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Konflikte

Aserbaidschan übernimmt weitere Region

1. Dezember 2020

Die Armee Aserbaidschans hat die dritte und letzte Region unter ihre Kontrolle gebracht, die Armenien gemäß dem Waffenruhe-Abkommen im Berg-Karabach-Konflikt abtreten muss. Soldaten rückten in der Stadt Latschin ein.

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Aserbaidschan übernimmt die Kontrolle über Lachin von Armenien
Aserbaidschanische Soldaten tragen eine große Fahne bei der feierlichen Übergabe der Region LatschinBild: Emrah Gurel/AP Photo/picture alliance

Über einem Verwaltungsgebäude der Stadt Latschin hissten aserbaidschanische Soldaten die Landesflagge, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP meldeten. In den vergangenen Wochen hatte Armenien bereits die Regionen Aghdam und Kalbadschar an den Nachbarstaat übergeben. Vier weitere Regionen waren während der sechswöchigen Kämpfe von den Streitkräften Aserbaidschans eingenommen worden.

Eine Kolonne aserbaidschanischer Militärfahrzeuge war in der Nacht begleitet von russischen Streitkräften in die Region eingerückt. Vor der Ankunft der Armee hatten die meisten der bisherigen armenischen Bewohner ihre Dörfer in der Region Latschin geräumt, viele nahmen ihr gesamtes Hab und Gut mit. Einige setzten auch ihre Häuser in Brand.

Der 48-jährige Lewon Geworgjan, Besitzer eines Lebensmittelgeschäfts, entschied sich hingegen zu bleiben. "Ich fürchte mich nur vor Gott. Ich bin seit 22 Jahren hier, ich habe mit nichts angefangen, ich habe alles aufgebaut", sagte er. "Falls ich gehen muss, werde ich alles niederbrennen."

Ein "Feiertag" für Alijew

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew sprach in einer Rede im Fernsehen vom Anbruch "einer neuen Realität". In der Hauptstadt Baku sagte er: "Ich gratuliere dem gesamten aserbaidschanischen Volk zu diesem Feiertag." Alijew fügte hinzu: "Wir haben den Feind aus unserem Land vertrieben. Wir haben unsere territoriale Integrität wiederhergestellt. Wir haben die Besatzung beendet." Vor dem ersten Konflikt um Berg-Karabach in den 1990er Jahren hätten fast 50.000 Aserbaidschaner in der Region Latschin gelebt. Sie würden nun in "naher Zukunft" zurückkehren. Zusammen mit deren Nachkommen schätzte er die Zahl auf mittlerweile 80.000 Menschen. Zudem solle eine neue Verbindungsstraße von Berg-Karabach nach Armenien gebaut werden. Seinen Angaben zufolge wird die Waffenruhe weitgehend eingehalten.

Präsident Aserbaidschan Ilham Alijew TV-Rede
Präsident Ilham Alijew bei einer Fernsehansprache (Archivbild)Bild: Azerbaijani Presidency/AA/picture alliance

Nach sechswöchigen schweren Kämpfen um Berg-Karabach hatten die verfeindeten Nachbarstaaten Armenien und Aserbaidschan Anfang November unter der Vermittlung Russlands einen Waffenstillstand geschlossen. Das Abkommen vom 9. November sieht vor, dass beide Kriegsparteien jene Gebiete behalten, in denen sie derzeit die Kontrolle haben - für Armenien bedeutet das große Gebietsverluste. Seither gibt es Armenien heftige Proteste gegen die Regierung.

Russische Truppen überwachen Waffenruhe

Für die Kontrolle des Waffenstillstands sind dem Abkommen zufolge rund 2000 russische Soldaten zuständig. Diese sichern auch eine wichtige Straße, die durch die Region Latschin führt und die Regionalhauptstadt Stepanakert mit Armenien verbindet. Moskau und Ankara einigten sich am Dienstag zudem auf die Einrichtung eines gemeinsamen Zentrums zur "Friedenssicherung" in der umstrittenen Region. Ankara ist ein enger Verbündeter Aserbaidschans.

Heimkehr nach Berg-Karabach

Olesja Wartanjan, Analystin der auf Konflikte spezialisierten International Crisis Group (ICG), sieht in der Übergabe der letzten Region an Aserbaidschan zwar ein Zeichen, dass das Waffenstillstandsabkommen "funktioniert". Der neue Status quo bleibe aber "unklar", sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. "Das von Moskau vermittelte Abkommen ist sehr präzise, wenn es um die Übergabe der Gebiete geht, aber in mehreren Punkten wie dem Mandat der russischen 'Friedenstruppen' und der Art und Weise, wie das Leben der örtlichen Bevölkerung organisiert werden soll, bleibt es unklar", sagte sie.

Die bergige Region im Süden des Kaukasus ist seit Jahrzehnten zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken umkämpft. Berg-Karabach hatte während des Zerfalls der Sowjetunion einseitig seine Unabhängigkeit erklärt. Darauf folgte in den 1990er Jahren ein Krieg mit 30.000 Todesopfern. Die selbsternannte Republik wird bis heute international nicht anerkannt und gilt völkerrechtlich als Teil Aserbaidschans. Sie wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt.

kle/qu (afp, dpa)