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PolitikEuropa

Swetlana Tichanowskaja zur Ausreise gezwungen?

11. August 2020

Laut ihrem Wahlkampfteam wurde die Hoffnungsträgerin dazu gedrängt, Belarus zu verlassen. Tichanowskaja selbst stellte dies später etwas anders dar. Entlarvend für das System Lukaschenko ist es allemal.

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Gezeichnet vom Kampf der vergangenen Wochen: Swetlana Tichanowskaja bei einer Pressekonferenz am Montag in Minsk
Gezeichnet vom Kampf der vergangenen Wochen: Swetlana Tichanowskaja bei einer Pressekonferenz am Montag in Minsk Bild: Reuters/V. Fedosenko

Nach der Präsidentenwahl in Belarus (Weißrussland) hat die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja das Land verlassen und hält sich im EU-Land Litauen auf. Die 37-Jährige sei nun in Sicherheit, teilte der litauische Außenminister Linas Linkevicius über Twitter mit. Der Minister hatte sich zuvor angesichts der Gewalt in Belarus besorgt gezeigt um die Sicherheit der zweifachen Mutter.

Das Anti-Lukaschenko-Lager habe damit "sein Symbol" für den Widerstand verloren und sei führerlos geworden, sagte der belarussische Journalist Franak Viacorka im DW-Fernsehen. Das daraus resultierende Chaos sei Ziel des belarussischen Geheimdienstes. Sie wollten "spalten", sagte Viacorka. 

"Ich habe eine sehr schwierige Entscheidung getroffen"

Olga Kowalkowa vom Wahlkampfteam der Oppositionsführerin teilte der Nachrichtenagentur Reuters mit, Tichanowskaja sei von den Behörden gezwungen worden, Belarus zu verlassen. "Sie wurde von den Behörden aus dem Land gebracht. Swetlana hatte keine Wahl. Fünf Minuten vor dem Besuch (der Behördenvertreter) hatten wir noch unsere künftigen Pläne besprochen. Und sie hatte sicherlich nicht die Absicht, das Land zu verlassen", erklärte Kowalkowa. 

Weißrussland | Belarus | Präsident Alexander Lukaschenko hält eine Rede
Führt offensichtlich auch nach der Wahl den Kampf gegen seine Konkurrentin weiter: Präsident Alexander Lukaschenko Bild: imago images/Russian Look/V. Lisitsyn

Tichanowskaja selbst bestritt allerdings, zum Verlassen des Heimatlandes gezwungen worden zu sein. "Ich habe eine sehr schwierige Entscheidung getroffen. Es ist eine Entscheidung, die ich absolut unabhängig getroffen habe", sagte sie in einem Video auf YouTube. Auch der Grenzschutz von Belarus wies Vorwürfe zurück, die Oppositionspolitikerin sei per Zwang ins benachbarte Litauen gebracht worden. Sie haben das Land in der Nacht gegen 2.30 Uhr (MESZ) verlassen. 

Wieder stundenlange nächtliche Proteste 

Tichanowskaja hatte am Montag bei einer Pressekonferenz in der Hauptstadt Minsk noch gesagt, dass sie in Belarus bleiben werde und weiter kämpfen wolle. Sie beansprucht den Sieg bei der Präsidentenwahl vom Sonntag für sich. Tichanowskaja hatte sich aber auch massiv bedroht gefühlt von den Sicherheitskräften um den autoritären Staatschef Alexander Lukaschenko. Der 65-Jährige hat mit dem Einsatz der Armee gedroht, um seine Macht auch nach 26 Jahren für eine sechste Amtszeit zu verteidigen. Tichanowskaja hatte zuvor auch ihre Kinder außer Landes bringen lassen. Ihr Mann Sergej Tichanowski, ein regierungskritischer Blogger, sitzt in Haft. Tichanowskaja war an seiner Stelle bei der Wahl angetreten und hatte als einzige Oppositionelle eine Zulassung als Kandidatin erhalten.

Auch in der vergangenen Nacht gab es wieder stundenlange blutige Proteste wegen der Präsidentenwahl. Dabei kam ein Demonstrant ums Leben. In seiner Hand explodierte vorzeitig ein Sprengsatz, den er auf Polizisten schleudern wollte. Die Sicherheitskräfte nahmen laut eigenen Angaben mehr als 2000 Menschen fest. 

Uniformierte wechseln zu Demonstranten

Nach Einschätzung von Beobachtern war die Nacht noch mehr von Gewalt geprägt als die zum Montag, als es etwa 100 Verletzte und 3000 Festnahmen gegeben hatte. In sozialen Netzwerken kursierten Fotos von vielen blutüberströmten Menschen. Zudem gab es Aufnahmen von Uniformierten, die sich demonstrativ auf die Seite der Demonstranten stellten. Sie wurden als "Helden" gefeiert.

Selbstbewusste Demonstranten in der vergangenen Nacht in Belarus' Hauptstadt Minsk   (Foto: Reuters/V. Fedosenko)
Selbstbewusste Demonstranten in der vergangenen Nacht in Belarus' Hauptstadt Minsk Bild: Reuters/V. Fedosenko

Für diesen Dienstag haben die Gegner Lukaschenkos zu einem landesweiten Streik in den Staatsbetrieben aufgerufen, um den Machtapparat des Autokraten zu brechen. Kommentatoren sprachen zuletzt von der "Geburt der Nation Belarus", die sich - rund 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion - erst jetzt wirklich eine eigene Identität gebe. Wirtschaftlich ist das Land an der Grenze zum EU-Mitglied Polen allerdings von Russland abhängig. Die demokratischen Kräfte in Belarus hoffen auf Unterstützung auch von den EU-Nachbarn Litauen und Lettland.

sti/se/sth (afp, dpa, rtr)