefets erklärt die Reaktion der Regierung Netanjahu auf BDS gegenüber der DW so: "Das Gefährlichste, was Israel passieren konnte, ist ein gewaltloser Widerstand." Hefets sitzt im Vorstand der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten, die BDS unterstützt. "Das ist das erste Mal, dass die israelische Regierung einer Bewegung begegnet, auf die sie keinen Einfluss hat - und die an Popularität gewinnt", fährt Hefets fort. "Es geht um Denken, um Ideen. Es geht um Menschen, die ein Unrecht sehen, die ihre Macht entdecken und etwas dagegen unternehmen. Was kann Israel dagegen tun? Nichts! Bis auf totalitäre Versuche, das zu unterbinden und auf die Politik Einfluss zu nehmen."

Gegenboykott

Dazu gehören für Hefets auch die Kündigung eines Kontos ihrer Organisation bei einer deutschen Bank. Ein Journalist der "Jerusalem Post" hatte bei der Bank interveniert und darauf aufmerksam gemacht, das Konto gehöre einer "antisemitischen Gruppe".

Es folgte die erste Schließung des Kontos einer jüdischen Organisation in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Iris Hefets zeigt sich im DW-Gespräch empört: "Diese Kündigung unseres Kontos zu bekommen, das als Jüdin in Deutschland zu erleben, war sehr unangenehm. Aber das ist keine Bedrohung für uns. Wir arbeiten nur mit freiwilligen Kräften und finanzieren uns durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Trotz unserer beschränkten Mittel haben wir es geschafft, das Konto wieder zu eröffnen. Weil viele kleine Organisationen und Menschen aus der Zivilgesellschaft für uns aufgestanden sind und gesagt haben: Wenn die Jüdische Stimme ihr Bankkonto nicht zurückbekommt, dann gehen wir auch raus aus der Bank."

Betroffen ist auch Nirit Sommerfeld, Mitgründerin des Bündnisses für die Beendigung der israelischen Besatzung. Die in Israel geborene und in Deutschland aufgewachsene jüdische Schauspielerin und Sängerin beklagt im DW-Interview: "Wo immer ich auftreten soll oder angefragt bin, schreiben prominente Mitglieder der jüdischen Gemeinde in München Mails, dass man mich doch bitte wieder ausladen solle. Ich wurde in München mittlerweile viermal ausgeladen oder gar nicht erst eingeladen."

Mit BDS hat Sommerfeld dabei nach eigener Aussage gar nichts zu tun. "Aber ich werde immer damit in Verbindung gebracht. Den Vorwurf, ich sei BDS-Aktivistin, gab es sogar in einem Wikipedia-Eintrag über mich, den irgendjemand ohne mein Wissen geschrieben hat. Da stand anfangs als einzige Aktivität, ich sei für die antizionistische BDS-Bewegung aktiv, was einfach erlogen ist", stellt Sommerfeld klar. Und ergänzt: "Ich habe aber gar keine Lust, mich gegen BDS wehren zu müssen. Denn ich halte BDS weder für antisemitisch noch sonst wie kriminell. Dass Leute über Boykott und Sanktionen wirtschaftlichen Druck ausüben wollen, halte ich prinzipiell für total legitim."

Antisemitismus gilt als besonders verabscheuungswürdige Form von Rassismus, weshalb die Definition von Antisemitismus so wichtig ist. Die Bundesregierung hat die Definition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) übernommen. Danach ist "Antisemitismus eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. (…) Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein." 

Entsprechend fein fallen die Unterscheidungen des Antisemitismus-Beauftragten Felix Klein aus:

"Wenn beispielsweise in der EU - gegen den Widerstand Deutschlands - beschlossen wird, Produkte besonders zu kennzeichnen, die in den Siedlungen hergestellt wurden, die völkerrechtlich umstritten sind, dann finde ich das persönlich nicht schön, würde es aber nicht als per se antisemitisch bezeichnen. Ich wundere mich allerdings auch, dass so etwas nur im Falle von Israel so politisiert wird. Eine Kampagne, beispielsweise Waren besonders zu kennzeichnen, die etwa auf der völkerrechtlich umstrittenen Krim hergestellt wurden, gibt es meines Wissens nicht.

Der Boykottaufruf der BDS-Bewegung ist so allumfassend. Da wird gesagt: 'Wir wollen Israel isolieren in allen Bereichen - Kultur, Wirtschaft, Politik, Sport.' In dieser Radikalität werden nach meinem Dafürhalten israelische Staatsbürger als Ganzes gebrandmarkt. Und diese Radikalität sehe ich als antisemitisch an."

Feine Differenzierung bei Apartheid

Auf der BDS-Webseite lässt sich nachlesen, die Bewegung sei vom Kampf gegen das rassistische Apartheid-Regime in Südafrika inspiriert. Speziell um den Begriff Apartheid tobt eine besonders erbitterte Debatte. Im Juli 2017 etwa erklärte der ehemalige israelische Regierungschef Ehud Barak in einem DW-Interview, Israel stünde vor einer "abschüssigen Bahn Richtung Apartheid". Eine solche Äußerung ist in den Augen von Felix Klein "politisch absolut korrekt", weil Barak ja nicht der einzige sei, der Bedenken gegen die israelische Siedlungspolitik habe. "Bei 'abschüssiger Bahn Richtung Apartheid' weiß jeder, was damit gemeint ist. Und es ist nicht per se antisemitisch." Aber, stellt Klein sofort klar: "Wenn man sagt, Israel ist ein Apartheid-Staat, dann ist nach meiner Auffassung eine rote Linie überschritten."

Diese "rote Linie" publikumswirksam überschritten hat Ende Juli der Berliner Stardirigent Daniel Barenboim, als er sich über das neue israelische Nationalstaatsgesetz äußerte. In dem Gesetz heißt es wörtlich: "Die Realisierung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung in Israel ist allein dem jüdischen Volk vorbehalten." Es gäbe jetzt "ein Gesetz, das die arabische Bevölkerung als Bürger zweiter Klasse bestätigt. Es ist daher eine sehr klare Form der Apartheid", schrieb Barenboim daraufhin in einem Gastkommentar für die israelische Zeitung "Haaretz" vom 22. Juli 2018. Er schloss diesen Kommentar mit dem Satz: "Deshalb schäme ich mich heute dafür, ein Israeli zu sein."

Barak: 'I'm not happy with any human life lost'

Wahrscheinlich ist es im Umgang mit Israel klug, einem Rat von Horst Teltschik zu folgen: "Kritik an israelischer Politik muss sehr nüchtern und sehr realitätsbezogen sein, man muss sich sehr intensiv sachkundig machen." Der enge Vertraute des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl war zehn Jahre lang Vorsitzender der deutsch-israelischen Wirtschaftskommission und leitete fast ein Jahrzehnt lang die Münchner Sicherheitskonferenz.

"Aber das kann ja nicht heißen, dass man, um dem Vorwurf des Antisemitismus zu entgehen, alles für gut und richtig hält, was vor allem die jetzige israelische Regierung entscheidet", fährt Teltschik fort. Es könne "uns nicht egal sein, welche Entscheidungen die israelische Regierung trifft", ergänzt er - auch aus ureigenstem Interesse: "Die Region des Nahen und Mittleren Ostens ist von einer Brisanz, die unmittelbare Auswirkungen auf Frieden und Sicherheit auch in Europa hat." 

Und wie man in Bochum und Berlin gesehen hat: Sie hat auch unmittelbare Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland.

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein