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Konflikte

US-Truppenabzug aus Afghanistan bis September

13. April 2021

US-Präsident Joe Biden hat eine brisante Entscheidung gefällt. Die US-Soldaten sollen bis zum 11. September vom Hindukusch abziehen. Es ist der 20. Jahrestag der Terroranschläge von New York und Washington.

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US-Soldaten in Kampfanzügen gehen mit Rucksäcken auf einen wartenden Hubschrauber zu / Afghanistan
US-Soldaten verlassen im Mai 2017 die afghanische Stadt Kundus mit HubschaubernBild: Brian Harris/Planet Pix/ZUMA/picture alliance

Ein hochrangiger US-Regierungsvertreter sagte, der geordnete Abzug der Truppen aus Afghanistan solle noch vor dem 1. Mai beginnen und spätestens bis zum 11. September abgeschlossen sein. Unter Bidens Vorgänger Donald Trump hatte die US-Regierung mit den Taliban einen Abzug bis zum 1. Mai vereinbart.

Der US-Regierungsvertreter fügte hinzu, der Abzug werde mit den Partnern in der NATO koordiniert. Man sei gemeinsam nach Afghanistan gegangen, und "wir sind bereit, gemeinsam wegzugehen". Der Rückzug sei nicht an Bedingungen geknüpft, weil ein solcher Ansatz nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre dazu führe, "für immer in Afghanistan zu bleiben". Die Bundesregierung hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, das Ende des NATO-Einsatzes in Afghanistan vom Erfolg der Friedensverhandlungen zwischen den militant-islamistischen Taliban und der Regierung in Kabul abhängig machen.

Comeback der Taliban in Afghanistan

Der US-Regierungsvertreter betonte, der 11. September sei das späteste Datum, um den Abzug abzuschließen - das Ziel könne aber auch deutlich vorher erreicht werden. Danach sollten nur noch Soldaten zum Schutz der US-Diplomaten in Afghanistan im Land verbleiben. 

Der Abzug des US-Militärs aus Afghanistan sei ein "großer Fehler" und "bedauerlich", sagte Michael O'Hanlon, Forschungsdirektor bei der Brookings Institution, der Deutschen Welle. Damit überlasse man den Taliban den Friedenspozess zu einem Zeitpunkt, an dem dieser gerade erst begonnen habe. Damit werde der gesamte Friedensprozess gefährdet. Brookings Institution ist eine Denkfabrik in den Vereinigten Staaten mit Sitz in Washington.

Auch die Briten wollen raus aus Afghanistan

Neben den USA plant auch Großbritannien einem Medienbericht zufolge einen Abzug seiner Truppen aus Afghanistan bis zum 11. September. Nahezu alle etwa 750 britischen Soldaten sollen aus dem Land zurück nach Hause beordert werden, meldete die "Times". Ohne Unterstützung der USA würden sie sich in Afghanistan schwertun, da sie auf amerikanische Stützpunkte und Infrastruktur angewiesen seien.

Streit um Abzugstermin

Die Aufständischen hatten zuletzt neue Gewalt gegen NATO-Truppen angedroht, sollte die Frist bis zum 1. Mai nicht eingehalten werden. Der US-Regierungsvertreter warnte die Taliban vor Angriffen auf ausländische Truppen während des Abzugs. In einem solchen Fall würden die USA hart zurückschlagen, drohte er. Mit Blick auf die Frauenrechte in Afghanistan fügte er hinzu, die USA würden sich mit allen diplomatischen, humanitären und wirtschaftlichen Mitteln für deren Schutz einsetzen.

Nach offiziellen Angaben befinden sich derzeit noch rund 2500 US-Soldaten in Afghanistan; zum Höhepunkt vor zehn Jahren waren es rund 100.000. Zuletzt waren inklusive der US-Truppen insgesamt noch etwa 10.000 Soldaten aus NATO-Mitgliedsländern und Partnernationen in Afghanistan, um die demokratisch gewählte Regierung durch die Ausbildung und Beratung von Sicherheitskräften zu unterstützen. Unter ihnen sind auch rund 1000 deutsche Soldaten. Die Bundeswehr ist bereits seit rund 19 Jahren am Hindukusch präsent.

Afghanistan: Der Krieg im Kopf

Die Anschläge vom 11. September 2001, für die das Terrornetz Al-Kaida verantwortlich gemacht wurde, hatten den Einmarsch der US-geführten Truppen in Afghanistan im Monat darauf ausgelöst. Der internationale Militäreinsatz führte zum Sturz des Taliban-Regimes, das sich geweigert hatte, Al-Kaida-Chef Osama bin Laden auszuliefern.

Riskante Optionen

Die Afghanistan-Entscheidung gehört zu den heikelsten, die Biden in seiner jungen Amtszeit treffen musste. Beide Optionen - Rückzug oder Verbleib - gelten als riskant. Eine vom US-Kongress eingesetzte Expertengruppe empfahl in einem Bericht im Februar, dass die US-Regierung im Doha-Abkommen verbleibt, die Truppen aber nicht zum 1. Mai abzieht, sondern erst dann, wenn die Taliban ihre Verpflichtungen erfüllt haben.

Ein Verbleib in Afghanistan über den 1. Mai hinaus birgt die Gefahr, dass westliche Truppen wieder Ziel von Gewalttaten der Taliban werden. Wegen dieses Szenarios hat die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bereits in Absprache mit den militärischen Spitzen angeordnet, die Schutzmaßnahmen für die Bundeswehrsoldaten zu verstärken.

Kramp-Karrenbauer sieht erhebliche Gefahren in Afghanistan

Im Fall eines Rückzugs zum 1. Mai sahen die amerikanische Expertengruppe unter anderem die Gefahr einer Machtübernahme der radikalislamischen Taliban, eines erneuten Bürgerkrieges, einer terroristischen Bedrohung für die USA und einer weiteren Flüchtlingskrise mit Auswirkungen auch auf die EU. Auch viele Beobachter befürchten, dass nach einem Abzug der westlichen Truppen in Afghanistan erneut chaotische Verhältnisse entstehen.

Türkei beherbergt Friedensgespräche

Derweil gab die Türkei bekannt, dass die geplanten Friedensgespräche für Afghanistan Ende April stattfinden werden. Das Außenministerium erklärte, dass die Beratungen vom 24. April bis 4. Mai laufen sollen. Die Konferenz solle die inner-afghanischen Verhandlungen "beschleunigen und ergänzen". Ziel sei eine "gerechte und dauerhafte politische Lösung" für das Land.

Die Istanbuler Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban werden von den Vereinten Nationen und Katar unterstützt. Den Verhandlungsparteien solle geholfen werden, ein gemeinsames Bild für die Zukunft Afghanistans zu entwerfen, erklärte das Ministerium in Ankara. Der inner-afghanische Friedensprozess auf Grundlage des Abkommens von Doha zwischen der US-Regierung und den Taliban war zuletzt ins Stocken geraten.

kle/ww (dpa, rtre, afp, DW)