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Die Berliner Gropiusstadt wird 50

Andrea Kasiske7. November 2012

Als der Architekt Walter Gropius vor 50 Jahren die erste Großsiedlung Berlins plante, war das auch ein Stück soziale Utopie. Sie war Sinnbild des modernen Lebens. Seitdem ist die Gropiusstadt im Wandel.

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Die Gropiusstadt in Berlin in einer Luftaufnahme (Archivfoto: picture-alliance/ZB)
Bild: picture-alliance/ZB

"Damals war das großartig", sagt Renate Ahnert,"endlich keine Kohlen mehr schleppen müssen." Die Zentralheizung sei für sie ausschlaggebend gewesen, 1965 in die Gropiusstadt zu ziehen. Die Siedlung war nach der Grundsteinlegung 1962 noch voll im Bau. Es gab nur eine Straßenbahn, die U-Bahn kam erst später, auch von den Grünflächen war noch nicht viel zu sehen."Es war ja noch Wüste", erinnert sich die gelernte Erzieherin, "kein Kindergarten und nichts."

Großsiedlung im Grünen

Als der Bauhausarchitekt Walter Gropius 1958 mit dem Bau des "Quartiers Britz -Buckow-Rudow" beauftragt wurde, war das auch eine soziale Utopie. Der Traum von einem besseren Wohnen am Stadtrand, raus aus den dunklen Neuköllner Hinterhofwohnungen mit Außentoilette und Kohleofen in eine Großsiedlung mitten im Grünen. Gropius plante überschaubare Wohnquartiere mit durchschnittlich vier, maximal 17 Etagen, durchzogen von einem Grüngürtel. Zusätzlich sollte eine gute Infrastruktur mit Geschäftszentren, Kino, Post und Gemeinschaftszentren für städtisches Leben sorgen.

Doch dann wurde 1961 die Mauer gebaut und die geplante Siedlung lag jetzt unmittelbar an der Grenze. Die Fläche war kleiner geworden, die Häuser dafür höher. Aus den geplanten 14.500 Wohnungen wurden 19.000, Häuser mit bis zu 30 Etagen für über 50.000 Menschen. Bei Bauende 1975 war die "Gropiusstadt", wie sie jetzt hieß, zu einem Wohnmoloch geworden.

Es stank von den Rieselfeldern

"Was, du bist aus der Gropiusstadt? Man hat das damals als Bedrohung angesehen", erzählt Ingo Höse, heute Lehrer in einem Oberstufenzentrum im Einzugsgebiet der Siedlung. In den 70-er Jahren, während seiner Jugend dort, war das Image des Berliner Stadtteils denkbar schlecht. Die Gropiusstadt galt als "Problem-Viertel", mit Drogenkonsum und Kriminalität. Eine Außenwahrnehmung, die die Bewohner nicht teilten. Von der angeblichen Jugendkriminalität habe er nichts mitbekommen, meint Ingo Höse. Natürlich war man so ein bisschen am "Ende der Welt", es stank von den Rieselfeldern nebenan, aber man hatte alles, was man brauchte. Das Einkaufszentrum, die Jugendclique, und schließlich gab es da noch seine Schule. Die erste Gesamtschule Berlins, mit Nachmittagsunterricht und linken, engagierten Lehrern.

Hier ist es wirklich multikulturell

"Ich habe 18 Nationen in einer Klasse", sagt Cornelia Weis-Wilcke fast ein bisschen stolz. Sie unterrichtet seit Jahren an der Walter-Gropius-Gesamtschule. Hier sei es im Vergleich zu anderen Berliner Stadtteilen nun wirklich multikulturell. Nach dem Wegfall der Grenzen sind viele Alteingesessene ins Umland gegangen, neue Bewohner zugezogen. Vor allem Migranten aus Osteuropa, Russen, Ukrainer, Polen, aber auch Türken, Araber und Asiaten. Die Wohnungen waren billig und groß genug für Familien mit vielen Kindern. Dass heute 30 Prozent der Kinder in Hartz IV-Haushalten leben, ist ein Fakt, der nicht verschwiegen wird. Schulen und andere soziale Einrichtungen bieten den Kindern deshalb kostenlose Nachhilfe und Hausaufgabenbetreuung und versuchen verstärkt, die Eltern mit speziellen Angeboten zu erreichen.

Open-Air- Konzert auf dem Lipschitzplatz in der Gropiusstadt (Foto: Teresa Eismann)
Vor dem Gemeinschaftshaus wird das Jubiläum gefeiertBild: Teresa Eismann

Als der Architekt Walter Gropius vor 50 Jahren die erste Großsiedlung Berlins plante, war das auch ein Stück soziale Utopie. Seitdem ist "die Gropiusstadt" permanent im Wandel. Sie rede nicht über Religion, sondern über Kultur, sagt Julia Pankratyeva resolut. Die rundliche, strahlende Ukrainerin ist das "Herz" des Interkulturellen Zentrums im Gemeinschaftshaus mitten in Gropiusstadt. Seit 15 Jahren arbeitet die gelernte Ingenieurin dort. Sie habe sich hier sofort wohlgefühlt, die Hochhäuser kannte sie aus ihrer Heimat, aber "hier war so viel Grün". Jetzt organisiert sie Sing- und Tanzabende, vorwiegend für ältere Bewohner und Kinder. Mit ihrer herzlichen Art und einer gewissen Hartnäckigkeit hat sie es geschafft, Menschen zusammenzubringen, die sich sonst eher aus dem Weg gehen. Der kurdisch-türkisch-griechische Abend sei ein voller Erfolg gewesen. Über die Musik und gemeinsames Singen entstehe auch Interesse aneinander.

Aufbruchsstimmung im Jubiläumsjahr

"Wer sind die Gropiusstädter" heißt eine kleine Ausstellung in der Shoppingmall "Gropiuspassagen". Miniporträts von Bewohnern unterschiedlichen Alters und verschiedener Herkunft. Gemeinsam ist allen, dass sie gerne in der Gropiusstadt wohnen und irgendwie auch stolz darauf sind. Im Jubiläumsjahr wird am Imagewandel der Großsiedlung gearbeitet. 400 neue Wohnungen, Geschäfte und Hotels sollen entstehen und solventere Mieter in die Gropiusstadt locken. Dann wird die legendäre Großsiedlung noch etwas "städtischer“, und das ist sicher im Sinne ihres Erfinders, Walter Gropius.