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Bedrohte Schätze im Depot

11. Dezember 2021

Sammelwut und Sammelwahn: Jahrhundertelang gierte Europa nach exotischen Schätzen aus aller Welt. Millionen von Objekten gelangten im Kolonialzeitalter auch in deutsche Museums-Depots. Die Kehrseite: leere Kultur-Brachen in den einstigen Kolonien.

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Eine Rückgabe der Objekte in den "Kühlkammern weißer Wissgier" an die Herstellungskulturen ist eher die Ausnahme. Noch immer wird gemauert, meint die Kritikerin des Berliner Humboldt-Forums Bénédicte Savoy: "Die größte Angst ist es, Begehrlichkeiten zu wecken. Man will nicht restituieren. Also erzählt man nichts." Von der Öffentlichkeit abgeschottet werden die Schätze in deutschen Museumsdepots nur selten so gut aufbewahrt, wie man vermuten sollte. Längst herrscht eine Art Notstandsroutine. In Berlin werden von einer halben Million Artefakte demnächst rund 10.000 im neuen Humboldt-Forum öffentlich präsentiert, doch der übergroße Rest, rund 98 Prozent, lagert weiter in Berlin-Dahlem im Depot, wo infolge baulicher Mängel schon einmal knöcheltief Wasser eindrang. Passives Entsammeln - so nennen Experten den andauernden Schwund von Artefakten durch Insektenfraß oder die Konfusion in Depotschränken und Bestandsakten. Viele Museen wissen nicht einmal, wie viele Kulturzeugnisse sie überhaupt besitzen. Das Münchner Museum Fünf Kontinente hat von seinen schätzungsweise 160.000 Stücken gerade einmal 57.000 erfasst, im Hamburger Museum am Rothenbaum (MARKK), dem früheren Völkerkundemuseum, weiß man nach einem Dachschaden und einer Asbestentsorgung nicht, welche Objekte sich in welchen Kisten befinden. An eine vollständige Digitalisierung der Artefakte aus aller Welt, wie sie schon vor Jahrzehnten in den Niederlanden oder Frankreich angepackt wurde, ist in Deutschland schon aufgrund des Budget- und Personalmangels in den nächsten Jahren nicht zu denken. Gibt es Auswege? Wann wird das virtuelle Museum, das interessierten indigenen Gruppen in Kamerun, Tonga oder an der Hudson-Bay einen Blick auf die eigenen Kulturzeugnisse in deutschen Depots erlaubt, endlich Realität? Wie gut gerüstet sind die ethnologischen Museen hierzulande dafür, das postkoloniale Erbe der Menschheit für die Herstellungskulturen zugänglich zu machen? Viele Objekte gibt es in den Ursprungsländern nicht mehr, sie sind dort aber für die kulturelle Identität von wachsendem Wert. Die Dokumentation nimmt eine kritische Bestandsaufnahme vor und macht deutlich, dass die Gefährdung ethnologischer Sammlungen nicht das Ergebnis von Schlamperei oft sehr engagierter Museumsmitarbeiter ist, sondern ein strukturelles Problem darstellt: eine Überforderungssituation, die einen deutlichen Zuwachs an Ressourcen, Forschungsenergie und Transparenz erfordert. Sie zeigt aber auch, wie belebend und produktiv Offenheit und Austausch auf eine angestaubte Institution wirken können.