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Politik

Bergkamen: Bedrohte SPD-Hochburg

12. September 2017

Auf kaum eine deutsche Stadt kann sich die SPD so verlassen wie auf Bergkamen im Ruhrgebiet, regelmäßig räumen die Genossen bei Wahlen hier ab. Aber die Stimmung droht zu kippen.

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Deutschland Bergkamen
Bergbau ist in Bergkamen längst GeschichteBild: DW/V. Witting

Die Grubenfahrt für die Ex-Kumpel ist kurz. Es geht nicht, wie früher, mehr als einen Kilometer unter die Erde. Und heiß, stickig und staubig ist es hier auch nicht. Nur ein paar Treppen, und die ehemaligen Bergleute sind wieder in ihrer Welt: im Barbara-Stollen, direkt vor der Kohle: Glück auf! Und dann singen sie gemeinsam und mit festen Stimmen das Steigerlied, die alte Bergmannsweise. Zehn Meter unter der Erde, direkt unter dem Stadtmuseum, treffen sich die ehemaligen Kumpel in ihrem Bergbaumuseum. Das pflegen sie mit so viel Liebe, wie einstmals  "ihre" SPD.

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Der Bergbautradition verbunden - Geschichtskreis Haus Aden Grimberg 3/4Bild: DW/V. Witting

SPD: für viele noch immer die alte Arbeiterpartei

"Für uns ist die SPD eben die typische Arbeiterpartei", sagt der ehemalige Bergmann Volker Wagner. Er ist 50 und Rentner. Und nicht ins Bodenlose gefallen, sondern sozial abgesichert im Vorruhestand. "Das habe ich auch der SPD zu verdanken, die immer an unserer Seite gestanden hat. Gerade bei den Arbeitskämpfen."

In der ehemaligen Bergbaustadt ist die Welt für die Sozialdemokraten noch in Ordnung: Im Stadtrat hat die SPD eine satte Mehrheit von fast 60 Prozent. Selbst bei den für die SPD desaströs schlechten Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai – die CDU regiert nun zusammen mit der FDP – hatte die SPD in Bergkamen mehr als 51 Prozent der Erststimmen.

Der Erfolg der Sozialdemokraten ist in der 50.000-Einwohner-Stadt auch eng verbunden mit dem Bürgermeister. SPD-Mann Roland Schäfer hat Humor und Durchsetzungsvermögen. "Manche unserer Gegner sagen ja: Man kann hier einen Besenstiel rot anstreichen, und der wird gewählt", scherzt er. Schäfer ist schon seit 1998 Bürgermeister, beim letzten Mal wiedergewählt mit fast 70 Prozent. "Die SPD ist hier einfach noch eine echte Volkspartei, tief verwurzelt bei den Gewerkschaften, beim Sport, den Vereinen."

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"Unter Tage" im BergbaumuseumBild: DW/V. Witting

SPD im Stimmungstief - auch im Ruhrpott

Doch der Niedergang der Volkspartei SPD geht auch an Bergkamen nicht spurlos vorüber. Bei den Landtagswahlen zum Beispiel haben die Sozialdemokraten auch hier Verluste hinnehmen müssen. Die populistische AfD hat hier an Boden gewonnen, fast 10 Prozent geholt.

In der Kleingartenanlage "Im Krähenwinkel" geht die Rechnung Bergbau gleich SPD nicht mehr immer auf. Klaus Petrat und seine Frau Anja sind gerade dabei, Gemüse einzukochen. Beide sind eigentlich SPD-Stammwähler. Doch bei ihnen hat sich eine gewisse Ernüchterung eingestellt, erklärt Klaus Petrat: "Das Vertrauen ist irgendwie weg. Ich kenne viele, die sich abwenden, weil die Politik für den kleinen Mann nicht mehr gemacht wird."

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SPD-Stammwähler Klaus und Anja PetratBild: DW/V. Witting

Über den Spitzenkandidaten ihrer Partei, Martin Schulz, wollen sie "Im Krähenwinkel" zwar nichts Schlechtes sagen. Aber Begeisterung stellt sich auch nicht ein, wenn der Name fällt.

In der Innenstadt von Bergkamen stehen viele Ladenlokale rund um den Herbert-Wehner-Platz leer. Der Strukturwandel hat auch hier zugeschlagen. Im kommenden Jahr schließt die letzte Zeche im Ruhrgebiet. Gut für Bergkamen, dass wenigstens die Chemie geblieben ist. Bayer Pharma ist der größte Arbeitgeber. Die Arbeitslosigkeit liegt in der Stadt bei rund zehn Prozent. Das ist weit mehr als der Bundesdurchschnitt, aber für eine Stadt am Rande des Ruhrgebiets gut.

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SPD-Bürgermeister Schäfer kämpft für sein nächstes Projekt - die Wasserstadt AdenBild: DW/V. Witting

Bürgermeister-Ideen für den Strukturwandel

Strukturwandel, das hatte SPD-Bürgermeister Schäfer schnell begriffen, ist das wichtigste Projekt für seine Stadt. "Es war wirklich manchmal nicht einfach, die Genossen von meinen Ideen zu überzeugen", räumt Schäfer ein. So eine umstrittene Idee war das Westfälische Sportbootzentrum Marina Rünthe am Dattel-Hamm-Kanal. Aus einer Industriebrache hat die Stadt einen florierenden Hafen für Freizeitkapitäne gemacht und Industrie angesiedelt. 800 Arbeitsplätze sind auf dem Areal entstanden.

Und Schäfer hat noch weitere Pläne für die SPD-Stadt Bergkamen. Stolz präsentiert er die Entwürfe für die Wasserstadt Aden. Wohnen am Wasser. Ein Zukunftsprojekt des Strukturwandels: 300 Wohneinheiten, 50 Hektar groß, über 50 Millionen Euro Investitionssumme.

Zunächst hätten die Genossen da auch wieder gemurrt: Luxusprojekt für die Besserverdienenden! Doch er habe die Skeptiker überzeugen können, sagt Schäfer. Und so solle das auch mal der Martin – gemeint ist Martin Schulz – machen: die Leute mitnehmen und authentisch bleiben, lautet die Empfehlung des Bürgermeisters: "Da kann er schon vielleicht ein bisschen von Bergkamen lernen. Nämlich eben nicht nur die traditionelle SPD-Wählerschaft ansprechen, sondern breitere Bevölkerungsschichten."

Das solle jetzt nicht arrogant klingen, fügt Schäfer noch an. Aber Bergkamen zeige eben, dass Moderne und Tradition – jedenfalls hier, im Kernland der Sozialdemokraten – noch zusammenpassen, zum Erfolg der Noch-Volkspartei SPD.

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online