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Beziehungsprobleme

Rainer Sollich / (sb)27. November 2002

Der türkische Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer ist Dienstagabend (26.11.) nach Berlin gekommen. Sezers Mission: Er will für eine weitere Annäherung Ankaras an die Europäische Union werben. Keine einfache Aufgabe.

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EU-Beitritt der Türkei: passt das Land zu Europa?Bild: Bilderbox

Es ist nicht nur der erste offizielle Deutschland-Besuch Sezers, sondern gleichzeitig auch ein sehr wichtiger. Deutschland spielt für Ankara eine bedeutende Rolle: Seit Beginn der Gastarbeiter-Anwerbung in den 1960er Jahren stieg die Zahl der in Deutschland lebenden Türken auf über 2,5 Millionen. Zudem ist Deutschland der wichtigste Handelspartner der Türkei.

Skepsis in Deutschland

Die deutsche Öffentlichkeit ist sich jedoch uneins über die Frage des türkischen EU-Beitritts. In Umfragen sprechen sich weit über die Hälfte der Deutschen gegen eine türkische Mitgliedschaft aus. Die meisten führenden Medien äußern Bedenken. Und die konservative politische Opposition macht aus ihrer offenen Ablehnung schon gar keinen Hehl. Unumwunden erklärte der bayerische Ministerpräsident, CSU-Chef und vormalige Kanzlerkandidat Edmund Stoiber: "Für uns ist eine EU-Mitgliedschaft der Türkei nicht vorstellbar!"

Die Türkei passt nicht zu Europa

Die Gründe für die Ablehnung eines türkischen EU-Beitritts sind vielfältig: Noch mehr Jobsuchende auf dem ohnehin schon überlasteten deutschen Arbeitsmarkt. Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Türkei. Die kulturellen und religiösen Unterschiede zwischen der Türkei und Europa. Und ein weiteres Argument lautet, der NATO-Partner am Bosporus sei schlichtweg zu groß, um auf absehbare Zeit in die europäische Staatenfamilie integriert zu werden.

Die rot-grüne Bundesregierung befürwortet allerdings die Integration. Bereits 1999 setzte sie sich dafür ein, dass der Türkei der offizielle Status eines EU-Beitrittskandidaten verliehen wurde. Und sie macht sich auch jetzt wieder für Ankara stark.

Beitrittsverhandlungen - aber wann?

Vor einer Woche hat der Sieger der türkischen Parlamentswahlen, der gemäßigte und nach eigener Darstellung pro-europäische Islamist Recep Tayyip Erdogan, seine Wünsche geäußert. Während eines Besuches in Berlin forderte er, dass die Türkei auf dem Kopenhagener EU-Gipfel im Dezember ein Datum für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen genannt bekommen soll. Berlin hingegen will, dass in Kopenhagen zunächst nur ein Datum festgelegt wird, an dem dann verbindlich über den Beginn solcher Verhandlungen entschieden werden soll.

Zurückhaltung in Berlin

Während Erdogan sein Begehren laut eigener Auskunft in Italien, Griechenland, Spanien, Großbritannien, Irland und Belgien erfolgreich vortrug, äußerte sich Deutschlands Außenminister Joschka Fischer vergangene Woche zwar nicht ablehnend - aber doch auffällig zurückhaltend: "Wir wünschen uns hier ein deutliches Signal an die Türkei. Ob wir aber so weit gehen können, wie Herr Erdogan es sich wünscht, das ist eine Frage, die ich Ihnen heute nicht beantworten kann."

Ähnliches dürfte wohl auch der türkische Präsident Sezer zu hören bekommen. Die Bundesregierung setzt sich aber trotz der weit verbreiteten Abneigung in der deutschen Öffentlichkeit weiter für eine klare Beitrittsperspektive der Türkei ein. Neben der vor allem bei den Grünen populären Vision eines multikulturellen Europa dürfte hierfür auch amerikanischer Druck ausschlaggebend sein.

Kooperation erwünscht

Die deutsche Regierung verlangt von Ankara allerdings auch Entgegenkommen - beispielsweise in der Zypernfrage. Zudem legt Berlin Wert darauf, dass politische Reformen in der Türkei nicht nur formell auf dem Papier beschlossen, sondern auch praktisch umgesetzt werden.

In Berlin wird Sezer sicherlich auch auf den Prozess gegen die deutschen politischen Stiftungen in der Türkei angesprochen. Die erste Anhörung soll am 26. Dezember stattfinden. Die deutsche Regierung weist die gegen die Stiftungen erhobenen Spionage-Vorwürfe als völlig haltlos zurück.

Haltlose Vorwürfe

Tatsächlich liegen bisher auch keinerlei Beweise vor. Beobachter gehen vielmehr davon aus, dass der Prozess von europafeindlichen Kräften im türkischen Establishment und in der türkischen Justiz gesteuert wird. Sie wollen eine weitere Annäherung Ankaras an die EU sabotieren. Der türkische Präsident, obgleich Jurist, gehört nicht zu diesen Kräften. Aber auch er wird eingestehen müssen: Nicht nur in Deutschland gibt es Widerstände gegen einen türkischen EU-Beitritt.