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Belgien zeigt Stärke

Max Zander23. März 2016

Stunden nach den Anschlägen in Brüssel versammelten sich die ersten Menschen in der Altstadt, um gemeinsam den Opfern zu gedenken. Der Place de la Bourse ist zum Zeichen der Solidarität geworden, berichtet Max Zander.

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Belgien Brüssel Menschen versammeln sich am Place de la Bourse zur Demonstration einer Schweigeminute nach dem Anschlag. Foto: Max Zander
Bild: DW/M. Zander

Es ist ruhig hier, obwohl sich auf dem zentralen Platz in der Brüsseler Altstadt hunderte Menschen befinden. Sie sind hier um derjenigen zu gedenken, die bei den Terroranschlägen am Vortag getötet und verletzt wurden. Friedlich, im Stillen und ohne große Worte. Am Morgen war die Zahl derer, die Kerzen und Blumen vor den Stufen der Börse niederlegten noch überschaubar. Vieles was hier liegt, stammt vom Vortag. Handgeschriebene Karten sind darunter und einige Nationalfahnen. Neben dem belgischen liegt das brasilianische Banner ausgebreitet, daneben eine kleinere Version des Union Jack und die Flagge Palästinas. Auf einer schwarzen Karte steht "Je suis Bruxelles" in weißen Buchstaben, in Anlehnung auf den Angriff auf die Redaktion von Charlie Hebdo im letzten Jahr. Damals hieß es nach dem Attentat aus Solidarität "Je suis Paris".

Nach den Anschlägen am Dienstag in Brüssel sammelten sich die Menschen seit dem Nachmittag um bis spät den Opfern zu gedenken. Was am Morgen danach zunächst auffällt ist die große Medienpräsenz auf dem Platz. Dutzende Fernsehteams haben vor der historischen Kulisse der Brüsseler Börse ihre Kameras aufgebaut. Reporter mit Schreibblöcken und Aufnahmegeräten interviewen Passanten.

Vive la Belgique

Nun stehen die Menschen hier dicht gedrängt bis in die umliegenden Straßen, zweitausend insgesamt. Frauen und Männer sind darunter, Familien mit Kindern, Belgier und auch viele Touristen. Gerade wurde sich noch leise unterhalten, nun ist der Platz in kollektives Schweigen gehüllt. Ein paar Meter weit weg hockt eine Frau sich hin und schreibt mit Kreide etwas auf den Asphalt. Es ist so ruhig, dass man das Kratzen des Kreidestiftes auf dem rauen Asphalt deutlich hören kann. "BXL, ma belle", steht dort in orangenen Buchstaben – Brüssel meine Schöne.

Die Kirchenglocken schlagen zur Mittagsstunde und irgendwo in der Menge ruft eine Männerstimme: "Vive la Belgique". Die Menge fängt an zu klatschen. Der Applaus von den Stufen der Börse scheint nicht aufhören zu wollen.

Ein Mann während der Schweigeminute in Brüssel hält einen Zettel auf dem steht: Belgien bleibt stark. Foto: Max Zander, DW
"Belgien bleibt stark" ist dieser Mann überzeugtBild: DW/M. Zander

Kein Gefühl von Sicherheit

Seit den Terroranschlägen am Flughafen und in der Metro am Dienstagvormittag ist Belgien im Ausnahmezustand. 31 Tote und 270 Verletzte hat die Staatsanwaltschaft bis jetzt bestätigt. Premier Michel gab am Dienstag bekannt, dass das Land sich für weitere Anschläge wappnen würde. Hunderte zusätzliche Soldaten, die auf den Straßen der Hauptstadt patrouillieren, sollen Schlimmeres verhindern. Sicherheitskräfte demonstrieren auch hier an den Eingängen zum Place de la Bourse Stärke und Entschlossenheit. Soldaten und mit Sturmgewehren bewaffnete Spezialkräfte der Polizei sind darunter. Wer genau hinsieht, kann in der Menschenmenge Zivilpolizisten ausmachen, erkennbar an dem Funkknopf im Ohr. Über dem Platz kreist ein Hubschrauber. Die Stimmung ist ruhig, fast schon konzentriert, trotzdem fühlen sich einige Menschen unsicher.

So auch Catharina. Sie kommt aus dem Brüsseler Vorort Anderlecht und steht seit dem frühen Morgen auf den Stufen der Börse. Vor der Brust hält sie demonstrativ die heutige Ausgabe der Tageszeitung Le Soir. Tenir Bon prangt auf dem Titel – Durchhalten. Das ist auch ihr Motto. "Ich habe Angst hier zu sein, will aber meine Solidarität mit den Opfern zeigen. Wir sind doch alle Belgier, das ist unser Blut."

Eine Frau zeigt einen Zeitungstitel: Durchhalten! Foto: Max Zander, DW
Ein Zeitungstitel wird zum Motto: "Durchhalten!"Bild: DW/M. Zander

Mit Liebe gegen den Hass

Den Menschen, die hierher gekommen sind, geht es darum, Solidarität zu bekunden, sich nicht blinder Wut hinzugeben. Einige werden kreativ. Der Boden und die Wände der Börse sind an manchen Stellen bedeckt mit Kreidesprüchen. Einiges hat der Regen in der Nacht schon weggespült, übrig geblieben sind bunte Flecken. Ein Mann mittleren Alters fährt größere Geschütze auf. Mit einer Sprühdose bearbeitet er mehrere Quadratmeter der steinernen Oberfläche. Nach ein paar Minuten steht dort in fetten weißen Buchstaben: "Gardens es poir, la vie est belle. – Lasst uns die Hoffnung bewahren, das Leben ist schön." Der Spruch wird eine Weile dort zu lesen sein und das scheint hier auch niemanden zu stören.

Andreas Vandensande sitzt oben auf der Treppe zwischen den Stativen zweier Fernsehteams auf dem Boden. Der junge Mann mit gelbem Kapuzenpullover und Pferdeschwanz auf dem Scheitel hat eine Kiste mit farbigen Wollknäueln zwischen seinen Füßen stehen, daneben eine weitere, gefüllt mit kleinen Herzen. Zum Mitnehmen steht auf einem Klebezettel am Rand. Seit einer Stunde sitzt er hier und häkelt. Das ist seine ganz persönliche Art, eine ihm wichtige Nachricht zu übermitteln. "Wir dürfen uns nicht der Angst hingeben, das führt nur zu irrationalen Entscheidungen." Richtig viele Zettel hat er heute noch nicht verteilt, die Leute scheinen etwas gehemmt, wie er sagt. Er nimmt es jedoch mit Humor. Vielleicht liegt es daran, dass ich etwas komisch aussehe", sagt er und lacht.

Ein Mann hält Herzen aus Wolle bereit - zum Mitnehmen. Foto: Max Zander, DW
Mit Herzen aus Wolle gegen jede Form von HassBild: DW/M. Zander

Der Krieg wird weitergehen

Mittlerweile herrscht auf dem Platz regelrecht Aufbruchsstimmung. Viele Brüsseler haben ihre Mittagspause genutzt, um hierher zu kommen und müssen jetzt zurück zur Arbeit. Während die Menschen an ihm vorbeiströmen, hält Mohamed Ben Saied ein handgemaltes Schild mit den Worten "La Belgique restera debout!" über seinen Kopf – Belgien bleib stark. Der Ingenieur hat seine Arbeitsstelle nicht weit von hier und ist mit seinen Kollegen gekommen. Terrorangriffe wie diesen kenne er bereits aus Tunesien, berichtet er. Er fühle sich, wie er erzählt, als Belgier und Tunesier gleichermaßen, seine Kinder seien aber hier in Brüssel zu Hause. "Das ist ihre Stadt und ich muss sie für sie verteidigen. Unser Krieg wird weitergehen und wir müssen stark sein."