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Politik

Zahl antisemitischer Vorfälle gestiegen

1. Mai 2019

Erst vor wenigen Tagen starb bei einem Angriff auf eine Synagoge in den USA eine Frau. Kein Einzelfall, sagt ein Bericht israelischer Forscher. Der Antisemitismus werde stärker - und drohe sogar zum Mainstream zu werden.

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Gläubige tragen eine Frau zu Grabe, die bei einem Angriff auf eine Synagoge nahe San Diego am 27. April getötet worden war
Gläubige tragen eine Frau zu Grabe, die bei einem Angriff auf eine Synagoge nahe San Diego am 27. April getötet worden warBild: picture-alliance/newscom/A. Drehsler

Weltweit erleben Juden deutlich mehr antisemitische Attacken. Im Vergleich zum Vorjahr gab es 2018 dreizehn Prozent mehr antisemitische Vorfälle, wie aus einem Bericht israelischer Forscher der Universität Tel Aviv hervorgeht. Die Studie registrierte weltweit 387 antisemitische Vorkommnisse. Mit mehr als hundert seien die meisten Vorfälle in den USA verzeichnet worden. Darauf folgten Großbritannien (68) sowie Deutschland und Frankreich (jeweils 35). 

Mosche Kantor, Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, sagte zu dem Bericht: "Der Antisemitismus ist zuletzt so stark angestiegen, dass die Fortsetzung jüdischen Lebens an sich in vielen Teilen der Welt in Frage gestellt ist." Der Bericht registriert auch 13 Mordfälle an Juden mit antisemitischen Motiven. Elf wurden bei einem Angriff auf eine Synagoge in Pittsburgh im Oktober getötet. Zwei weitere Morde wurden an der Holocaust-Überlebenden Mireille Knoll in Paris und dem jüdischen Studenten Blaze Bernstein in Kalifornien verübt.

Der Bericht der Universität Tel Aviv führt das Erstarken des Antisemitismus in den USA auf rechtsextreme Gruppen und Feindseligkeiten auf Universitätsgeländen zurück. Dort würden jüdische Studenten angegriffen, die Israel unterstützten.

Besonders stark war der Anstieg antisemitischer Vorfälle in Frankreich und Deutschland mit 74 bzw. 70 Prozent. Verantwortlich dafür sei das Erstarken rechtsextremer Gruppen und antisemitische Ressentiments in der wachsenden muslimischen Bevölkerung der beiden Länder.

Oft zeigt sich Antisemitismus in Form von Vandalismus wie hier in Frankreich
Oft zeigt sich Antisemitismus in Form von Vandalismus wie hier in FrankreichBild: Reuters/V. Kessler

Antisemitismus wird zum Mainstream

Die beunruhigendste Entwicklung ist aber laut des Berichts, dass sich "Juden in manchen Ländern so fühlen, als würden sie in einem Ausnahmezustand leben". In der Folge würden sie die Verbundenheit mit Orten hinterfragen und anzweifeln, in denen sie seit Jahrhunderten leben. Dazu trage auch bei, dass sich Antisemitismus in Debatten, politischen Foren und sozialen Netzwerken normalisieren würde. Der Großteil der befragten Juden (75 bis 80 Prozent) zeigten antisemitische Vorfälle nicht an, da es zu viele seien, die zu häufig passierten.

Ebenfalls im Mainstream angekommen ist dem Bericht zufolge Antisemitismus im anti-zionistischen Diskurs. "Alle klassischen judenfeindlichen Stereotype werden auf  den jüdischen Staat projiziert. Israel-Hass wird zu einer politisch korrekten Form des Antisemitismus", heißt es im Bericht. Erst vor wenigen Tagen hat die Tageszeitung "New York Times" erhebliche Kritik für eine antisemitische Karikatur einstecken müssen, die den US-Präsidenten Donald Trump an der Leine eines Hundes mit dem Gesicht des israelischen Premiers Netanyahu zeigt.

Kritik am Wiederaufleben des Antisemitismus

Der Anstieg des Antisemitismus wird von verschiedenen Seiten scharf kritisiert. "Im Moment gibt es keinen sicheren Ort für Juden auf der Welt", sagte der 83-Jährige französische Nazi-Jäger Serge Klarsfeld nach dem Anschlag auf die kalifornische Synagoge am vergangenen Samstag. Es sei "tragisch", dass die Angriffe "auf beiden Seiten des Atlantiks" zunehmen, sagte Klarsfeld. "Der Hass auf Juden lebt weiter."

Der Religionswissenschaftler Michael Blume befürchtet, dass sich der Antisemitismus zu einer "globalen Gegenreligion" entwickelt. Das liege daran, dass Judenhass und Judenfeindschaft besonders weit verbreitet seien. "Kaum jemand glaubt an eine Weltverschwörung der Brasilianer oder Albaner." Im Kampf gegen Antisemitismus setzt Blume auf Bildung. "Es geht auch um die Frage: Verstehe ich meine eigene Kultur und Religion?"

Zudem müsse man Antisemiten Grenzen zeigen. "Sie akzeptieren für gewöhnlich nur einen autoritären, starken Staat. Das Internet erleben sie als rechtsfreien Raum, in dem sie nach Herzenslust hetzen können. Und dann denken sie, sie sprechen für eine schweigende Mehrheit, weil ihnen in ihrer Blase niemand mehr widerspricht." Daher komme eine schnelle Radikalisierung, die derzeit zu beobachten sei.

lh/kle (dpa, afp)