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Die Partyhauptstadt Berlin erwacht aus dem Lockdown

Kay-Alexander Scholz
5. Juni 2021

In Berlin ist vieles wieder erlaubt. Tanzen aber bleibt verboten. Dabei ist die Clubszene besser durch die Krise gekommen als ursprünglich befürchtet.

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Berlin Menschen feiern im Volkspark
Sehnsucht nach Normalität: Tanzen im FreienBild: picture-alliance/dpa/C. Soeder

Die Partyhauptstadt Berlin ohne Party ist … eine Herausforderung. Für viele Berliner, die nach anderthalb Jahren Party-Askese über ihr Lebensmodell zu grübeln beginnen: Warum leb' ich eigentlich hier, wenn es sich anfühlt wie in einer Kleinstadt? Aber auch für die Wirtschaft, die in den letzten Jahren an Feiernden aus aller Welt gut verdient hat, war der Lockdown eine Kraftprobe.War es das? Machen die Clubs und Bars jemals wieder auf oder droht die große Pleite?

"Wir konnten bislang alle Clubs vor einer Schließung retten!", sagte Lutz Leichsenring der DW. Eine gute Nachricht vom Pressesprecher der "Berliner Clubkommission". Die wirtschaftlichen Hilfsprogramme von Bund und Ländern hätten dann doch geholfen, so Leichsenring. "Auch wenn die Hilfen oft spät oder nicht passgenau gekommen sind."

Die Clubkommission ist ein Verein, in dem sich Club-, Party- und Kulturveranstalter zusammen geschlossen haben, auch um gegenüber der Politik besser Gehör zu finden. Das scheint in der Pandemie ganz gut geklappt zu haben. Leichsenring berichtet, die Clubkommission habe immer wieder Umfragen in der Clubszene gemacht, mit der Politik Rücksprache gehalten und Prozesse moderiert. Die Clubkultur ausnahmslos durch die Pandemie zu retten, das sei das Ziel gewesen.

Deutschland Lutz Leichsenring, Pressesprecher Berliner Clubkommission
Vorsichtig optimistisch: Lutz Leichsenring von der Berliner ClubkommissionBild: John Macdougall/Getty Images/AFP

Dennoch: Das jüngste Club-Monitoring vom Mai ergab, dass fast 16 Prozent mit dem Gedanken spielen, ihr Unternehmen aufzugeben. Wohl auch, weil viele Unsicherheiten bleiben. Selbst wenn Clubs wieder öffnen, heißt es nicht automatisch, dass Gäste kommen werden.

Die Techno-Clubkultur als Theater-Performance

In Berlin waren die Frühlingsmonate kalt wie lange nicht. Seit kurzem aber gibt es endlich Draußen-Wetter. Und fast wie abgesprochen sind die Covid-Infektionszahlen stark gesunken. Deshalb dürfen Gastronomen ihre Küchen und Bars nun wieder hochfahren.

Aber alles, was mit Tanzen zu tun hat, bleibt verboten. Clubs dürfen ihren regulären Betrieb noch nicht wieder aufnehmen.

Doch das war abzusehen. Party-Locations waren in der Pandemie die ersten Orte, die schließen mussten. Es werden wohl auch die letzten sein, die wieder öffnen dürfen.

Geschlossene Türen vom 2About Blank" in Berlin
Auch das "About Blank" war monatelang geschlossenBild: Juska Wendland

Ein ganz klein wenig Ersatz gibt es trotzdem. Schließlich findet Berlin immer wieder neue Wege. Seit jeher verstehen sich einige Clubs explizit auch als Kultur-Orte. So fanden im legendären "Berghain" auch Ausstellungen, Performances oder Konzerte statt. Das neue "Club"-Leben beginnt nun mit genau einem solchen Sonder-Event.

Im Club "About Blank", einem der bekanntesten Party-Orte der Stadt, startet eine Theater-Performance samt begehbarer Installation, die sich mit der Entstehung der Techno-Clubkultur nach dem Mauerfall in den Ruinen einstiger DDR-Industriehallen beschäftigt. Sozusagen ein Blick zurück zu den Anfängen des neuen Berlins, dessen Strahlkraft bis zur Pandemie anhielt - und nun auf Fortsetzung hofft. Die Aufführungen an drei Tagen waren innerhalb von 48 Stunden ausverkauft. Die Sehnsucht in Berlin nach Kultur scheint riesig zu sein.

Tanzen verboten?!

Doch wer gehofft hat, nach der Performance im Garten des Clubs ein wenig tanzen zu können. No no! Auch im Freien bleibt Tanzen verboten.

Bei der Clubkommission stößt das auf Unverständnis. "Das Tanzverbot ist für uns absolut nicht nachvollziehbar und sollte deshalb so schnell wie möglich abgeschafft werden", steht in einer aktuellen Pressemitteilung. Im vergangenen Sommer, zwischen den Pandemie-Wellen, war Tanzen unter freiem Himmel nämlich erlaubt. Für diesen Sommer gebe es schließlich gute Hygiene- und Testkonzepte von den Party-Machern. Die Öffnungsschritte seien wohl "vor allem mit Blick auf die sogenannte Hochkultur entwickelt worden".

Veränderte Rahmenbedingungen

Die Berliner Politik macht es der Club-Szene in diesem Punkt gerade nicht einfach. Dabei warten ohnehin schon viele Fragezeichen. "Wie viele können sich noch eine Zugfahrt oder einen Flug nach Berlin leisten, wenn das Reisen wie prognostiziert teurer wird?", fragt Leichsenring. "Was machen die kleineren Clubs, die von Tour-Plänen abhängig sind? Viele bekannte Bands oder DJs kommen nur deshalb in kleine Clubs nach Berlin, weil sie sowieso auf internationaler Tournee sind. Droht ihnen eine Quarantäne, wenn sie zuvor in einem Land mit hohen Infektionszahlen waren?" Auch liefen die Wirtschaftshilfen im Juni aus - was ist danach?

Symbolbild - Tanzen
Gerade noch schwer vorstellbar: Viele Menschen auf engem Raum mit schlechter Lüftung ohne Maske und AbstandBild: Colourbox/Pressmaster

Doch es gibt auch Lichtblicke. Der Bundestag beauftragte kürzlich die Regierung, das Baurecht zu ändern. Galten Clubs bislang - wie Bordelle und Casinos - als Vergnügungsstätten, sollen manche Clubs nun Opern oder Museen gleichgestellt werden. Und zwar diejenige Clubs mit einem zusätzlich kuratierten Kulturangebot.

Das hat vor allem Folgen auf die Frage, wo Clubs eine Erlaubnis bekommen. Bislang gab es die oft nur für die Innenstadt, verbunden mit teuren Mieten, oder für Gewerbegebiete. In Wohn- oder sogenannten Mischgebieten herrschte wenig Bestandsschutz. Auch dies führte in Berlin zuletzt zu örtlicher Verdrängung von Clubs.

"Die Vergangenheit kommt nicht zurück"

Der Stadtplaner und Publizist David Koser betrachtet den neuen rechtlichen Status von kuratierten Clubs mit gemischten Gefühlen. Clubs gehörten eigentlich nicht in Wohngebiete, sagte er der DW. "Klar ist es im teuer und voll gewordenen Berlin kaum noch möglich, Räume für neue Clubs zu finden", so Koser. "Das ist der Fluch der Gentrifizierung, zu der die Clubs selbst beigetragen haben."

Zudem: Seien Berliner Clubs nicht eigentlich dafür berühmt, "improvisierte Orte" zu sein, die nur für eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort existieren? Mit dem neuen Baurecht werde, "die spontane und nicht durchgehend kommerzialisierte Berliner Clubkultur der ersten beiden Jahrzehnte nach dem Mauerfall nicht zurückkommen", glaubt Koser. "Wenn die Clubs im Bauplanungsrecht nun Museen gleichgestellt sind, werden sie nun vielleicht selbst ein Stück weit 'musealisiert'."

Berlin | House of Weekend
Berliner Club-Szene vor der Pandemie: 250 Clubs, 150 Millionen Euro Umsatz, drei Millionen Party-TouristenBild: picture-alliance/dpa