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Berlin als Vermittler im Afghanistan-Konflikt

11. Januar 2012

Berlin vermittelt verstärkt im Afghanistan-Konflikt, das beinhaltet Gespräche mit Taliban und Warlords. Man könne es sich nicht leisten, wählerisch zu sein, meint Afghanistan-Experte Jochen Hippler.

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Porträtfoto Dr. Jochen Hippler, Politikwissenschaftler am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen (Foto: Alina Novopashina dpa/lbn )
Dr. Jochen Hippler ist Friedensforscher an der Universität Duisburg-EssenBild: picture-alliance/ dpa

Deutschland verstärkt seine Vermittlungsbemühungen im Afghanistan-Konflikt. Beteiligt sind daran alle Seiten, die USA ebenso wie die Taliban und deren Widersacher von der sogenannten Nordallianz. Auch bei der geplanten Eröffnung eines Taliban-Verbindungsbüros in Katar ist offenbar hinter den Kulissen Deutschland beteiligt. In Berlin finden derzeit vermehrt Sondierungsgespräche statt, so soll sich auch der berüchtigte Warlord Rashid Dostum in der Hauptstadt aufhalten. Offiziell heißt es von deutscher Seite dazu lediglich, man unterstütze den Prozess der inneren Aussöhnung in Afghanistan. DW-WORLD.DE hat darüber mit dem Afghanistan-Experten Jochen Hippler gesprochen.

DW-WORLD.DE: Deutschland lehnte noch vor einigen Jahren jedes Gespräch mit den Taliban ab. Der damalige SPD-Chef Kurt Beck wurde für seinen Vorschlag, mit den sogenannten gemäßigten Taliban zu sprechen, heftig kritisiert. Wie kam es jetzt zu diesem Sinneswandel?

Jochen Hippler: Die politischen Akteure in Europa und in den USA haben begriffen, dass der Konflikt in Afghanistan nicht militärisch zu lösen ist. Auf der anderen Seite wurde auch wahrgenommen, dass Präsident Hamid Karsai allein nicht in der Lage ist, für Frieden in seinem Land zu sorgen. Er ist kein Partner, der von allen Seiten akzeptiert wäre. Also blieb Berlin vor diesem Hintergrund keine andere Wahl, auch unorthodoxe Wege einzuschlagen. Das heißt: direkte Gespräche mit dem harten Kern der Taliban, aber auch mit den Gegnern der Taliban, also der Nordallianz, zu suchen. Auch Deutschland hat ein großes Interesse daran, seine Soldaten heil vom Hindukusch nach Hause zu bringen.

Dieser veränderten Politik ist es also zu verdanken, dass sich zurzeit Vertreter der sogenannten Nordallianz, ein Mann wie General Rashid Dostum zum Beispiel, dem ja viele Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, in Berlin befinden?

Das ist das große Dilemma. Wir haben eine Situation in Afghanistan, wo man tatsächlich Kriegsverbrechern, Warlords, also Menschen, die für schlimmste Verbrechen verantwortlich waren, teilweise in der Regierung oder als Machtfaktoren außerhalb der Regierung begegnet. Mit diesen Personen nicht zu verhandeln, würde bedeuten, den Konflikt nicht durch Gespräche lösen zu können. Vor diesem Hintergrund kann man bei der Wahl der Gesprächspartner in Afghanistan nicht wählerisch sein.

Mal angenommen, die deutsche Seite kämme mit den Taliban zu einem Ergebnis. Inwiefern könnte dieses Ergebnis für die afghanische oder amerikanische Seite als bindend gelten?

In keiner Weise. Mein Eindruck ist, dass Berlin eine wichtige Rolle spielen kann, wenn es darum geht, unterschiedliche Konfliktparteien und Strömungen zusammenzubringen, damit diese miteinander reden. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Deutschland willens ist, im Namen Pakistans, der USA oder der afghanischen Regierung zu verhandeln. Das würde nie und nimmer funktionieren.

Es ist bekannt, dass Islamabad großen Einfluss auf die Taliban-Bewegung hat. Sollten die USA oder auch Berlin nicht direkt mit der pakistanischen Regierung verhandeln, um die Taliban zum Einlenken zu bewegen?

Nein, der Konflikt in Afghanistan kann nur in Afghanistan gelöst werden. Afghanistan braucht eine starke und gut funktionierende Regierung, eine Regierung, die von der Bevölkerung akzeptiert ist. Eine solche Regierung kann dann mit allen Konfliktparteien im Inland und wichtigen Mächten im Ausland verhandeln. Die Situation in Afghanistan ist aber eine völlig andere: Afghanistans Regierung ist schwach, korrupt und von der eigenen Bevölkerung nicht akzeptiert. Zurzeit nutzen die Konfliktparteien die Verhandlungen, um ihre eigenen Positionen zu stärken. Die Taliban gehen davon aus, dass sie früher oder später aus diesem Krieg als Sieger hervorgehen, also haben sie kaum ein ernsthaftes Interesse an Friedensgesprächen.

Warum schicken sie dann ihre Vertreter nach Berlin?

Weil die Taliban internationale Anerkennung brauchen. Wenn ihre Vertreter als Gesprächspartner akzeptiert sind, dann zeigen sie der Welt, dass ohne sie eine Lösung in Afghanistan nicht möglich ist. Ähnlich ist es mit der Taktik der afghanischen Regierung: Präsident Karsai will mit seiner Friedensinitiative Unabhängigkeit von den USA demonstrieren. Einen Frieden aber kann diese schwache Regierung nicht herbeiführen. Gespräche sind nützlich, für beide Seiten, doch sie lösen nicht den aktuellen Konflikt - egal, wer mit wem redet. Für die Lösung des Konflikts brauchen wir eine starke Regierung in Kabul.

Das Interview führte Ratbil Shamel
Redaktion: Hans Spross

Dr. Jochen Hippler ist Politikwissenschaftler und Privatdozent am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen.