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Vom Erwachsenwerden

14. Februar 2010

Traditionelle Kinderfilme werden in der Berlinale-Sektion "Generation" auch gezeigt. Meist aber dominiert der schonungslose Blick auf die Realität. Aktuelles Beispiel: die Beiträge aus Lateinamerika.

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Te extraño | I Miss You | Sehnsucht MEX/ARG, 2010 Regie: Fabián Hofman Sektion: Generation Bildbeschreibung: Sofía Espinoza, Fermín Volcoff ***Bitte beachten Sie, dass die Nutzung der aktuellen Filmfotos ausschließlich der Festivalberichterstattung dient und nur bis zum 15. März gewährleistet wird. Für eine spätere Verwendung des Bildmaterials müssen die Rechte vom jeweiligen Rechteinhaber eingeholt werden***
Te extraño - Ich vermisse dichBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Natan ist fünf. Sein Vater ist Mexikaner, die Mutter Italienerin. Die beiden haben sich einmal geliebt, jetzt werden sie sich trennen. Natan soll mit der Mutter nach Rom ziehen. Es gilt, Abschied zu nehmen. Jorge tut das auf seine Weise: Er fährt zusammen mit seinem Sohn an einen Küstenort im Süden Mexikos und sticht mit ihm in See. Im kleinen Motorboot geht es hinaus zum Chinchorro-Riff, einem der größten Korallenriffe der Welt. Der wettergegerbte alte Fischer Matraca gibt ihnen ein Quartier in einem Verschlag, der auf Stelzen im Wasser steht. Und er nimmt sie mit, zum Angeln, zum Schnorcheln und Tauchen in eine irritierend schöne Welt. Bevor Jorge seinen Sohn nach Europa ziehen lässt, bringt er ihn auf diese Weise noch einmal mit den Wurzeln seiner Kultur zusammen.

"Alamar" heißt dieser Film des mexikanischen Regisseurs Pedro González-Rubio, der eine sinnliche Doku-Fiktion mit wunderschönen Bildern und einer kleinen Handlung gedreht hat. Ein Film, der von der Harmonie zwischen Vater und Sohn und zwischen Mensch und Natur erzählt. Und der auch vom Abschiednehmen spricht.

MEX, 2009 Regie: Pedro González-Rubio Sektion: Generation Bildbeschreibung: Natan Machado Palombini, Jorge Machado ****Bitte beachten Sie, dass die Nutzung der aktuellen Filmfotos ausschließlich der Festivalberichterstattung dient und nur bis zum 15. März gewährleistet wird. Für eine spätere Verwendung des Bildmaterials müssen die Rechte vom jeweiligen Rechteinhaber eingeholt werden.***
AlamarBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Mehr als 1100 Filme hat die Auswahlkommission der Berlinale-Sektion "Generation" gesichtet. Über vier Produktionen, die aus verschiedenen Ländern Lateinamerikas eingereicht wurden, musste nicht lange diskutiert werden. Sie seien dem Gremium "in die Augen und Seelen und Herzen gesprungen", sagt Sektionsleiterin Marianne Redpath. Denn diese Filme erzählen genau die Art von Geschichten, die die anspruchsvollen jungen Berlinale-Besucher anspricht. "Alamar" wird Kinogängern ab sieben Jahren empfohlen, "Te Extrano" (I Miss You) von Fabian Hofman, eine mexikansich-argentinische Koproduktion, richtet sich an ein jugendliches Publikum ab 14 Jahren und nimmt es mit ins Buenos Aires der Siebziger Jahre.

Ich werden

Javiers Bruder ist verschwunden. Da war er 20 Jahre alt und Adrian 15. Er war der Mutigere der beiden, und er war ein Kämpfer, er war Anführer einer Widerstandsorganisation. In der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien sind solche wie Adrian oft verschwunden, viele von ihnen tauchten nie wieder auf. Javiers aber soll leben, deshalb stecken die Eltern ihn ins Flugzeug und schicken ihn ins mexikanische Exil. Hier führt der Junge fortan ein Leben in Wartestellung, auf sich verwiesen, ohne Familie und Freunde, in Angst und Unsicherheit, voller Minderwertigkeitsgefühle. Denn war der ältere Bruder nicht der bessere, der beliebtere Mensch? Javier braucht viel Zeit, bis er sich so akzeptieren kann, wie er ist. Und bis er "Ich" sagen kann und dabei freundlich von sich denkt.

COL, 2009 Regie: Carlos Gaviria Sektion: Generation Bildbeschreibung: Paola Baldión Fisher | © Alberto Sierra ***Bitte beachten Sie, dass die Nutzung der aktuellen Filmfotos ausschließlich der Festivalberichterstattung dient und nur bis zum 15. März gewährleistet wird. Für eine spätere Verwendung des Bildmaterials müssen die Rechte vom jeweiligen Rechteinhaber eingeholt werden***
Porträts in einem Meer von LügenBild: Internationale Filmfestspiele Berlin/Alberto Sierra

Eine Reihe von Erwachsenen hält die schonungslos realistischen Filme, die "Generation" seinen jungen Zuschauern zumutet, für eine Überforderung. Sektionsleiterin Marianne Redpath sieht das anders. Denn in den letzten Jahren hätten gerade die Jugendlichen sehr positiv auf das Programm reagiert und die Filme oft zum Anlass für Gespräche und Reflektionen genommen. Sie verorten sich, nach dem Kinobesuch, und machen damit dasselbe wie viele der Protagonisten auf der Leinwand. Nur, dass deren Lebensbedingungen eben zumeist deutlich schwieriger sind.

Leben, Überleben

"Retratos En Un Mar De Mentiras" (Porträts in einem Meer von Lügen) von dem kolumbianischen Regisseur Carlos Gaviria ist ein Road-Movie, eine Geschichte vom Erwachsenwerden vor der Kulisse des seit 60 Jahren vom Bürgerkrieg gebeutelten Landes. Und es ist eine Geschichte vom Sterben und vom Weiterleben. Und von Marina, die die Geister der Vergangenheit wieder und wieder heimsuchen, weil sie traumatisiert ist, seit ihre Familie damals vor ihren Augen ermordert und das Elternhaus abgefackelt wurde. Schwer zu ertragen ist dieser Film gelegentlich, wegen der allgegenwärtigen Gewalt. Und dennoch ist er nicht ohne Hoffnung. Weil Marina die Geister der Vergangenheit schlißlich besiegt, indem sie ihnen gegenübertritt. Und weil sie lebt und weiter leben wird.

Autor: Silke Bartlick

Redaktion: Oliver Samson