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Berlin – Seoul: Eine politische Radtour

Esther Felden1. Oktober 2014

15.000 Kilometer in 100 Tagen - mit dieser symbolischen Aktion werben Aktivisten für eine Wiedervereinigung Koreas.

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One Korea New-eurasia
Bild: Chosun Ilbo

"Es gibt Momente im Leben, da ist man einfach total irrational", sagt Hwang In-Beom. Der Moment, als er erstmals in seiner Tageszeitung von der ungewöhnlichen Fahrrad-Expedition, die von Berlin bis nach Seoul führt, liest, ist so einer. Ihm ist sofort klar, dass er dabei sein will, allen organisatorischen Hürden zum Trotz. Der 30-jährige ist Single, lebt seit seiner Geburt in Seoul und leitet in der südkoreanischen Hauptstadt die Filiale einer Kaffeehaus-Kette. Natürlich sei es riskant, das Geschäft für mehr als drei Monate allein zu lassen, berichtet er der Deutschen Welle. "Aber irgendetwas in meinem Herzen hat mir gesagt, dass ich es tun muss."

Organisiert wurde die Tour unter dem Motto "One Korea New-eurasia" von der größten und ältesten koreanischen Tageszeitung, der "Chosun Ilbo". Die Route führt über Land durch Polen, Litauen, Lettland, Estland, Russland, Kasachstan, China und die Mongolei. Mit im Gepäck hat das aus sieben Mitgliedern bestehende Kernteam eine Botschaft: Mit der sportlichen Mammut-Aktion wollen die Fahrer für Frieden und ein vereinigtes Korea werben.

Entlang der historischen Grenze

Am 13. August – dem 53. Jahrestag des Mauerbaus - fällt am Brandenburger Tor in Berlin der Startschuss für die Tour, für den 20. November ist die Ankunft in Seoul geplant. Neben den sieben Fahrern des Kernteams wird die Gruppe abschnittsweise auch von "Gastfahrern" begleitet, darunter Politiker, K-Pop-Stars oder auch Flüchtlinge aus Nordkorea. Zum Auftakt sendet die südkoreanische Präsidentin Park Geun-Hye per Videobotschaft gute Wünsche. Dann geht es los.

Das Expeditionsteam fährt an einem mit Graffiti besprühten Abschnitt der Berliner Mauer vorbei (Foto: Chosun Ilbo)
Die ersten zwei Tage der Tour führten die Gruppe an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze entlangBild: Chosun Ilbo

"Die ersten zwei Tage verlief die Strecke parallel zur früheren deutsch-deutschen Grenze, knapp 160 Kilometer an der ehemaligen Berliner Mauer entlang. Das war fantastisch, ich habe diesen Abschnitt geliebt", schwärmt Hwang In-Beom. "Vor gerade einmal 25 Jahren stand die Mauer als Symbol des Kalten Krieges für Spannung, und heute ist alles so friedlich und grün, dass man sich das gar nicht mehr vorstellen kann."

Körperlicher Gewaltakt

Hwang ist gewissermaßen ein Überzeugungstäter. Weder die Länge der Strecke noch die bevorstehenden Strapazen können ihn abschrecken. Und für den passionierten Radfahrer ist es nicht die erste Extrem-Tour. Im Jahr 2009 sei er bereits von China bis nach Portugal geradelt, erzählt er. "Ich war 268 Tage unterwegs und habe in dieser Zeit 18.500 Kilometer zurückgelegt."

Hwang In-Beom ist nicht der Einzige, den das ungewöhnliche Projekt reizt. "Ich habe gehört, dass sich mehr als sechstausend Leute auf einen der sieben Stammplätze beworben haben." Die potenziellen Teilnehmer werden auf Herz und Nieren geprüft, müssen Fitnesstests und Auswahlgespräche bestehen. Danach beginnt das Kernteam, sich gemeinsam vorzubereiten, absolviert beispielsweise kleinere Touren mit voller Ausrüstung. Alle Kandidaten sind körperlich topfit, müssen es auch sein, denn – so Hwang – pro Tag legen sie ungefähr 100 Kilometer zurück. "An einem sonnigen und windstillen Tag fällt das Fahren ziemlich leicht. Aber wenn es regnet und wir mit Temperaturstürzen und Steigungen zu kämpfen haben, dann denkt man schon an zu Hause."

Politische Motivation

Zurzeit fährt das Team durch Russland. Immer wieder kommen die Radfahrer während ihrer Expedition auch in Kontakt mit der lokalen Bevölkerung. Viele Menschen entlang der Strecke seien neugierig. "Sie kommen auf uns zu und sprechen uns an. Wir beantworten ihnen dann ihre Fragen und erklären, was wir tun und warum. Die meisten wünschen uns viel Glück."

Der 30-jährige Hwang hat selbst keinerlei persönliche Verbindungen nach Nordkorea, keine Verwandten auf der anderen Seite der Grenze. Für viele junge Südkoreaner, die die Halbinsel nur als geteiltes Land kennen, spielt das Thema Wiedervereinigung heute kaum eine Rolle. Dass es ihm so sehr am Herzen liegt, hängt mit seinem Studium zusammen, meint er. "Ich hatte im Hauptfach an der Uni Internationale Beziehungen und weiß, wie wichtig das Verhältnis zwischen Nord- und Südkorea für Nordostasien und auch für die Welt ist."

Deutschland als Vorbild?

Damals kommt ihm eine Idee, der ihn seitdem nicht mehr losgelassen hat. "Ich habe immer wieder diesen Gedanken im Kopf, dass selbst etwas Großes wie die Wiedervereinigung vielleicht durch etwas ganz Kleines angestoßen werden könnte." Genau das könnte aus seiner Sicht die Radtour von Berlin nach Seoul sein, ein kleines Puzzleteil mit großer Wirkung auf die koreanische Geschichte. Damit diese einen ähnlichen Verlauf nimmt wie die deutsche vor 25 Jahren, so hofft er. Der Vergleich wird oft gezogen im Zusammenhang mit einer möglichen koreanischen Wiedervereinigung. So pries beispielsweise die südkoreanische Präsidentin Park Geun-Hye, auf deren politischer Agenda das Thema weit oben steht, bei ihrem Deutschland-Besuch im Frühjahr 2014 die deutsche Wiedervereinigung und skizzierte ihre Vorstellung einer koreanischen Variante.

Die südkoreanische Präsidentin Park Geun-Hye und Bundeskanzlerin Angela Merkel im Berliner Kanzleramt vor den Flaggen beider Länder (Foto: picture-alliance/dpa)
Bei ihrem Deutschland-Besuch im April 2014 sprach die südkoreanische Präsidentin Park in einer Rede von ihrer Vision einer koreanischen WiedervereinigungBild: picture-alliance/dpa

Doch die Voraussetzungen auf der seit mehr als 60 Jahren geteilten Halbinsel sind andere als die in Deutschland. Allein das Wohlstandsgefälle ist viel extremer: Südkoreas Wirtschaft ist pro Einwohner etwa 20 Mal so groß wie die Nordkoreas. Entsprechend groß ist auch die in Südkorea vorherrschende Sorge vor den horrenden Kosten einer möglichen Wiedervereinigung. "Ja, die Umstände sind nicht vergleichbar", sagt auch Hwang In-Beom, "aber das Wichtigste ist, dass Ost- und Westdeutschland uns gezeigt haben, dass eine Wiedervereinigung überhaupt möglich ist. Sie war möglich, weil die Menschen fest daran geglaubt haben, ihre Familien auf der anderen Seite der Mauer wiederzusehen." Deswegen sei Deutschland ein Vorbild für Korea , findet er.

Hwang In-Beom, Vize-Kapitän des Expeditionsteams (Foto: Chosun Ilbo)
Hwang In-Beom träumt davon, mit der Expedition politische Entwicklungen auszulösenBild: Chosun Ilbo

Unerschütterliche Hoffnung

Hwang In-Beom träumt davon, eines Tages auf einer wiedervereinigten koreanischen Halbinsel zu leben. "Nichts ist für ewig. Wenn die Menschen nicht aufgeben und die Hoffnung auf Frieden und Wiedervereinigung weiterlebt, dann wird es eines Tages möglich sein, mit dem Fahrrad über Nordkorea nach Deutschland zu fahren. Da bin ich sicher." Noch allerdings ist das Zukunftsmusik. Das zeigt sich auch bei der "One Korea New-eurasia"-Expedition. Die letzte Reiseetappe muss das Team mit dem Schiff zurücklegen. Denn der Landweg ist versperrt: Er führt durch nordkoreanisches Staatsgebiet.