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Film

"Bierkampf": Szenen eines Oktoberfestes

Jochen Kürten
3. Oktober 2016

Das größte Volksfest der Welt geht zu Ende. Starke Kulisse auch für Filmemacher. Vor allem, wenn sie einen humorvollen Blick wagen, wie in Achternbuschs "Bierkampf" von 1977. Ein DVD-Tipp von Jochen Kürten.

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Filmstill Bierkampf 1977 Oktoberfest
Bild: picture-alliance/dpa

Es gibt einige Spielfilme, in denen das Oktoberfest als Schauplatz der Filmhandlung dient. Doch keiner ist so verspielt, verrückt und lustig wie Herbert Achternbuschs "Bierkampf". Im März 1977 kam der Film, den Achternbusch einige Monate zuvor auf der Wiesn gedreht hatte, in München zur Uraufführung. Einen Monat später hielt die Republik den Atem an, der Terror der RAF überzog das Land. Beide Ereignisse haben nicht direkt etwas miteinander zu tun - und doch läuft es dem Betrachter heute beim Wiedersehen des Films kalt den Rücken runter. Denn in "Bierkampf" spielt Herbert Achternbusch einen Polizisten, einen Vertreter der Staatsmacht, der selbst zur Provokation neigt.

Ewiger Kampf: Achternbusch und die BRD

Ein paar Jahre nach seinem "Bierkampf" löste der Schriftsteller und Filmemacher Herbert Achternbusch einen der größten Kulturskandale der Bundesrepublik aus, nachdem sein Film "Das Gespenst" zunächst wegen möglicher Verletzung religiöser Gefühle keine Freigabe erhalten hatte. Noch größer wurde die Aufregung, als CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann noch ausstehende Fördergelder für Achternbuschs Projekte strich. Ein bis dahin einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Diese anarchistische Kraft, die von Anfang an in seinen Filmen steckte und dann in "Das Gespenst" weite Teile des bürgerlichen Publikums spaltete, wird auch in "Bierkampf" sichtbar. Hier schlüpft der Filmemacher selbst in die Uniform der Staatsmacht und treibt ein derbes Spiel mit den Besuchern des Volksfestes. Höhepunkt ist eine achtminütige Sequenz, in der Achternbusch in besagter Uniform durch ein Oktoberfestzelt schleicht. Er greift nach Maßkrügen, beißt in die Brezel der Besucher, schleicht wie ein Derwisch durch die Reihen, treibt Blödsinn und Schabernack.

"Bierkampf" Filmszene mit Schauspieler und Regisseur Herbert Achternbusch, Foto: film & kunst GmbH
"In dieser Bierhölle hätte sich ein anderer Filmer am zweiten Tag aufgehängt" - Achternbusch als seltsamer PolizistBild: film & kunst GmbH

Groucho Marx als Pate

Wie der amerikanische Anarchokomiker Groucho Marx mit schwarzem Bart, in gebückter Haltung und mit neugierig-frechem Blick sprengt Achternbusch die bierselige Geselligkeit im Festzelt. Lange vor Einführung des Privatfernsehens und diverser Reality-Formate gewährt Herbert Achternbusch hier schon einmal einen Blick in die Zukunft der unkonventionellen TV-Unterhaltung.

Filmstill "Bierkampf" von Herbert Achternbusch auf dem Oktoberfest 1977, Foto: picture-alliance/dpa
"Falscher" Polizist - Regisseur und Schauspieler Achternbusch auf dem OktoberfestBild: picture-alliance/dpa

Doch wer nun meint, Achternbusch sei es bei seinem Höllenritt übers Oktoberfest nur um Spott und Provokation gegangen, der irrt. Der Filmemacher war immer beides, ein Verächter des bayrischen Milieus und ein Mensch, der sich ein Leben außerhalb Bayerns kaum hätte vorstellen können. 1984 bemerkte der Regisseur in einem Interview: "Ja. Ich möchte halt, dass die Bayern ein wenig was gelten und dass sie nicht bloß die Hanswursteln sind. Das ist ja das. Sie machen sich ja selber zu Hanswursten. Hör'n S' doch einmal eine sogenannte Heimatsendung - die bescheißen sich doch wirklich, von oben bis unten. Das hältst d' doch nicht aus." Er sagte aber auch: "Sehnsucht nach Heimat? Das ist dann bei mir, vielleicht, Liebe zu dem, was ich kenne. Meine Oma, oder da, wo ich aufgewachsen bin, aber das ist ein ganz anderes Bayern."

Anarchist des "Neuen Deutschen Films"

Achternbusch, der in den 1970er- und 1980er-Jahren zu den interessantesten und wagemutigsten deutschen Regisseuren gehörte und der für ein paar Jahre in einem Atemzug mit Fassbinder, Herzog und Wenders genannt wurde, war der verspielt-verrückte Anarchist des "Neuen Deutschen Films". Seine Werke gaben damals Einblick in die bayrische Seele - zumindest in den antibürgerlichen Teil.

Herbert Achternbusch, Foto: picture-alliance/akg-images/Marion Kalter
Herbert AchternbuschBild: picture-alliance/akg-images/Marion Kalter

Er sei ein Spezialist für Bier im Film geworden, schrieb der Regisseur damals über seinen dritten Spielfilm: "'Bierkampf', dieser Film ist die reife Frucht all meiner Bemühungen auf diesem Gebiet. In dieser Bierhölle hätte sich ein anderer Filmer am zweiten Tag aufgehängt, aber was wir täglich an Bier einliterten, machte uns zur Masse. (…) Auf mich, den Polizisten, reagierte die Masse, und auf uns, den Film, reagierte sie." Achternbusch spielte damals verschiedene Rollenmuster durch: die des Polizisten, des Komikers, des Anarchisten, des unangepassten Bürgers. All das floss in seine Rolle in "Bierkampf" ein. Dabei bewegte sich der Filmemacher zwischen Provokation und Hingabe, zwischen Spott und Heimatliebe. Zeitlebens rieb er sich an seiner Heimat.

Karl Valentin auf der Wiesn

Darin ähnelte er einem seiner Vorgänger, dem Komiker Karl Valentin. Der besuchte mit seiner Partnerin Liesl Karlstadt Beginn der 1920er-Jahre das Oktoberfest - und ließ sich bei diversen Späßen filmen. Damals glich die Wiesn noch eher einem großen Jahrmarkt. Besonders witzig sind die Szenen, in denen sich Valentin von einem (falschen) Indianer mit Messern traktieren lässt.

Der deutsche Komiker und Schriftsteller Karl Valentin spricht in ein Mikrofon, Foto: picture-alliance/dpa
Karl ValentinBild: picture-alliance/dpa

Die Doppel-DVD "Oktoberfest München 1910 - 1980", die in der Edition Filmmuseum erschienen ist, zeigt nun all diese filmischen Frühwerke. Insgesamt 18 Filme geben Einblicke auf die Entwicklung dieses urbayrischen Volksfestes, darunter sowohl Spiel- und Dokumentarfilme aus den frühen Jahren des Kinos als auch Percy Adlons Film "Der echte Liliom" von 1978.