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Berührendes Berlinale-Kino: Die Welt in Bewegung

Silke Bartlick14. Februar 2016

Das Team der Berlinale hat die Flüchtlingsfrage zu einem zentralen Thema der Festspiele gemacht: "Havarie", "Grüße aus Fukushima" – wir stellen ihnen einige ausgewählte Filme aus den Sektionen Forum und Panorama vor.

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Berlinale 2016 Filmszene Grüße aus Fukushima. Hanno Lentz/Majestic.
Bild: Hanno Lentz/Majestic

Wasser, nichts als Wasser. Und darauf, unscharf und klein wie ein Fingerhut, ein Floß. Nein, ein Schlauchboot. Mit sechs, sieben, vielleicht sogar zehn Menschen an Bord. Wie halten die sich da nur? So dicht gedrängt, der Po fast im Wasser. Wenige Minuten lang war das Video, das ein irischer Kreuzfahrtreisender auf dem Mittelmeer gedreht hat. Der deutsche Filmemacher Philipp Scheffner hat es auf Spielfilmlänge ausgedehnt: 90 Minuten lang sieht man das Boot in der Dünung, mal deutlicher, mal grobkörnig und unscharf; zwei-, dreimal der Blick in die Ferne, auf das endlose Meer. Und einmal der Schwenk zur Bordwand des riesigen Kreuzfahrtschiffes. Passagiere stehen auf einem auskragenden Balkon und starren die da unten, die da im Schlauchboot, an. Manche winken.

Cineastisches Wagnis

Ermüdend ist dieser Film nie. Vielmehr gewinnt das cineastische Wagnis "Havarie" unentwegt an Intensität. Denn während Philipp Scheffner den Betrachter mit diesem einen Bild der Hilflosigkeit konfrontiert, setzt er in dessen Kopf eine ganze Bilderflut frei. Dafür braucht er nicht mehr als eine Tonspur, Stimmen und Geräusche aus dem Off: Über Funk krächzt die Seenotrettung, kündigt einen Hubschrauber an und ein Boot. Aber das wird erst in anderthalb Stunden kommen. Nordafrikanische Schlepper versichern, dieses sei ihre letzte Überfahrt. Oder auch nicht. Eine Frau telefoniert aus Frankreich mit ihrem Mann in Algerien, er hat wieder kein Visum bekommen. Später wird auch er in so ein Boot steigen. "Dieses Meer ist ein großer Friedhof", wissen russische und ukrainische Seeleute. Und philippinische Matrosen besingen das verlorene Leben. Das ganze Drama der anhaltenden Flüchtlingsströme in einer einzigen Einstellung!

Berlinale 2016 Filmszene Havarie. (c) pong
Havarie - radikal gelungenes Kino!Bild: pong

Die Berlinale ist wie immer Seismograph gesellschaftspolitischer Fragen und Spiegel der Realität. Folglich kreisen diverse Festivalbeiträge um das Thema Flucht und Flüchtlinge. Aber wie lässt sich das darstellen? Die Filmemacher haben ganz unterschiedliche Antworten gefunden. Und sie konzentrieren sich keineswegs nur auf die Katastrophe auf dem Mittelmeer und die Flüchtlingsströme aus Syrien.

Ohne Perspektive

Israel gehört zu den Unterzeichnern der UN-Flüchtlingskonvention von 1951. Und es ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Seit gut zehn Jahren ist das Land, Ziel von Flüchtlingen aus Eritrea und dem Sudan. Die meisten sind 2007 gekommen, es sollen rund 50.000 gewesen sein. Abgeschoben werden dürfen sie nicht, aber "die Israelis wollen keine Schwarzen", sagt einer der Protagonisten in Avi Mograbis Dokumentarfilm "Between Fences ". Tatsächlich, so Avi Mograbi, versuche die israelische Regierung immer wieder, die Asylsuchenden zur freiwilligen Rückkehr in ihre Heimatländer zu überreden. Und sie verwehre ihnen jede Perspektive im Land, bringe sie in Internierungslagern wie Holot unter. Das liegt mitten in der Wüste, nahe der ägyptischen Grenze und trägt Züge eines Gefängnisses: dreimal täglich Appell, reglementierte Ausgangsregeln, miserables Essen, keine Arbeit, keine Ausbildung.

Berlinale 2016 Filmszene Bein gderot. Berlinale
Israel, das Land der Flüchtlinge, ignoriert andere Flüchtlinge.Bild: Berlinale

Wie kann es sein, das Israel, das Land der Flüchtlinge, andere Flüchtlinge ignoriert, hat sich der Filmemacher Avi Mograbi empört gefragt. Zusammen mit dem Theatermacher Chen Alon hat er in Holut einen Workshop veranstaltet, bei dem Flüchtlinge ihre Erfahrungen von Flucht und Diskriminierung aussprechen konnten. Ein Prozess mit ungewissem Ende, mit allen Höhen und Tiefen dokumentiert von der Kamera. Irgendwann stießen einige Israelis dazu und der Workshop erhielt damit eine Intensität, die der Film ungebremst transportiert. Rollenspiele und der mit ihnen einhergehende Perspektivwechsel ermöglichen scheinbar wirklich ein tieferes Verständnis für die Situation der anderen! Dieses "Theater der Unterdrückten" tourt mittlerweile durch Israel, und Avi Mograbis Film wurde bei der Uraufführung in Berlin gefeiert. Tränen gab es auch. Keiner der Mitwirkenden aus Eritrea und dem Sudan durfte mit nach Berlin reisen. Obwohl das Avi Mograbis größter Wunsch war. Denn er hatte gehofft, dass einer der Männer hier nach Jahren der Trennung seine Frau wieder sehen könnte. Sie hat in Deutschland Asyl erhalten. Nun saß sie allein im Kino.

Kino mit Happy End

Menschen flüchten vor Krieg, Gewalt, vor Terror und nach Naturkatastrophen. Am 11. März 2011 hat ein Erdbeben der Stärke 9 in Japan eine furchtbare Kettenreaktion ausgelöst: 15 Meter hohe Wellen verwüsteten weite Landstriche, rissen 19.000 Menschen in den Tod und lösten einen schweren Störfall im Atomkraftwerk von Fukushima aus. Nach Kernschmelzen in drei Reaktorblöcken wurde radioaktives Material freigesetzt, das Luft, Wasser, Böden und Nahrung in weitem Umkreis kontaminierte. Etwa 170.000 Einwohner aus den betroffenen Gebieten wurden evakuiert, nicht wenige leben bis heute in provisorischen Unterkünften.

Berlinale 2016 Filmszene Grüße aus Fukushima. Mathias Bothor/Majestic
Spröde Annäherung zweier unterschiedlicher Frauen.Bild: Mathias Bothor/Majestic

Hier setzt Dorris Dörries Spielfilm "Grüße aus Fukushima" ein. Eine stimmige Geschichte zweier ungleicher Frauen – einer jungen Deutschen, die vor den eigenen Problemen geflüchtet ist, und einer seit der Katastrophe traumatisierten alten Geisha, die in der Unwirtlichkeit Fukushimas lernen, sich der Vergangenheit zu stellen. Gemeinsam richten sie das zerstörte Haus der alten Japanerin wieder her und vertreiben schließlich die bösen Erinnerungen."Diese Katastrophe ist nicht die Katastrophe Japans, das ist unsere. Und dieses Gefühl der Verbundenheit, das wollte ich erzählen", sagte Regisseurin Dörrie in Berlin. Sie macht es in einem anrührenden Film mit Happy End. Das tut manchmal richtig gut.