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Gab Beethoven seinen Stücken die falschen Tempi?

Torsten Landsberg
26. Januar 2021

Am Zeitmaß von Ludwig van Beethovens Sinfonien beißen sich Dirigenten und Orchester die Zähne aus. Basieren sie auf einem Fehler des musikalischen Genies?

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Karikatur von Ludwig van Beethoven mit Kopfhörern.
Ludwig van Beethoven war taub, doch seine schnellen Tempi haben vielleicht einen anderen Ursprung

Musikalische Erfolge unterliegen einem einfachen, aber ausgeklügelten System: Hitproduzenten wissen, welches Tempo ein Song haben muss, wie sich Dur und Moll auf das Hörverhalten auswirken, wie lang das Lied höchstens sein darf und mindestens sein muss.  Hinter den einstigen Welterfolgen von Britney Spears steht eine ganze Hitfabrik, deren Abläufe den immer gleichen Mustern folgten. Was in den Charts steht, ist dort selten per Zufall gelandet - dem berechenbaren menschlichen Horizont sei Dank.

Zum Glück lässt sich in einer emotionalen Kunstform aber trotzdem nicht alles vorausplanen und kontrollieren. Peter Gabriel nahm 1979 sein drittes Soloalbum auf, am Schlagzeug saß sein Genesis-Kollege Phil Collins. Bei den Aufnahmen wurde eine neue Technik eingesetzt: Im Studio hing ein Mikrofon von der Decke, über das die Musiker in den Aufnahmepausen mit den Toningenieuren kommunizieren konnten.

Phil Collins sitzt mit Vollbart am Schlagzeug.
Zufall prägt die 1980er: Ein versehentlich offenes Mikrofon nahm Phil Collins' Schlagzeug auf und schuf einen neuen SoundBild: Getty Images/G. Wood

Als dieses Mikro bei einer Aufnahme eingeschaltet blieb, entstand ein neuer Drumsound, der die Popmusik der 1980er Jahre prägen sollte: Der Kompressor des Mikrofons reduzierte die lauten Sounds und verstärkte die leisen - geboren war ein trockener Hall, der das Schlagzeug abrupt abschnitt.

Beethoven setzte das Metronom früh ein

Zufälle in der Musik sind also absolut nichts Ehrenrühriges. Es ist wichtig, das zu erwähnen, weil aktuell diskutiert wird, ob die Tempi der Sinfonien eines der größten Komponisten der Geschichte auf einem Missgeschick beruhen. Ludwig van Beethoven, im vergangenen Jahr aus Anlass seines 250. Geburtstags umfassend gewürdigt, setzte als einer der ersten Komponisten das 1815 von Johann Nepomuk Mälzel entwickelte Metronom ein, das über die Zahl der Schläge pro Minute und einen ausschlagenden Zeiger genaue Tempoangaben ermöglichte.

Konzert mit Metronomen
Mit einer Anzahl an Schlägen pro Minute vereinfacht das Metronom das Komponieren - eigentlichBild: Hauke-Christian Dittrich/picture alliance

Beethoven war begeistert, weil ihm die schlichten musikalischen Tempoangaben wie Adagio, Allegro oder Presto zu unpräzise waren. Heute funktionieren Metronome elektronisch und zeigen die Zahl der Schläge digital an. Bei den alten, mechanischen Modellen, die immer noch auf manchem Klavier stehen, mussten die Komponisten die Taktung entweder nach Gehör abzählen oder aber ablesen - auf letzteres war der schwerhörige und in den letzten Lebensjahren taube Beethoven angewiesen. Und weil das Gerät samt seiner Technik neu war, könnte dem Komponisten genau hier ein Fehler in der Handhabung unterlaufen sein.

Alle Dirigenten lassen Beethoven langsamer spielen

Für eine Studie haben spanische Wissenschaftler ein mathematisches Modell entwickelt, das Beethovens Metronom entsprechen sollte. Sie analysierten außerdem die Tempi in 36 Aufnahmen von Beethovens Sinfonien, die von 36 verschiedenen Dirigenten geleitet wurden. Das Ergebnis: Selbst jene Dirigenten, die sich Beethovens Vorgaben punktgenau verschrieben hatten, ließen die Kompositionen langsamer spielen als von Beethoven notiert.

Britney Spears steht mit Tänzerinnen auf der Bühne.
Nichts dem Zufall überlassen: Bei Stars wie Britney Spears klügeln Hitfabriken die Charttauglichkeit der Lieder ausBild: picture alliance/AP/Invision/J. Salangsang

Die Forscher mutmaßen, Beethoven könne das Metronom falsch abgelesen haben, nämlich unterhalb des Gewichts am Zeiger des Gerätes - statt darüber. Beethoven, der die Metronom-Schläge sogar in seinen acht zuvor geschriebenen Sinfonien ergänzt hatte, vermerkte im Manuskript der Neunten: "108 oder 120 Mälzel". Ganz sicher schien sich der Komponist also selbst nicht zu sein.

Dirigenten und Orchester haben sich seit Ewigkeiten mit den irrwitzigen Tempi aus Beethovens Feder gemüht. Für sie dürfte die Studie wie Balsam auf das eigene Selbstvertrauen wirken. Gespielt haben sie Beethovens Sinfonien ohnehin langsamer, nun haben sie schwarz auf weiß, dass sie damit keinen Frevel begehen. Ohnehin machen die unterschiedlichen Interpretationen die Werke Ludwig van Beethovens bis heute lebendig.