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Interkultureller Austausch

Cornelia Reinauer / bg14. September 2012

Gemeinsame Projekte erarbeiten ist nicht immer leicht: Eine kritische Bestandsaufnahme der Bedingungen des interkulturellen Austauschs zwischen Deutschland und der Türkei.

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Türkischer Reisepass mit Stempeln
Bild: Giancana-Fotolia

Im Jahre 2002 übernahm Cornelia Reinauer von der Linkspartei das Bürgermeisteramt von Friedrichshain-Kreuzberg (Berlin) und gewann dadurch viel Erfahrung in Bezug auf die Bedeutung der kulturellen Vielfalt in der Weltmetropole. 2006 beendete die gelernte Bibliothekarin ihre politische Karriere und wechselte an den Bosporus. An ihrem neuen Lebensmittelpunkt Istanbul engagierte sich Reinauer für Austauschprojekte in den Bereichen zivilgesellschaftliche und kulturelle Beziehungen sowie für die Gesellschaft für bildende Kunst und für das Forum Berlin-Istanbul. Für den deutsch-türkischen Kulturtreffpunkt beschreibt sie die Probleme des künstlerischen Austauschs zwischen Deutschland und der Türkei, die durch bürokratische Hürden und vor allen Dingen durch die Visumspflicht für türkische Staatsbürger entstehen.

Mein ehrenamtliches Engagement im Bereich des interkulturellen Austausches im Bereich Kunst-Kultur- und Zivilgesellschaft erwächst aus meinen Erfahrungen als Bürgermeisterin des multikulturellen Stadtbezirkes Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin. Die offiziellen Städtepartnerschaften, die unter anderem zur Stärkung der bilateralen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Ländern zum Kennenlernen unterschiedlicher Kultur- und Lebensweisen beitragen sollen, sind vorwiegend charakterisiert durch offizielle Begegnungen, Verträge und Austausch innerhalb politischer und wirtschaftlicher Gremien, aber es fehlt oft ein intensiverer Austausch unter den Bürger und Bürgerinnen selbst.

Aus diesem Grund habe ich nach meiner aktiven Arbeit als Politikerin das Forum Berlin Istanbul mitgegründet zur Förderung der Partnerschaft zwischen Istanbul und Berlin in den Bereichen Kunst und Kultur, politische und kulturelle Bildung und zivilgesellschaftlicher Dialog sowie Stadtentwicklung und urbanes Leben.

Blick über den Bosporus
Blick über den BosporusBild: picture-alliance/dpa

Wir verstehen uns als Netzwerk bürgerschaftlichen Engagements, das allen, die sich für interkulturelle Austauschprojekte in beiden Städten und Ländern interessieren, offensteht, und wir unterstützen Initiativen des interkulturellen Dialogs.

Künstlerische Beziehungen in Berlin und Istanbul

Im Kunst-, Kultur- und zivilgesellschaftlichen Bereich existieren bereits seit Jahren vielfältige Austauschbeziehungen zwischen Istanbul und Berlin. Zahlreiche Künstler und Künstlerinnen aus den Bereichen Film, Schauspiel, Musik, Multimedia sowie Akteure aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich leben und produzieren regelmäßig in beiden Städten und pflegen einen interkulturellen Austausch über die Entwicklung in den beiden großen Metropolen.

Als Mitglied des Vorstandes und seit 5 Jahren in beiden Städten vorwiegend in Istanbul lebend habe ich mehrere interkulturelle und interaktive Projekte ehrenamtlich unterstützt und begleitet. Aus dieser Erfahrung lassen sich einige Erkenntnisse und kritische Einschätzungen zum interkulturellen Austausch, der aus gleichberechtigter Teilnahme bestehen sollte, ableiten.

In den bilateralen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei wird Deutschland beschuldigt, mit seinem nunmehr seit 32 Jahren bestehenden Visumszwang die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen zu belasten.

Visumspflicht erschwert Begegnungen

Der Visumszwang erschwert eine gleichberechtigte Teilhabe an gemeinsamen Projekten, verhindert oft verwandtschaftliche Begegnungen türkischer Migrantenfamilien und erschwert jungen türkischen Menschen insbesondere aus nicht wohlhabenden Familien das Kennenlernen unseres Landes und behindert die Ausübung künstlerischer und politischer Freiheit.

Türkische Kunst-und Kulturschaffende sowie Akteure und Akteurinnen zivilgesellschaftlicher Organisationen müssen bei gemeinsamen Begegnungen und Projekten die in Deutschland stattfinden oft ein unwürdige bürokratische Antragsverfahren mit nachweisbaren Einladungen deutscher Institutionen und Kostenübernahme über sich ergehen lassen und es kommt nicht selten vor, das die Visagewährung ohne ausreichende Begründung abgelehnt wird.

Berliner Skyline
Berliner SkylineBild: Fotolia/euregiophoto

Metropolen als transnationale kulturelle Orte

Kunst-, Kulturschaffende und zivilgesellschaftliche Akteure und Akteurinnen sind jedoch längst vom transnationalen gleichberechtigten Austausch bestimmt. Sie sind international vernetzt, lokal verankert und sind somit staatlichen Institutionen in ihrer Innovationsfähigkeit und Kultursensibilität voraus. Die Metropolen Berlin und Istanbul haben sich in den letzten Jahren zu hochproduktiven transnationalen kulturellen Orten entwickelt. Hier finden insbesondere in der freien Szene und subkulturellen Räumen aber auch unter zunehmend prekären Bedingungen künstlerische Reflexionen über die Zustände in unseren stark durch Migration geprägten Stadtgesellschaften statt und befruchten mit künstlerischen Positionen politische Diskurse über gesellschaftliche Entwicklungen.

Diese kreativen Reflexionsprozesse zu befördern und die gleichberechtigte Teilnahme an interkulturellen Projekten nicht nur unter prekären Bedingungen zu ermöglichen erfordert ein Umdenken in den staatlichen Institutionen und der Kulturpolitik.

Die Förderung von kultureller Vielfalt und Lebensweisen sowie gleichberechtigte soziale, politische und kulturelle Teilhabe sind unabdingbare Voraussetzungen für gute bilaterale Beziehungen.