Beunruhigende Blicke
17. Mai 2005Die seltsamen Bilder von Loretta Lux springen ins Auge, klammern sich an die Netzhaut und graben sich weiter ein. Tief im Bewusstsein, hinten im Hirn, bleiben sie. Und berühren einen wunden Punkt. "Meine Fotografien handeln von Kindheit und Verlorenheit in der Welt als existenzielle Grunderfahrung des Menschen", verkündet die 36 jährige Künstlerin aus Dresden.
Realität und Traum
Je länger man die Bilder betrachtet, desto unangenehmer wird der Blick. Denn irgendetwas stimmt nicht mit den perfekt inszenierten Fotografien von blass-entrückten Kindern vor unwirklich-kargen Landschaften. Was da nicht stimmt, bleibt völlig vage: Eine irritierende Unbestimmtheit zwischen Fotografie und Malerei, zwischen Realität und Traum. Ein Alptraum aus menschenleerer Welt, bevölkert von kindlichen Humanoiden - gruselig schön und selbstvergessen.
"Atemberaubend" findet die Bilder nicht nur das New Yorker Kunstmagazin "Artforum". Die Aufnahmen "gehören zu den eigentümlichsten, überaus raffiniert manipulierten Bildern unserer Zeit" schreibt die "New York Times" über "die unheimlich schönen Kinder der Photoshop-Generation." Noch vor ihrer ersten amerikanischen Einzelausstellung wurden zahlreiche digital nachbearbeitete Fotografien der deutschen Künstlerin verkauft - Kostenpunkt 7500 bis 19.500 US-Dollar.
Entfremdete Erscheinung
Nach einem Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in München, nutzte Lux das Medium Fotografie erstmals 1999. Aus mehreren Fotos und oft selbstbemalten, farblich abgestimmten Hintergründen entstanden so die ersten subtil inszenierten Kinderporträts am Computer. Alle abgebildeten Kinder sind Söhne und Töchter von Freunden, die Lux vor neutraler Wand im Studio ablichtet. "Sie erinnern mich an meine eigene Kindheit oder an Kinder, die ich damals kannte."
Trotz der zentralen Positionierung der Kinder in der Bildmitte, würden die Fotos aber nicht von ihnen handeln, erklärt Lux im Interview mit einem amerikanischen Kunstmagazin. Sie seien viel mehr Metaphern, entfremdet von ihrer wahren Erscheinung. Und da wo das Bild aufhört bloßes Abbild zu sein, tut sich die wundersame Welt der Interpretation auf.
Undeutbar und unwirklich
In den Bildern von Lux lässt sich eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen Wirklichkeit und Weltverlorenheit finden. Denn diese unwirklichen Kindwesen existieren scheinbar nur in einem künstlichen Zwischenraum - irgendwo zwischen viktorianischem Kinderzimmer im Pastellton und postnuklearem Licht im Nirgendwo. Hier löst sich Wirklichkeit auf. Hier bleibt das Unsagbare zurück - in undeutbaren Gesten und einem Gefühl hinter dem Auge des Betrachters.
Loretta Lux, Hatje Cantz Verlag, 2005, ISBN 3-7757-1591-6