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Wieviel Demokratische Entscheidungsgewalt hat die EÙ?

6. September 2011

Bei Wahlkampfauftritten für die CDU oder vor Abgeordneten im Bundestag: Angela Merkel wird nicht müde, auf den Herbst aufmerksam zu machen. Denn da geht es um den Euro und um mehr - es stehen wichtige Entscheidungen an.

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Flaggen der EU und der Kreis der Sterne, Symbole der Europäischen Union (Foto: AP)
Viele Flaggen, viele FragenBild: AP

Für die Bundeskanzlerin ist es ein "Herbst der Entscheidungen". Es könnte auch ihr persönlicher politscher Herbst werden, denn es geht um nicht weniger als die Frage: Ist der Euro noch zu retten, hat die europäische Gemeinschaftswährung also eine Zukunft? Die CDU-Chefin gibt sich kämpferisch, sie fordert eine Schuldenbremse in allen Euro-Staaten, wie sie die Große Koalition aus CDU/ CSU und SPD in der vergangenen Legislaturperiode für die Zeit nach 2016 im deutschen Grundgesetz verankert hatte. Zumindest, so Merkel, müsse doch jedes EU-Land seine Hausaufgaben machen, damit die Summe aller Länder dann wieder ordentlich wirtschaften könne.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (li.) begrüßt Bundeskanzlerin Angela Merkel im Elysee Palast, in Paris, am 16. August 2011, um über die Defizitsünder in der Euro-Zone zu reden (Foto: EPA)
Haben Sie wirklich alles unter Kontrolle? Sarkozy (li.) und MerkelBild: picture alliance/dpa

Damit trifft Merkel in Deutschland auf breite Zustimmung. Und immer wieder begibt sie sich nach Paris oder nach Brüssel, um auf kurzfristig angesetzten Krisengipfeln mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy oder den anderen europäischen Amtskollegen die tagesaktuelle Strategie festzulegen.

Der Kampf um die Währungsstabilität in der EU könnte für Merkel der entscheidendste Kampf ihrer politischen Karriere werden. Aber wieviel Entscheidungsgewalt und wieviel Potential hat die Bundesregierung diesbezüglich überhaupt? Und wieviel Einflussmöglichkeiten hat die zunehmend starke Opposition, angeführt von SPD und Grünen, die beispielweise vehement die Einführung von Euro-Bonds fordert?

Noch ist am täglichen Krisenmanagement in der Euro-Zone keine langfristige Strategie zu erkennen. Die Bürger zwischen Dublin und Athen nehmen allerdings zur Kenntnis, welch schmerzhafte Kompromisse den Steuerzahlern in allen Euro-Staaten aufgezwungen werden angesichts der finanziellen Schieflage in Griechenland, Italien, Irland, Spanien und Portugal. Merkel muss sich dauernd rechtfertigen und begründen, warum das ständige Jonglieren mit abstrakten Zahlen, die für milliardenschwere Kreditgarantien, Rettungsfonds und nationale Schuldenbremsen in anderen Euro-Staaten veranschlagt werden, für die Bundesbürger so wichtig ist und konkrete Zahlen bedeutet.

Warum ist der Euro so wichtig?

Angela Merkel weist bei der Frage auf die Globalisierung hin und darauf, dass die 80 Millionen Deutschen in der Welt allein nicht viel ausrichten können. Der Euro sei nicht nur eine Währung, sondern auch ein Symbol für Werte und für ein geeintes Europa. Aber selbst in ihrer eigenen Partei trifft Merkel damit auf Widerstand. Und dieser Zwist könnte sich als Sturm im Wasserglas erweisen, denn auch wenn es um die Zukunft Deutschlands geht, wird über den Kurs doch oft gar nicht in Berlin, sondern in Brüssel entschieden.

Peter Gauweiler, Beschwerdeführer einer Verfassungsbeschwerde gegen die Hilfen für Griechenland und den im vergangenen Jahr installierten Rettungsschirm für Euro-Staaten, nimmt am Dienstag (05.07.2011) im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an der mündlichen Verhandlung über die Finanzhilfen für Griechenland und andere notleidende Euro-Staaten teil. Verschiedene Beschwerdeführer haben gegen die deutsche Beteiligung an den Hilfspaketen geklagt (Foto: dpa)
Peter Gauweiler klagt gegen die Hilfen für GriechenlandBild: picture alliance/dpa

Sicher, die frei gewählten Vertreter der deutschen Bürgerinnen und Bürger verabschieden die Gesetze, doch ein beträchtlicher Prozentsatz dieser Gesetze geht auf Beschlüsse der Europäischen Union zurück, gibt Peter Gauweiler zu bedenken.

"Der frühere Bundespräsident Roman Herzog hat sogar in einer Untersuchung mal von über 70 Prozent gesprochen", zitiert der streitbare CSU-Politiker den Alt-Bundespräsidenten Herzog, der auch Präsident des Bundesverfassungsgerichts war. Dabei stehe dieser großen Zahl von Regelungen aus Brüssel das große Demokratiedefizit der Europäischen Union und ihrer Gremien gegenüber, argumentiert Gauweiler.

Vorbehalte gegen die EU

Der Vorwurf richtet sich vor allem gegen den Ministerrat und die Europäische Kommission. Beide haben eine Schlüsselstellung in der Europäischen Gesetzgebung inne, und beide werden durch die einzelnen Regierungen der Mitgliedsländer der EU besetzt. Diether Dehm, Abgeordneter der Partei Die LINKE im Bundestag, nennt als berühmtestes Negativ-Beispiel die Abschaffung der Glühbirne. Der Bundestag hatte das aus EU-Kreisen angedrohte Verbot zwar für unsinnig empfunden, aber ein überaktiver Umweltminister brachte es dann in einen entsprechenden EU-Rat. Und dieser Rat fasste mit Mehrheit den entsprechenden Beschluss, der nun als EU-Recht in der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt werden muss. Und das, obwohl die deutsche Volksvertretung das genaue Gegenteil beschlossen hatte.

Für Diether Dehm sind solche Entscheidungszwänge alamierend. "Wenn es sich so weiter entwickelt, sind wir auf dem Weg zu einer Diktatur", befürchtet der Linken-Vertreter. Wenn weiterhin immer mehr Gesetze von einem Gremium verabschiedet würden, das keiner parlamentarischen Kontrolle unterliege, dann entfalle der große und lange gepriesene Vorzug einer westlichen Gesellschaft - nämlich die parlamentarische Demokratie. Dehm übt heftige Kritik, vor allem auch deswegen, weil der Ministerrat weitreichende Befugnisse hat, was die Bereiche Außen-, Finanz- und Wirtschaftspolitik angeht.

Auch das Europaparlament kann Ratsbeschlüsse nicht stoppen

Die Spitzenkandidatin für die Europawahl der Partei Büdnis 90/Die Grünen, Rebecca Harms, freut sich am Samstag, den 24.01.2009, beim Parteitag in der Westfalenhalle in Dortmund über ihre Wahl (Foto: dpa)
Grüne Europa-Politikerin Rebecca HarmsBild: picture-alliance/ dpa

Das Europaparlament wird direkt von den EU-Bürgern gewählt. In der dagegen indirekten Legitimation des Ministerrates kann Rebekka Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, allerdings kein Demokratiedefizit der EU erkennen. Sie verweist dazu auf die Tatsache, dass Regierungen schließlich durch freie, demokratische Wahlen zustande gekommen seien. Harms bemängelt allerdings, dass viele Entscheidungsabläufe der Gremien nicht nachvollziehbar seien. Generell sieht die Europapolitikerin Harms die Europäischen Institutionen aber auf einem guten Weg. Vor allem, weil der Einfluss des Europaparlaments und seiner gewählten Vertreter durch den Lissabon-Vertrag zunehme.

Und in dieser Misere hat nun auch Altkanzler Helmut Kohl seiner Nachfolgerin Angela Merkel einen "fehlenden Kompass" vorgeworfen. Zudem haben altgediente CDU-Parlamentarier wie Wolfgang Bosbach offen angekündigt, bei der entscheidenden nationalen Abstimmung entweder gegen den Euro-Rettungsschirm EFSF oder aber gar nicht mitstimmen zu wollen. Damit muss die Kanzlerin um eine schwarz-gelbe Mehrheit und letztlich auch um ihre Regierungsfähigkeit fürchten. Man darf gespannt sein, wie sie sich argumentativ aufrüstet, um den Kampf als "Euro-Kanzlerin" und um ihre politische Zukunft zu gewinnen.

Autor: Heiner Kiesel/ Karin Jäger
Redaktion: Hartmut Lüning