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Berliner Fußball-Elend

16. April 2010

Berlins Erstligist Hertha BSC bringt die Fans zur Verzweiflung. Wenn er absteigt, ist Berlin europäische Fußball-Provinz.

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Fernschreiber Berlin (Grafik: DW)
Bild: DW

Glanz und Elend liegen in der Hauptstadt eng beieinander. Berlin ist Regierungs- und Parlamentssitz und hat deutschlandweit gleichzeitig einen der höchsten Anteile an Langzeitarbeitslosen, die von staatlicher Stütze leben. Die Stadt an der Spree ist beliebt wegen ihres Ost-West-Metropolen-Flairs, ihrer Kultur und ihrer Party-Szene und gleichzeitig bis über beide Ohren verschuldet - arm aber sexy eben.

Zum Bedauern vieler fußballverrückter Hauptstädter sind auch, was ihren Sport betrifft, Glanz und Elend klar ausgeprägt. Da gibt es auf der einen Seite das mehrfach in Architekturwettbewerben gekrönte Olympiastadion für 75.000 Zuschauer, in dem 2006 das WM-Endspiel stattfand, und da gibt es auf der anderen Seite den Verein, der jetzt dort spielt und Hertha BSC heißt. Der Name des Bundesligisten stammt von einem alten Dampfer namens "Hertha" und so spielt die Mannschaft in dieser Saison auch. Als souveräner Tabellenletzter steht die weiß-blaue "Tante Hertha" wieder einmal vor dem Abstieg.

Eine Verschwörung?

Während Fußball-Berlin Ursachenforschung betreibt - derzeit neigt man sehr zu Verschwörungstheorien und zählt die Punkte, die durch falsche Schiedsrichterentscheidungen verloren gingen - lacht sich der Rest der Republik ins Fäustchen. Hatten doch die nicht sonderlich beliebten Hauptstädter in der letzten Saison sogar kurzzeitig vom Meistertitel geträumt.

In diesem Jahr nun ging es rapide abwärts, Hertha war nahe daran, den Bundesliga-Minusrekord aller Zeiten zu übertreffen. Den hält ebenfalls ein Berliner Verein, nämlich "Tasmania", der einst während einer Saison nur 15 Tore erzielte und gerade mal zwei Spiele gewann. Damals kamen zu einem Heimspiel ins riesige Olympiastadion ganze 856 Zuschauer. Wenigstens da hat sich etwas gebessert: Heutzutage kommen sogar zu den grottenschlechten Spielen der Hertha noch 30.000 Zuschauer.

Doch allmählich drückt der Platz am Tabellenende nicht nur auf die Stimmung der Fußballfans, sondern auch auf das Selbstbewusstsein der Berliner. Denn seit Wochen vergisst kaum ein Kolumnist, wenn er sich den Berliner Fußball-Nöten widmet, genüsslich zu erwähnen, dass Berlin künftig die einzige europäische Hauptstadt sein würde, die keinen Verein in ihrer nationalen Elite-Liga hätte. Von Helsinki bis Athen, von Kiew bis Lissabon gehört Erstliga-Fußball zum Standardrepertoire.

Allerdings hat auch keine Stadt ihren Fußballklub nach einem alten Dampfer benannt.


Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Kay-Alexander Scholz