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Bernstein - das Gold des Nordens

Saskia Guntermann und Michael Marek
17. Februar 2017

Schon in der Steinzeit wurde aus Bernstein Schmuck gemacht. Heute sucht und bearbeitet Boy Jöns das fossile, versteinerte Harz.

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Hand mit Bernsteinen
Bild: DW/M.Marek

Bei Boy Jöns dreht sich alles um das Gold des Meeres. Der 53-Jährige ist Bernstein-Schleifer in der dritten Generation. Schon als kleiner Junge stromerte er fast täglich am Strand seines Heimatortes entlang. Immer auf der Suche nach dem Edelstein aus Harz. Ein, zwei Steine, "die trage ich immer bei mir in der Hosentasche", erzählt er.

Zwei Personen am Strand, rechts Boy Jöns von hinten
Bernsteinsuche am Strand.Bild: DW/M.Marek

Jöns lebt und arbeitet in St. Peter-Ording an der Schleswig-Holsteinischen Nordseeküste. Das Kurheilbad liegt etwa 150 Kilometer nordwestlich von Hamburg entfernt und befindet sich am Rande der größten zusammenhängenden Wattlandschaft der Welt. "Erst holt der Mann den Bernstein und dann der Bernstein den Mann", beschreibt Jöns seine Leidenschaft und lächelt dabei: "Man wird süchtig, Bernstein ist ein Virus!"

Massenfertigung in Asien

Seit tausenden von Jahren fasziniert der Bernstein den Menschen. Schon in der Steinzeit war er ein begehrter Schmuckstein. Die alten Griechen schienen es zu ahnen: Als ihnen in der Antike erstmals Bernstein aus den nördlichen Gebieten Europas in Hände fiel, gaben sie ihm den Namen "elektron", Hellgold.

Bernstein entstand ungefähr zu der Zeit, als die Dinosaurier ausstarben, er glänzt wie Gold, ist leicht, und man kann ihn mit etwas Glück nach einem Sturm im Watt finden. Nirgendwo geht das besser als in St. Peter-Ording. Einem wahren Paradies für Bernstein-Sammler: Jährlich werden hier etwa 100 Kilogramm Bernstein gefunden. Das entspricht fast der Hälfte der jährlichen Fundmenge an Deutschlands Küsten.

Jöns ist der letzte Bernsteinschleifer Norddeutschlands. In Jeanshose, weißem T-Shirt und dunkelgrünem Hemd steht er vor uns: krauses Haar, schwarze, wuschige Augenbrauen, sonore Bass-Stimme. Er bedauert, dass der Beruf des Bernstein-Schleifers oder –Drechslers fast ganz verschwunden ist: "Wir leben in einer arbeitsteiligen Welt. Handarbeit wandert dort hin, wo sie günstiger ist. Und so ist die Bernstein-Bearbeitung in den letzten 10 Jahren leider nach China gegangen." Nichts gegen die Chinesen, schränkt Jöns ein, aber handwerkliche Feinheiten und Finesse seien in der dortigen Massenfertigung verloren gegangen.

Bernstein-Schleiferei und Museum
Boy Jöns Bernstein-Schleiferei und angeschlossenes Museum in St. Peter-Ording.Bild: DW/M.Marek

Mücken im Harz

Zur Werkstatt gehört ein kleines Museum. In einem der Räume steht ein kleiner künstlicher Kiefernwald: der Bernsteinwald. Dunkel ist es hier, in den ausgehöhlten Baumstämmen glänzen und funkeln die Steine.

Angefangen hatte alles vor etwa 50 Millionen Jahren: Aus den Nadelbäumen tropfte klebriger Harz, der in Millionen von Jahren zu Bernstein erstarrte. Als der zähe Baumsaft langsam herabfloss, verfingen sich so manche Insekten darin und wurden mit dem Harz versteinert. Ihn fasziniere bis heute, sagt Jöns, "dass ich hier Leben habe und die Evolutionsgeschichte nachvollziehen kann. Die Mücke im Bernstein sieht genauso aus wie die Mücke heutzutage."

Die Steine, die keine sind, geben immer noch viele Rätsel auf. Niemand weiß genau, wo der Wald stand, aus dessen Bäumen das Harz tropfte. Vermutlich aber im Gebiet zwischen dem heutigen Kopenhagen und St. Petersburg. Die Ostsee gab es damals vor 50 Millionen Jahren noch nicht. Geradezu mysteriös ist bis heute, warum sich in Bernsteinen keine Kiefernnadeln finden, denn eigentlich logisch, dass sie am Harz hätten kleben bleiben müssen, wenn es zu Boden tropfte.

Bernstein Schmuck
Schmuck aus Bernstein ist seit der Steinzeit beliebt.Bild: DW/M.Marek

Farbreichtum und Geldanlage

Im deutschen Sprachgebrauch wird Bernstein als "Gold des Meeres" bezeichnet. Beide Begriffe beziehen sich dabei auf das charakteristische Äußere des Steins: seinen Schimmer und die goldbräunliche Färbung. Charakteristisch sind die verschiedenen Farbtöne des Bernsteins: vom schneeweiß bis zu Gelb-, Ocker-, Orangetönen, und sogar dunklen Bernstein gibt es. Die prominenteste Trägerin einer schwarzen Bernsteinkette ist Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Bernstein hat in den letzten Jahren enorm an Wert gewonnen und ist mittlerweile fast doppelt so teuer wie Gold. Kostete ein Gramm Bernstein vor 20 Jahren eine D-Mark, muss man derzeit zwischen 50 und 60 Euro dafür ausgeben. Zum Vergleich: Ein Gramm Gold kostet etwa 35 Euro pro Gramm.

Nachfrage aus Asien

Grund dafür ist die hohe Nachfrage aus dem Ausland, vor allem aus Asien: Besonders viele Chinesen interessieren sich für helle, gelbe Töne. Gelb gilt in China als Farbe des Wohlstandes. Mit einer wachsenden Mittelschicht in dem Land wird Bernstein als Schmuck immer populärer.

Dass Bernstein Gold als Anlagegut ablösen könne, hält Jöns allerdings für abwegig. Lediglich ein sehr kleiner Teil aller gefundenen Bernsteine komme für den asiatischen Markt überhaupt infrage. Ist die aktuelle Mode in Asien vorbei, kann der Preis wieder stark fallen.

Boy Jöns mit Feuerzeug in seiner Werkstatt
Echtheitsprobe mit dem Feuerzeug.Bild: DW/M.Marek

Brennstein und Fälschungen

Gleichwohl werden die honigfarbenen Bernsteine gerne gefälscht. Relativ einfach lassen sich aus Kunstharzen bernsteinähnliche Erzeugnisse herstellen. Diese sind für den Laien nur schwer von echtem Bernstein zu unterscheiden.

Um herauszufinden, was echt ist und was nicht, gibt es aber eine einfache Methode: Man müsse den Stein anzünden. Verbrenne er, sei es Bernstein gewesen, sagt Jöns, aber dann habe man ihn natürlich zerstört. Der Name komme übrigens auch von dem Wort "Brennstein". Durch Lautverschiebung sei im Deutschen aus Brennstein Bernstein geworden, so Jöns.

Trotzdem zündet Jöns zur Vorführung in seiner Werkstatt einen Bernstein mit dem Feuerzeug an. Es lodert, es qualmt, und ein beißender Geruch breitet sich aus. Beim Schleifen und Bearbeiten dagegen entfaltet Bernstein einen angenehmen Duft, denn die ätherischen Öle des Baumharzes sind über die Jahrmillionen immer noch konserviert.

In früheren Zeiten nutzten die Menschen Bernstein in der Medizin. Der Stein ist säureunempfindlich und wurde daher bei Bluttransfusionen eingesetzt: Blut in einem Bernsteingefäß kann nicht gerinnen.

Bernstein Bearbeitung
Bernstein wird mit Sandpapier bearbeitet.Bild: DW/M.Marek

Zahnpasta als Poliermittel

Mehrere Schleifmaschinen stehen in der Werkstatt von Boy Jöns, neben Bohrmaschinen und elektrischen Sägen. Überall liegen rohe Bernsteine nach Größe und Farbe sortiert herum: "Das ist im Grunde der letzte Arbeitsschritt nach dem groben Vorschliff und dem anschließenden Feinschliff bin ich jetzt am Polieren an der Poliermaschine. Hier kann man sehr schnell einen Traumglanz aus dem Bernstein herauskitzeln."

Geschliffen wird mit grobem Sandpapier, um vorsichtig die äußerste Schicht des Steins zu entfernen. Poliert wird dann mit Zahnpasta. Anschließend wäscht Jöns die Steine. Aus dem matten Material sind nun glänzende, wie Edelsteine funkelnde Schmuckstücke entstanden. Am Ende des Besuchs bleibt die Frage: Was ist für Jöns das Geheimnis der Bernsteine? "Man muss sie lieben!"